Sport der Armen, Turnier der Reichen

Im kommenden Sommer findet die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika statt. Das Gastgeberland erhofft sich davon einen Gewinn für sein Image und wirtschaftliche Impulse. Doch vor allem ärmere Südafrikaner fürchten, dass ihnen das Turnier keinen Nutzen bringt. Mehrere Milliarden Rand werden für den Bau von Stadien, Straßen und Flughäfen ausgegeben, während unzählige Siedlungen noch immer keinen Strom und kein Wasser haben.

Auf diesem Spielfeld wächst kein Gras. Dunkler, fest gestampfter Boden, Steine, hier und da glitzern Glasscherben. Zwei Metallgestelle ohne Netz dienen als Tore. Jeden Nachmittag gegen vier Uhr, wenn die Schule aus ist, belebt sich das trostlose Bild. Dutzende Jungen, kleine und größere, strömen auf den Platz. Sie bilden Mannschaften, manche barfuß und in zerlumpten T-Shirts. Dann geht sie los, die tägliche Jagd auf den Fußball in der Wellblechhüttensiedlung Ikemeleng südöstlich von Rustenberg in Südafrika. Die, die zunächst nicht mitspielen, hocken am Spielfeldrand. Hier ist das mehr als ein Sport: „Solange die Jungs Fußball spielen, nehmen sie keine Drogen und hängen nicht auf der Straße rum“, sagt Brown Motsau von der kirchlichen Benchmarks-Stiftung, einer Partnerorganisation des Evangelischen Entwicklungsdienstes.

Fußball als Sozialarbeit: Das ist umso wichtiger in einem Umfeld, in dem 80 Prozent der rund 5000 Einwohner arbeitslos sind. Es gibt nur eine Grundschule in der Siedlung, für die weiterführende Schule müssen die Jugendlichen weite Wege auf sich nehmen. Ihre Berufsaussichten sind düster. Ikemeleng ist umgeben von Platin- und Diamantenminen, die in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise ihren Betrieb stark eingeschränkt haben. Fußball bietet die Chance, zu beweisen, was man kann.

Rund 40 Kilometer nördlich zeigt der Sport sein offizielles Gesicht. Das „Royal Bafokeng“-Stadion in Rustenburg hat seine Feuertaufe bereits beim Confederations-Cup des Weltfußballverbandes FIFA im vergangenen Juni bestanden. Mit seinen 45.000 Sitzplätzen zählt es zu den kleineren der insgesamt zehn Austragungsstätten der Fußball-Weltmeisterschaft 2010. Der saftiggrüne Rasen ist ordentlich getrimmt, die feinen Logen sind bereit für FIFA-Funktionäre und andere wichtige Besucher. Erstmals findet die Weltmeisterschaft in Afrika statt. Entsprechend groß sind in Südafrika die Hoffnungen auf positive Nachwirkungen der Spiele, zu denen eine halbe Million Fußballfans aus aller Welt erwartet werden.

Autorin

Gesine Kauffmann

ist Redakteurin bei "welt-sichten".

Südafrika präsentiert sich als stolze Nation, die ein solches Großereignis stemmen kann. Zwei Friedensnobelpreisträger – der frühere Staatspräsident Nelson Mandela und Erzbischof Desmond Tutu – führen die Riege der Befürworter an. Die Kritik, das sportliche Großereignis könne die organisatorischen und finanziellen Fähigkeiten Südafrikas übersteigen, ist inzwischen leiser geworden. Zumindest alle Stadien werden fristgerecht fertig sein. Daneben werden Flughäfen, Straßen und der öffentliche Nahverkehr in den größeren Städten ausgebaut. Die Kosten dafür sind laut dem internationalen Gewerkschaftsbund Building and Wood Workers International inzwischen auf 2,7 Milliarden Euro gestiegen, die südafrikanischen Steuerzahler bringen davon rund 1,5 Milliarden Euro auf – ursprünglich sollten es 200 Millionen (2,3 Milliarden Rand) sein.

Die Investitionen sollen ausländische Firmen anziehen, die Wirtschaft und vor allem die Tourismusbranche rechnen mit großen Gewinnen. All das, versprach Präsident Jacob Zuma im Juni in seiner ersten Rede an die Nation, werde sämtlichen Südafrikanern zugute kommen, ob schwarz oder weiß, arm oder reich. Seine Ankündigung stößt bei politischen Beratern, Vertretern von Kirchen und nichtstaatlichen Organisationen (NGO) sowie vielen armen Südafrikanern allerdings auf wachsende Skepsis. Denn 15 Jahre nach dem Ende der Apartheid ist Südafrika zwar mit Abstand das reichste Land auf dem afrikanischen Kontinent, doch der Wohlstand ist äußerst ungleich verteilt. Laut Statistik hat sich der Graben zwischen einer kleinen wohlhabenden Schicht, zu der inzwischen auch wenige Schwarze zählen, und der großen Mehrheit der Armen in dieser Zeit sogar noch vergrößert.

Ob in East Rand südlich von Johannesburg, in ländlichen Regionen bei Rustenburg oder in den winzigen Zimmern der Hausangestellten im wohlhabenden Kapstädter Wohnviertel Seapoint: die Antworten auf die Frage, was sich die Menschen von der Weltmeisterschaft erwarten, fallen ähnlich aus. „Es sieht nicht so aus, als würden wir von der Fußball-WM profitieren“, sagt Hassan Mekgoe aus dem 19.000 Einwohner zählenden Dorf Luka bei Rustenburg. Beim Ausbau des „Royal Bafokeng“-Stadions seien nur kurzfristige Jobs entstanden, ausländische Firmen hätten den Großteil der Bauarbeiten übernommen. An den Confed-Cup im Sommer denkt der 47-Jährige nicht gern zurück. „Zuerst war die Euphorie groß. Viele von uns haben auf Drängen des Tourismusverbandes für viel Geld Häuser und Wohnungen renoviert, um Übernachtungen mit Frühstück für die Fußballfans anzubieten. Aber die Gäste sind ausgeblieben.“  

Ganz besonders ärgert sich Hassan Mekgoe über eine Regelung der FIFA, nach der in einem bestimmten Umkreis um die Stadien nur Produkte ihrer Sponsoren wie Coca Cola oder Budweiser verkauft werden dürfen. Um die anzubieten, müssen die Straßenhändler, die traditionell das Publikum in Sportarenen mit Bonbons, Zigaretten, Getränken und selbst gekochtem Essen versorgen, eine Lizenz erwerben. Das könnten sich viele nicht leisten, schimpft Hassan Mekgoe.

Auch die Johannesburger Ökonomin Mohau Pheko hält diese FIFA-Vorschrift für einen Skandal. Damit werde vielen Händlern die Möglichkeit genommen, ein klein wenig an dem sportlichen Großereignis mitzuverdienen. Pheko, die zum Beraterkreis von Präsident Zuma zählt, steht der Fußball-Weltmeisterschaft insgesamt sehr skeptisch gegenüber: „Das ist ein Projekt der Elite. Nur die Wohlhabenden werden etwas davon haben, bei den Armen kommt nichts an.“ Schlimmer: Die Investitionen für das Sportereignis gingen zu Lasten von Sozialprogrammen. Das Geld fehle beim Bau von Häusern und bei der Versorgung von Siedlungen mit Wasser und Strom. „Südafrika kann es sich schlichtweg nicht leisten, eine Fußballweltmeisterschaft auszurichten“, meint Pheko.

Der Präsident des Südafrikanischen Kirchenrates (SACC), Tinyiko Sam Maluleke, sieht dagegen zwei Seiten. Der finanzielle Gewinn liege ganz klar bei der FIFA, dem südafrikanischen Fußballverband und den Wohlhabenden, sagt er. Doch als junge Demokratie brauche das Land die Bestätigung der Welt, „dass wir in der Lage sind, das größte Sportereignis der Welt zu veranstalten und dass man uns vertrauen kann“. Unter sozialer Entwicklung dürften zudem nicht nur Häuser, Wasser und Strom verstanden werden. Es gehe auch darum, dass Menschen an sich und ihre Fähigkeiten glauben. Dazu könne Fußball einen wichtigen Beitrag leisten.

Die Soziale Kluft droht größer zu werden

Die Forschung gibt denen recht, die von der Fußballweltmeisterschaft zwar einen Image-Gewinn für Südafrika, aber wenig konkreten Nutzen für die ärmere Bevölkerung erwarten. Die Sozialwissenschaftler Udesh Pillay und Orly Bass haben sich die sozio-ökonomischen Hinterlassenschaften von sportlichen Großereignissen in Schwellenländern angesehen. In ihrem jüngst erschienen Buch „Development and Dreams“ kommen sie zu ernüchternden Ergebnissen. Danach tragen solche „Mega-Events“ weder wesentlich zur wirtschaftlichen Entwicklung bei noch werden dadurch langfristig Arbeitsplätze geschaffen. Entgegen den Versprechen der südafrikanischen Regierung werde wohl auch die Fußball-WM keinen Beitrag zur Bekämpfung der Armut leisten, schreiben Pillay und Bass. Es bestehe vielmehr die Gefahr, dass sie die soziale Kluft noch vergrößere.  

Christa Venter kümmern andere Dinge. Die resolute Frau mit den kurzen dunklen Haaren ist bei der Stadt Johannesburg verantwortlich für die Koordination der Weltmeisterschaft. Nach ihrer Einschätzung verläuft alles nach Plan. Den Fußballfans werde es an nichts fehlen, Strom- und Wasserversorgung seien garantiert. Auch die Sicherheit, ein weiterer kritischer Faktor angesichts der hohen Kriminalitätsrate im Land, könne gewährleistet werden. Die Stadt arbeite eng mit der Polizei zusammen, 2000 Beamte seien zusätzlich eingestellt worden. Für die weitere Nutzung der beiden Johannesburger WM-Stadien Soccer City und Ellis Park lägen tragfähige Konzepte vor. Dort sollen künftig sportliche und kulturelle Großveranstaltungen stattfinden. Selbst für die fliegenden Händler in Johannesburg hat sie eine Lösung: 500 von den schätzungsweise 2000 sollen am Verkauf an den Stadien beteiligt werden.

Doch die wichtigste Wirkung des vierwöchigen Turniers sieht auch Venter in der Stärkung des südafrikanischen Nationalgefühls. Diese Erwartung verwirft Mohau Pheko als Trugbild. Die Ungleichheit in Südafrika sei so groß, dass es nicht gelingen könne, im Lauf eines einzigen Monats eine Einheit zwischen den verschiedenen Bevölkerungsschichten herzustellen. Zumal die wenigsten der armen Südafrikaner ein Fußballspiel sehen könnten. Die Eintrittskarten von 70 Rand (6 Euro) aufwärts könnten sich viele nicht leisten, für den Weg zu einem Public Viewing sei der Transport zu teuer und zum Fernsehen fehle oft einfach der Strom. Kirchenratspräsident Maluleke meint nüchtern, Sport sei bislang nicht sehr erfolgreich darin gewesen, die Menschen in Südafrika zusammenzubringen. „Er zeigt eher, wie geteilt wir als Nation sind.“ Während Schwarze sich für Fußball begeisterten, bevorzugten Weiße Kricket oder Rugby.

Die Stadt Johannesburg hat immerhin einen Konflikt im Vorfeld der Fußball-WM weitgehend entschärft: den Streit um die Einführung der neuen Schnellbuslinie „Rea Vaya“. Monatelang hatte es mit den mächtigen Taxifahrer-Lobbys, die ihren Verdienst durch die neuen Busse gefährdet sahen, heftige Auseinandersetzungen gegeben. Die scheinen nun beigelegt. Bis zum Beginn der Fußball-WM sollen 143 Schnellbusse mit der rot-weiß-blauen Lackierung vor allem das Zentrum mit den südlichen Stadtteilen und der Township Soweto verbinden und damit vorwiegend den dort lebenden Schwarzen zugute kommen. Taxifahrer sollen nach einer Umschulung deren Steuer übernehmen. „Damit werden mehr Arbeitsplätze geschaffen, als verloren gehen,“ sagt Boy-Boy Mogorosi vom Dachverband „Top 6 Taxi Management“ zuversichtlich.

Indessen haben einige hundert Kinder, Frauen und Männer am südlichen Stadtrand von Durban am eigenen Leib erfahren, was es heißt, dem Großereignis im Weg zu sein. Laut FIFA-Regeln müssen alle WM-Austragungsorte neben den Turnierstadien auch Trainingsarenen zur Verfügung stellen. Südafrikas zweitgrößte Stadt hatte dafür drei bereits bestehende Stadien ausgewählt und baut sie nun nach den Vorgaben des Weltfußballverbandes aus. Eines davon ist das zwanzig Jahre alte King Zwelithini-Stadion in der Township Umlazi. Rund hundert benachbarte Hütten und Häuser mussten den Bauarbeiten weichen. Die etwa 500 Bewohnerinnen und Bewohner wurden umgesiedelt. Sie leben jetzt in Wellblechbaracken an einem staubigen Hang, der sich bei Regen in gelbbraunen Morast verwandelt.

Mavu Busivive ist eine von ihnen. Tränen treten in ihre Augen, als sie von dem großen Haus und dem Obstgarten erzählt, die sie vor zehn Monaten Hals über Kopf verlassen musste. Die Früchte hat sie früher auf dem Markt verkauft und so den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder verdient. Desmond D’sa, Programmkoordinator der South Durban Community Environmental Alliance, kennt viele solcher Geschichten. „Sie haben dieser Frau ihren Lebensunterhalt genommen, ihr Recht, sich selbst zu versorgen, und sie ihrer Würde beraubt“, klagt er empört. „Diese Fußball-WM ist mehr Fluch als Segen. Sie entzweit uns eher, als sie uns eint. Die einfachen Leute kämpfen um Wasser, Jobs und ihre Ernährung. Aber die Regierung gibt das Geld nur für Stadien aus.“

Diese Vorwürfe lässt Julie-May Ellingson nicht gelten. Die Häuser, die in Umlazi abgerissen wurden, seien illegal gewesen, sagt Durbans WM-Verantwortliche. Der Boden gehöre der Stadt. Die Umgesiedelten hätten zudem die Möglichkeit, sich bei der Regierung um einen Zuschuss im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus zu bewerben, fügt sie hinzu. Ihr Aufenthalt in den Wellblechbaracken sei nur vorübergehend. Ellingson steht in einem der Konferenzräume von Durbans WM-Stadion, das mit seiner ausgefallenen Architektur zu den eindrücklichsten Fußball-Arenen Südafrikas zählt. Über das Oval von Spielfeld und Zuschauertribünen spannt sich ein 350 Meter langer Bogen, der an seinem höchsten Punkt 106 Meter vom Erdboden entfernt ist. Besucherinnen und Besucher können ihn mit einer Seilbahn oder zu Fuß überqueren. Drei Milliarden Rand (261 Millionen Euro) hat das Stadion gekostet, das nach dem Anti-Apartheid Kämpfer Moses Mabhida benannt ist. Geld aus Sozialprojekten sei dafür nicht verwendet worden, betont Ellingson.

Der frühere Anti-Apartheid-Aktivist und renommierte Theologe Allan Boesak dagegen kann den Ärger der armen Leute verstehen. Andererseits habe die Fußball-WM die Diskussion über soziale Gerechtigkeit voran gebracht, sagt Boesak, der für die Partei „Congress of the People“ im Parlament der Provinz Western Cape sitzt. „Das bringt die Regierung unter Druck, sich verstärkt dafür einzusetzen.“ Davon hätten dann vielleicht auch die jungen Kicker in Ikemeleng etwas. Gegen sechs Uhr setzt die Dämmerung ein, die Jungs packen den Ball ein, denn in einer halben Stunde ist es stockfinster. Zwar steht am Rand des Platzes ein hoher Lichtmast – den hatte die Stadtverwaltung Mitte August nach lautstarken Protesten der Bewohner wegen fehlender Wasser- und Elektrizitätsversorgung aufgestellt. Aber er bleibt dunkel. Kein Stromanschluss.

 

erschienen in Ausgabe 12 / 2009: Klimawandel: Warten auf die Katastrophe
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