„Für die Armen eine zusätzliche Last“

Eine Zunahme von Infektionskrankheiten, mehr Tote und Verletzte durch Wirbelstürme und Überschwemmungen: viele, vor allem ärmere Menschen in Indonesien spüren die Folgen des Klimawandels bereits am eigenen Leib. Das Gesundheitssystem sei darauf nicht ausreichend vorbereitet, sagt der Geschäftsführer der Christlichen Stiftung für das Gesundheitswesen, Sigit Wijayanta. Seine Organisation entwickelt zusammen mit Dorfgemeinschaften Präventionspläne, um die Widerstandskraft gegen die Folgen der Klimaveränderungen zu stärken.

Welche Folgen für die Gesundheit hat der Klimawandel in Indonesien?

Die Erderwärmung wird die Ausbreitung von bestimmten Krankheiten verändern. In Indonesien haben wir Hinweise gefunden, dass wärmere Temperaturen ideale Bedingungen für Moskitos sind, die Malaria und Dengue-Fieber übertragen. In Zentraljava hat sich die Zahl der Fälle von Dengue-Fieber zwischen 2006 und dem ersten Halbjahr 2009 von rund 6500 auf 11.400 erhöht. Zum anderen nehmen Naturkatastrophen wie Dürren oder Überflutungen infolge des Klimawandels zu. Das kann zu Missernten und damit zu Unterernährung führen. Ferner kann sich die Zahl der  Erkrankungen erhöhen, die durch verschmutztes Wasser verursacht werden, wie Durchfall oder Cholera.

Was bedeutet das für ein Entwicklungsland wie Indonesien?

Der Klimawandel bedeutet eine zusätzliche Last für die arme Bevölkerung, die schon jetzt kaum Zugang zum Gesundheitssystem hat. Wir müssen deshalb zunächst ein öffentliches Bewusstsein dafür schaffen, dass der Klimawandel die Erreichung der Millenniumsziele ebenso bedroht wie alle Erfolge, die in den vergangenen Jahren in der Gesundheitsversorgung erzielt worden sind.

Ist das indonesische Gesundheitssystem auf die wachsenden Anforderungen vorbereitet?

Nein. Die Armen werden im derzeitigen System vernachlässigt.

Wo sehen Sie die größten Mängel?

Die Dezentralisierung der Gesundheitsversorgung ist problematisch. Das Budget wird von den Regierungen der Distrikte kontrolliert. Die ärmeren haben kein Geld für die Gesundheitsversorgung, vor allem im Ostteil von Indonesien. Und obwohl Provinzen wie Ost und West Nusa Tangara viel Entwicklungshilfe erhalten, weil dort die Kindersterblichkeit sehr hoch ist, sind die Fortschritte im Gesundheitssystem klein. Für diese Projekte müssen die Provinzregierungen einen finanziellen Beitrag leisten. Das Gesundheitsbudget wird vorrangig für Berater und Verwaltung ausgegeben. Für die Basisversorgung der Armen ist kaum Geld übrig. Ein weiteres Problem ist die Privatisierung der Gesundheitsdienste. Ärzte möchten lieber in Privatkliniken arbeiten oder in den Städten, wo sie besser bezahlt werden. In Ost-Indonesien haben viele Gesundheitszentren zwar ein Gebäude, aber kein Personal.

Gibt die Regierung nicht genug Geld für das Gesundheitswesen aus?

Das Budget ist über die Jahre gestiegen. Aber das ist nicht entscheidend. Wenn das Budget sehr hoch ist, aber nur für Gebäude, Verwaltung und medizinische Geräte ausgegeben wird, erreicht man die Menschen trotzdem nicht. Das Budget ist kein Indikator für Effizienz.

2005 hat die indonesische Regierung eine Versicherung speziell für Arme eingeführt. Sie bekommen eine Karte, mit der sie sich kostenlos medizinisch behandeln lassen können. Funktioniert das nicht?

Diese Karte garantiert nicht, dass die komplette Behandlung gedeckt ist. Manchmal müssen arme Patienten für Methoden oder Medikamente bezahlen, die in den Gesundheitszentren, in denen sie kostenlos behandelt werden, nicht angeboten werden. Aber die christlichen Krankenhäuser haben davon profitiert. Zuvor konnten arme Menschen manchmal nicht für ihre Behandlung aufkommen. Nun haben sie die Versicherung. Wir stellen sicher, dass Diagnose und Behandlung den höchsten Standards entsprechen.

Wie geht Ihre Organisation mit den steigenden Gesundheitsrisiken infolge des Klimawandels um?

Wir arbeiten im Rahmen der gemeindebasierten Risiko-Erkennung und Katastrophenprävention. Wir haben Fallstudien in neun Dörfern gemacht, fünf in Java, zwei in Ost Nusa Tangara und zwei in Sumatra, wo die Menschen völlig unterschiedlichen Wetterbedingungen und Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind. Zunächst haben wir sie dabei unterstützt, ein Verständnis für die Zusammenhänge zu entwickeln. Sie können sich gut an veränderte klimatische Verhältnisse anpassen, wenn sie ihre Anfälligkeit verringern können. Sie sollen den historischen Wandel des Klimas in ihrer eigenen Gemeinschaft verstehen. Wir fragen sie nach der Zunahme von Naturkatastrophen und Krankheiten in ihrer Gegend und versuchen, eine Verbindung herzustellen. Dann versuchen wir, herauszufinden, welche Unterstützung sie brauchen.

Wie sieht das konkret aus?

In der Gegend von Bandar Harjo in Zentraljava hat der Anstieg des Meeresspiegels die Gezeiten verändert. Die Menschen haben gemerkt, dass das Ausmaß und die Häufigkeit von Fluten zugenommen haben. Das hat einen Anstieg von Durchfallerkrankungen und Dengue-Fieber verursacht. Und es hat vor allem Ältere unter Stress gesetzt und damit die Zahl der Herzinfarkte erhöht. Die Menschen meinen, eine Ursache für den Durchfall seien die unzureichenden sanitären Einrichtungen, die der Flut nicht standhalten. Sie brauchen Hilfe, um ihre sanitäre Versorgung in den Griff zu bekommen.

Im Inland haben wir ein anderes Problem. Die gegenwärtige Dürre wird die Reisproduktion um 30 Prozent sinken lassen. Bereits heute sind 3,2 Millionen Babys unterernährt. Die Missernten werden diese Zahl um 40 Prozent in die Höhe treiben. An diesem Punkt vermischen sich die Folgen des Klimawandels mit Fehlern in der Ernährungspolitik. Früher gab es traditionell ein breiteres Angebot von Nahrungsmitteln wie Kartoffeln, Korn und andere Pflanzen. Einige können in Trockenzeiten wachsen, andere während der Regenzeit, so dass die Menschen immer etwas zu essen hatten. Mit der Grünen Revolution hat die Regierung die Bauern dazu angehalten, nur noch Reis anzubauen. Das ist jetzt ein großes Problem. Hinzu kommt, dass chemischer Dünger und Pestizide den Boden zerstört haben. Nun versuchen wir, wieder eine breitere Palette von Feldfrüchten einzuführen.

Aber die indonesische Regierung engagiert sich doch auch in der Katastrophenvorsorge, die die Folgen des Klimawandels einschließt?

Sie haben das Konzept „Desa Siaga“ (Wachsames Dorf) entwickelt, das zwischen 2005 und 2008 in allen 80.000 indonesischen Dörfern umgesetzt sein sollte. Jedes Dorf sollte ein kleines Gesundheitszentrum haben, eine Hebamme und zwei Gesundheitshelfer. Aber es ist völlig abwegig, anzunehmen, dass man das Problem auf diese Weise lösen kann. In den Dörfern herrscht eine patriarchale Gesellschaftsordnung. Dann kommt da eine junge Hebamme aus der Stadt, die alle Anstrengungen zur Prävention koordinieren soll. Außerdem hat jedes Dorf bereits eine Gruppe freiwilliger Gesundheitshelfer. Die Regierung wählt zwei von ihnen aus, die dann bezahlt werden. Der Rest von ihnen hat dann natürlich keine Lust mehr, unbezahlt zu arbeiten. Nach dem Tsunami vor fünf Jahren sprach jeder über Katastrophenprävention und schließlich rief das Gesundheitsministerium dieses Programm ins Leben. Aber es ist ein ziemlicher Fehlschlag.

Das Gespräch führte Gesine Wolfinger.

 

Sigit Wijayanta ist Geschäftsführer der Christlichen Stiftung für das Gesundheitswesen (Yayasan Kristen untuk Kesehatan Umum, YAKKUM) in Indonesien, einer Partner­organisation des Evangelischen Entwicklungsdienstes.

 

erschienen in Ausgabe 12 / 2009: Klimawandel: Warten auf die Katastrophe
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