In den frühen Morgenstunden beginnen beim ärztlichen Notdienst, der Polizei und der Feuerwehr in Sydney die Telefone Sturm zu läuten. Hunderte Menschen klagen über Atemnot und Panikattacken. Um sieben Uhr bricht der Berufsverkehr in Australiens Metropole zusammen, der Fährbetrieb im Hafen wird wegen mangelnder Sicht eingestellt. Denn hell wird es nicht an diesem 23. September. Die Stadt liegt in einem zähen, dunkelroten Dämmerlicht, das sich fast mit Händen greifen lässt. Was manch ein Sydneysider für den Beginn der Apokalypse hält, ist jedoch nur ein Sandsturm, der 75.000 Tonnen roten Staubs aus dem Landesinneren über Australiens Ostküste verteilt.
Nicht nur die Bürger reagieren erschrocken, sondern auch die Fachleute. Jane Golding vom meteorologischen Dienst der Stadt meint verstört: „So etwas habe ich noch nie gesehen.“ Sie wird sich wohl an derartige Phänomene gewöhnen müssen, denn das australische Department of Environment and Climate Change beobachtet inzwischen rund zehn Mal so viele Staubstürme wie in der Vergangenheit. John Leys, der dort als Wissenschaftler tätig ist, sagt: „Wir haben mittlerweile die heißesten Sommer in der Geschichte Australiens und seit acht Jahren herrscht Dürre.“ Also wird es für den Wind immer leichter, die ausgedörrte Erdkrume mitzunehmen.
Der Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der UN ist eindeutig: „In Australien ist der Druck der Klimaveränderung bereits jetzt zu spüren.” Diese ungemütliche Vorreiterposition hat sich das Land selbst erarbeitet: Gemessen in CO2-Emissionen pro Einwohner ist Australien direkt nach den USA der größte Umweltverschmutzer der Erde. Das liegt erstens am schnellen Wachstum, Australiens Wirtschaft legte in der vergangenen Dekade um rund 40 Prozent zu. Zweitens gewinnt das Land die dazu notwendige Energie fast gänzlich aus der Verstromung heimischer Kohle. Und Australien ist der weltweit größte Exporteur von Kohle.
Autorin
Barbara Bierach
ist freie Journalistin in Australiens Hafenmetropole Sydney.Diese Gemengelage macht das Land zum Testfall für die gegenwärtige Klima-Diskussion: Genau das wirtschaftliche Verhalten, das bislang den australischen Wohlstand garantiert hat, wird plötzlich für alle spürbar ein Auslöser von Katastrophen. Wie das kleine, aber reiche Land mit nur 21 Millionen Einwohnern darauf politisch und wirtschaftlich reagieren wird, könnte Modellcharakter für die Welt bekommen. Die Frage ist nur, ob Australien als Vorbild in die Geschichte eingehen wird oder aber als abschreckendes Beispiel.
Die große Insel im Südpazifik ist nach Antarktika der trockenste Kontinent der Erde. So sind die Folgen des Klimawandels nicht nur bei Sandstürmen und zwischen den Zähnen zu spüren. In Victoria im Süden des Landes kosteten Waldbrände im vergangenen Sommer hunderte Menschen das Leben. Im Norden sterben Teile des Great Barrier Reefs aufgrund der steigenden Wassertemperaturen. Während immer höhere Fluten an den Küsten die Immobilien mit Meerblick bedrohen, fehlt an Land das Süßwasser. Das Flusssystem Murray-Darling im Südosten des Kontinents, wo ein Drittel aller australischen Lebensmittel produziert wird, ist am Versiegen. Weil die Pegel nach Jahren der Dürre überall Tiefstände erreichen, hat die Regierung in vielen Gebieten den Bauern den Hahn zugedreht, obwohl die gesamte Kartoffelernte, 95 Prozent der Obst- und 90 Prozent der Wein- und Gemüseernte von künstlicher Bewässerung abhängen.
Die Farmer reagieren mit Sparversuchen und haben angeboten, künftig 300 Milliarden Liter pro Jahr weniger aus dem Fluss zu entnehmen. Das reicht jedoch nicht, um den Fluss zu retten. So hat der Staat begonnen, große Farmen aufzukaufen, damit sie dem Murray-Becken kein Wasser mehr entnehmen. Ein Sprecher der betroffenen Farmer, Stewart Ellis, prognostiziert, das werde „die Lebensmittelproduktion verringern und die Versorgungssicherheit schwächen“. Dies hat schon begonnen: Das australische Statistische Amt meldet, dass sich viele Nahrungsmittel seit 2002 um 180 Prozent verteuert haben.
Auch Trinkwasser wird teurer. Zum Beispiel in Sydney: Weil es kaum Kläranlagen gibt, trinkt man hier Regenwasser. Das wird in großen Reservoirs aufgefangen. Die gegenwärtige Dürre bedeutet, dass der Stadt bis 2015 rund 275 Milliarden Liter Trinkwasser fehlen könnten – das entspricht in etwa der Hälfte des Volumens des gigantischen Naturhafens von Sydney. Einem typischen Haushalt, der heute rund 270 Liter Wasser am Tag verbraucht, stünde dann nur noch die Hälfte dieser Menge zur Verfügung.
Die Stadtwerke reagierten zunächst mit Rationierungen: Gärten dürfen nur noch frühmorgens oder abends gegossen werden, Autos mit dem Schlauch zu waschen, ist verboten. Außerdem verteilt die Stadt Bastelsets, die Toiletten und Duschköpfe sparsamer machen, und es gibt Geldgeschenke für Käufer verbrauchsarmer Waschmaschinen. Wer einen Tank zum Auffangen von Regenwasser im Garten installiert, kriegt gar einen Zuschuss von umgerechnet 750 Euro. Aber die Hälfte des Wassers kann man so nicht einsparen. Deshalb haben die Stadtväter entschieden, das Problem grundsätzlich anzugehen. Leighton Holdings, eine der größten Baufirmen des Landes, an der die Essener Hochtief AG 52 Prozent des Kapitals hält, stellt gerade eine gigantische Meerwasser-Entsalzungsanlage fertig. Greg Taylor, der zuständige Manager, sagt: „Das wird Sydneys Versicherungspolice, damit der Stadt nicht irgendwann das Wasser ausgeht.”
Doch selbst die gewaltige Anlage, die bis zu 500 Millionen Liter Trinkwasser am Tag produziert, kann nur einen Teil der rund 1,4 Milliarden Liter Wasser liefern, die Sydney derzeit täglich säuft. „Auf die Dauer werden wir in den Bau von Kläranlagen einsteigen müssen”, meint Taylor, der die Lösung für die Wasserprobleme in die Formel packt: „Ein Drittel Regen, ein Drittel Recycling, ein Drittel Entsalzung.“ Aber die Bevölkerung will kein recyceltes Trinkwasser. Der Verweis auf London, Berlin oder Paris, wo man selbstverständlich aufbereitetes Wasser trinkt, kann einen echten Australier nicht von dem Glauben abbringen, Recycling bedeute, stinkendes Abwasser zu schlucken. Bleibt die Entsalzung, doch die ist energieintensiv. David Waite, Wasserexperte an der Universität von New South Wales in Sydney, sagt: „Höherer Energieverbrauch erhöht den Ausstoß an Kohlendioxid. So verstärken wir wiederum den Klimawandel und damit das Problem, das den Wassermangel erst verursacht. Keine intelligente Spirale.“
Die britische Wirtschaftsberatung Vivid Economics hat die G20-Nationen nach ihrer Bereitschaft aufgelistet, sich auf den Klimawandel einzustellen. Australien kam auf Platz 15, das ist der schlechteste Wert aller vertretenen Industrienationen. Der Grund dafür ist Australiens Abhängigkeit von der Kohle. Das Land generiert 85 Prozent seiner Energie aus Kohle und müsste 25 Atomreaktoren bauen, um nur rund ein Drittel seines Energieverbrauchs daraus statt aus fossilen Quellen zu decken. Die Kohleförderung steht für zwei Prozent des Bruttosozialprodukts und 30.000 Arbeitsplätze, ihre Verstromung für 75 Prozent der australischen CO2-Emissionen.
Weltweit werden 2030 rund 45 Prozent des Ausstoßes an Klimagasen aus der Kohlenutzung stammen, heute sind es 41 Prozent. Der Zuwachs ist vor allem vom steigenden Energiehunger in Indien und China getrieben, die beide große Mengen des schwarzen Golds aus Australien importieren. Die Internationale Energieagentur prognostiziert die Verdopplung des Weltenergiebedarfs bis 2030, wobei der Anteil des Stroms aus Kohle von heute 40 auf 45 Prozent steigen werde. Der Brennstoff dazu wird zu großen Teilen aus Australien kommen. Denn Kohle ist hier leicht und billig zu fördern, und die Resourcen sind gigantisch – knapp 9 Prozent der Schwarzkohlereserven des Planeten liegen in Australien.
Die australischen Politiker aller Parteien haben sich jahrzehntelang auf diesem Reichtum ausgeruht und Warnungen aus der Wissenschaft ignoriert. Der bis Ende 2007 regierende konservative Premierminister John Howard wollte nichts unternehmen, was dem heimischen Bergbau schaden könnte; er weigerte sich, das Kyoto-Protokoll zu ratifizieren, und leugnete den Klimawandel. Den Bürgern jedoch wurde die Kohlefixiertheit des Landes und die Ignoranz ihrer Führer zunehmend unheimlich. Im März 2007 setzten 2,2 Millionen Sydneysider ein Zeichen mit der ersten „Earth Hour“, einer symbolischen Aktion, bei der einen Abend lang alle Bürger das Licht ausmachen, um ihrer Besorgnis ums Klima Ausdruck zu verleihen. Das hat weltweit Nachahmer gefunden: Inzwischen schalten in 4000 Städten und 88 Ländern die Menschen am letzten Samstagabend im März das Licht aus.
Im Dezember desselben Jahres gewann in Australien der Sozialdemokrat Kevin Rudd die Wahl – auch weil er Lösungen für das Klimaproblem versprach. Am Tag nach seinem Amtsantritt ratifizierte er das Kyoto-Abkommen. Inzwischen jedoch knickt er unter dem Druck aus der Kohlelobby und den Gewerkschaften ein: Ein Arbeitspapier seiner Regierung sieht bislang vor, die CO2-Emissionen bis 2020 nur um fünf Prozent gegenüber dem Stand des Jahres 2000 zu verringern; maximal will sich Canberra auf 15 Prozent einlassen und auch das nur, wenn andere sehr große Verschmutzer ambitionierte Ziele verkünden. Barry Brook, der Direktor des Forschungsinstituts für Klimawandel an der University of Adelaide, sagt, das sei „so erbärmlich wenig, dass wir in Sachen Klimawandel auch gleich die weiße Fahne der Kapitulation hochziehen können“.
Gegenwärtig wird vor allem um die Einführung des Emissionshandels gestritten. Er soll nicht nur den Gesamtausstoß deckeln, sondern auch auch einen Preis für Emissionen einführen. Künftig sollen in Australien also Marktmechanismen dafür sorgen, dass Kohle effizienter und schadstoffärmer genutzt wird. Soweit die Theorie. Praktisch will die Regierung aber ausgerechnet für besonders energieintensive Verschmutzer wie die Aluminium- und Stahlindustrie, die Ölraffininerien, Erdgasproduzenten und in den ersten Jahren auch für die Landwirtschaft einen Freibrief ausstellen. Die konservative Opposition findet selbst das noch wirtschaftsfeindlich.
Immerhin will die Regierung, dass bis 2020 ein Fünftel der in Australien verbrauchten Energie aus erneuerbaren Quellen gewonnen wird; derzeit sind es nur sieben Prozent. Vielen ist auch das nicht genug. Andrew Blakers vom Center for Sustainable Energy Systems an der Australian National University beispielsweise glaubt, „dass in einem Land mit 300 Tagen Sonne im Jahr Solarenergie die tragende Rolle spielen könnte“. Das finden auch viele Bürger und stimmen mit dem Geldbeutel ab: Die Regierung verzeichnet gerade eine Rekordzahl an Anträgen von Privatleuten, die für die Installation von Solarzellen auf ihren Dächern Hilfe wollen.
Auf vielen davon wird wohl bald der nächste Staubsturm Teile seiner Last abladen. Denn wie das Meteorologische Institut meldet, fiel im Hinterland der Ostküste in den vergangenen sechs Monaten so wenig Regen wie in den zehn schlechtesten der vergangenen hundert Jahre. Die Australier dürften noch oft mit den Zähnen knirschen – vor Staub und vor Wut.