4000 Tote. Das ist der Blutzoll, den Terrorattacken in Burkina Faso, Mali und Niger im vergangenen Jahr gefordert haben. Innerhalb von vier Jahren hat sich die Zahl der Opfer verfünffacht. Fast die Hälfte der Morde an Sicherheitskräften und der Zivilbevölkerung hat sich in Burkina Faso ereignet, dem neuen Tummelplatz islamistischer Gewalttäter. Algerien, Libyen und Nigeria haben den Kampf um territoriale Integrität gegen den Dschihad bereits verloren. Und wie ein Krebsgeschwür fressen sich die Konflikte in die südlichen Küstenländer Côte d’Ivoire, Ghana, Togo und Benin.
Fast ein Jahrzehnt regionaler und internationaler militärischer Einsätze eines Konglomerats unzureichend koordinierter multinationaler Streitkräfte neben den Truppen der Sahelstaaten hat nur bescheidene Erfolge gebracht. Weder sind die gewalttätigen Extremisten verschwunden, noch hat sich die Sicherheitslage in den betroffenen Ländern verbessert. Die Zahl der Todesopfer in diesen Konflikten und der Menschen, die flüchten oder gewaltsam vertrieben werden, ist dagegen kontinuierlich gestiegen.
Kritik an ausländischer Intervention
Die französische Regierung, die mit über 5000 Soldaten das bei weitem größte Kontingent entsendet, sieht sich in Mali, Niger und Burkina Faso mit einer wachsenden öffentlichen Kritik an der ausländischen Intervention konfrontiert. Bei einem Treffen in Südfrankreich Anfang dieses Jahres musste Präsident Macron die Staatschefs der Sahelländer zu einem Treueschwur animieren, bevor er die Entsendung weiterer Soldaten und die Gründung einer Sahelkoalition ankündigte. Doch diese benötigt die Bereitschaft in Afrika, Europa und bei den Vereinten Nationen, sich stärker in der Region zu engagieren.
Die Sicherheitskräfte der Sahelländer, die aufgrund ihrer Brutalität von den lokalen Bevölkerungen mehr gefürchtet denn unterstützt werden, sind den asymmetrischen Auseinandersetzungen noch weniger gewachsen als ihre ausländischen Kameraden. In diesen Leerraum stoßen Milizen wie die Koglwéogo in Burkina Faso vor, die neben der Verteidigung ihrer Kommunen gewaltsam gegen ethnische Minderheiten vorgehen.
Schon im Jahr 2013 haben die Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union (AU) die Kampagne „Silencing the guns in Africa by 2020“ ins Leben gerufen. Das gleichnamige Motto des diesjährigen AU-Gipfels kann man zwar als Bekräftigung der afrikanischen Regierungen verstehen, Krieg, Terrorismus und bewaffnete Konflikte auf dem Kontinent beenden zu wollen. Doch trotz eines wachsenden Bekenntnisses zur afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur lehnen die AU-Mitglieder militärische Interventionen mehrheitlich ab und bevorzugen Dialog und Diplomatie, um Konflikte zu beenden oder zu verhüten, erklärte AU-Kommissar Smaïl Chergui auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar. Seine jüngste Ankündigung, 3000 Soldaten für ganze sechs Monate in den Sahel zu entsenden, ohne Termin oder Modalitäten zu nennen, ist daher mit Vorsicht zu genießen.
Stärke als Vermittler
Die Stärke der AU liegt überdies nicht im Militär, sondern in der Mediation. So hat sie in den vergangenen Jahren mittels Pendeldiplomatie Konflikte wie im Sudan entschärft oder sich als Vermittler in der Zentralafrikanischen Republik durchgesetzt. Im Sahel, in Libyen, in Algerien und in Nigeria hingegen ist ihr Einfluss bislang begrenzt geblieben – vielleicht weil bisher in diesen Ländern Afrikaner und auswärtige Kräfte einseitig auf militärische Intervention gesetzt haben.
Gefragt ist eine Nachkriegsordnung für den Sahel. Wie soll die Region nach einer erfolgreichen Befriedung aussehen? Stehen Ressourcen für die Stabilisierung der Staaten, für die regionale Mediation unter Einschluss der Extremisten und für die wirtschaftliche Entwicklung langfristig zur Verfügung, auch dann noch, wenn die Waffen schweigen?
Präsident Macron hat angekündigt, dass Ende März am Rande einer Sitzung des EU-Rates die EU-Mitglieder neben den Ländern der G5 Sahel (Mauretanien, Mali, Niger, Burkina Faso, Tschad), den UN und der AU stärker in eine gemeinsame Verantwortung genommen werden. Selbst wenn diese Zusammenkunft, der im Juni eine Konferenz in Nouakchott in Mauretanien folgen wird, aufgrund der Corona-Krise verschoben werden muss, sollte sie als Schritt zu einer internationalen Sahelpolitik begriffen werden, die ziviles und militärisches Engagement berücksichtigt und afrikanische Akteure in den Mittelpunkt stellt. Die AU selbst wird voraussichtlich im Mai eine Folgekonferenz zu „Silencing the guns“ in Südafrika veranstalten, bei der die Sahelkrise bislang aber noch nicht prominent auf der Tagesordnung steht.
Russland und Türkei spielen wichtige Rollen
Noch sitzen die Sahelanrainer wie Benin oder Togo, aber auch wichtige Partner Afrikas nicht mit am Tisch. China ist bereits in afrikanische Sicherheitsfragen involviert. Es hat zu einer internationalen Unterstützung der G5 Sahel Joint Force aufgerufen und teilt die Auffassung, dass für Frieden die Ursachen der Konflikte beseitigt werden müssen. Russland spielt für den Ausgang des Bürgerkriegs in Libyen, einer Quelle der Instabilität in der Region, eine wichtige Rolle und hat auch zu den Sahelstaaten zunehmend stabile Verbindungen, die sich vorwiegend auf militärische Fragen beziehen. Beim ersten russischen Afrikagipfel im Herbst 2019 in Sotschi wurde Präsident Putin vom G5-Vorsitzenden, dem burkinischen Präsidenten Kaboré aufgefordert, eine strategische Partnerschaft mit der Ländergruppe einzugehen. Und schließlich muss die Türkei mit ihren wirtschaftlichen Interessen auf dem Kontinent berücksichtigt werden. Ankara fördert in begrenztem Ausmaß bereits jetzt militärische Operationen der Sahelstaaten.
Es ist nicht davon auszugehen, dass Frankreich ein solch innovatives internationales Vorgehen in seiner „chasse gardée“, seinem Einflussgebiet, euphorisch vorantreibt. Bislang war man es im Elysée gewohnt, dass sich die Länder Westafrikas in eine französisch dominierte Befehlskette integrieren. Hier ist nun die Afrikanische Union gefragt. Sie sollte mit Unterstützung aus Deutschland und anderen EU-Staaten die Chance nutzen, sich als der Baumeister einer afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur zu profilieren, und Schritt für Schritt die politische Führung für regional übergreifende Interventionen in Afrika übernehmen. Die operative Verantwortung für die militärischen Einsätze in der Region müsste einer um die südlichen und nördlichen Sahelanrainer erweiterten Gruppe oder der 1998 in Tripoli gegründeten Gemeinschaft der Sahel-Sahara-Staaten übertragen werden.
Ein solches Zukunftsszenario mag angesichts der aktuellen Verfassung von Afrikanischer und Europäischer Union sowie der Vereinten Nationen und der Regierungen der Sahelzone utopisch erscheinen. Doch solange Afrikaner nicht mehr Verantwortung übernehmen, wird es im Sahel weder zu Frieden noch zu Entwicklung kommen. Die Konsequenzen eines „Weiter so“ wären angesichts der schnell wachsenden Bevölkerung, der begrenzten Ressourcen und der perspektivlosen Jugend fatal – für die Sahelländer, für Afrika und für Europa.
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