Etwas irritierend war das schon, als mir vor einigen Jahren in Tansania der Mitarbeiter der örtlichen Filiale der Solarenergiefirma Mobisol ungefragt einen tiefen Blick in seine Kundendatei gewährte. Auf dem Bildschirm poppte das Foto eines Kunden auf, samt Adresse und Angaben zum Familienstand, zum Einkommen und zu den Konsumgewohnheiten – ziemlich sensible Daten also, die man einem aus Deutschland angereisten Journalisten eigentlich nicht so ohne weiteres präsentieren sollte. Das Berliner Unternehmen verkauft kleine Solaranlagen, die Kunden zahlen in Raten, die Firma braucht also Informationen über die Kreditwürdigkeit. Aber Mobisol wolle die Daten außerdem in der Zusammenarbeit mit anderen Firmen nutzen, die Konsumgüter oder Versicherungen verkaufen, erklärte mir der Mitarbeiter damals: „Dank unserer Kundendaten wissen wir, wer Interesse daran haben könnte und wer es sich leisten kann. Wir wollen das Amazon Afrikas werden.“
Daraus ist zwar nichts geworden, denn Mobisol ist vor einem Jahr pleitegegangen und wurde von einem französischen Konzern übernommen. Aber das Geschäft mit den Daten lebt weiter, auch in Afrika. In Ghana etwa arbeitet der Anbieter einer Smartphone-App für Kleinbauern mit Banken zusammen, bei denen die Bauern Kredite aufnehmen können. Der App-Anbieter prüft für die Geldhäuser anhand der Daten die Bonität der Nutzer. Die Bauern erhalten die App dafür kostenlos – beziehungsweise zahlen mit ihren Daten. Auch Düngemittel- und Pestizidhändler sind an den Informationen interessiert, hat der Journalist Marc Engelhardt herausgefunden. Solche Deals sind an sich schon fragwürdig, erst recht aber auf einem Kontinent, auf dem es mit dem Datenschutz nicht weit her ist: Laut der UN-Handelsorganisation UNCTAD hat nur die Hälfte der Staaten Afrikas entsprechende Gesetze, und die sind in der Regel längst nicht so streng wie etwa in der Europäischen Union.
Aber nicht nur Unternehmen sind heiß auf die Daten ihrer Kunden. Auch in der Entwicklungszusammenarbeit gelten sie längst als wertvolle Ressource, von der man kaum genug kriegen kann, um wirksam zu arbeiten. Einen kräftigen Anstoß hat diese Denkweise mit den vor fünf Jahren verabschiedeten UN-Nachhaltigkeitszielen (SDGs) bekommen: In der Agenda 2030, dem Konzeptpapier zu den SDGs, heißt es auf den 40 Seiten mehrmals, wie wichtig aktuelle, schnell verfügbare und möglichst detaillierte Informationen über die Bevölkerung seien, um die Ziele zu erreichen. Das Papier schweigt hingegen zu den Gefahren solcher Datensammelei und zur Notwendigkeit eines funktionierenden Datenschutzes.
Das WFP missachte eigene Datenschutzstandards
Befeuert wird der Hype um Daten von der Faszination digitaler Technologien, der auch viele Entwicklungsfachleute erliegen. Dabei lässt sich wohl heute schon sagen: Wenn im Jahr 2030 der Hunger immer noch nicht besiegt sein sollte, so wie es die SDGs anstreben, dann wird das viele Gründe haben, aber bestimmt nicht den, dass zu wenig Daten über die Hungernden gesammelt wurden.
Wie heikel der Umgang mit Daten in der Entwicklungszusammenarbeit ist, hat das UN-Welternährungsprogramm WFP vor gut zwei Jahren bescheinigt bekommen. Die Organisation, die in Krisengebieten Nahrungsmittelhilfe oder Gutscheine verteilt, speichert die persönlichen Daten von mittlerweile 40 Millionen Hilfeempfängern in einer zentralen Datenbank, darunter viele Millionen mit Fotos und biometrischen Daten wie Fingerabdrücken. Eine Untersuchung kam laut dem Onlineportal „The New Humanitarian“ Ende 2017 zu dem Ergebnis, dass die Sicherung dieses Schatzes große Mängel aufweise: Das WFP missachte Datenschutzstandards, die es sich selbst gesetzt habe. Fachleute sagten damals, ähnliche Missstände gebe es vermutlich ebenso bei vielen anderen Hilfsorganisationen.
Doch langsam wächst das Bewusstsein für einen behutsamen Umgang mit sensiblen Daten. Die Hilfsorganisation Oxfam hat vor zwei Jahren in einer Studie Vorteile und Risiken einer Nutzung biometrischer Daten abgewogen und als Ergebnis entschieden, bis auf weiteres darauf zu verzichten. Und das UN-Büro für humanitäre Hilfe hat vor einem Jahr Richtlinien für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Daten vorgelegt.
Statt jedem Technologietrend hinterherzuhecheln, sollte die Entwicklungszusammenarbeit dem sperrigen Thema Datenschutz mehr Aufmerksamkeit widmen. Vor allem in der humanitären Hilfe muss er oberste Priorität haben. Es ist eine Sache, aufgrund von Datenmissbrauch ungebeten Werbung für irgendwelchen Ramsch zu bekommen. Ein Alptraum hingegen ist die Vorstellung, der Datensatz einer Hilfsorganisation könnte in einem Krisengebiet wie Syrien in die Hände einer Kriegspartei geraten und von ihr missbraucht werden.
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