Grenzüberschreitende Solidarität
Die Burakumin unterscheiden sich weder ethnisch noch religiös von der japanischen Mehrheitsbevölkerung. Lediglich die Zugehörigkeit ihrer Vorfahren zu bestimmten, als unsauber geltenden ...
Was bedeutet Burakumin?
Ken Mizutani: Im Mittelalter wurden Menschen, die als Bestatter, Totengräber, Schlachter oder Gerber arbeiteten, von der Gesellschaft ausgeschlossen. Im Buddhismus und im Shintoismus galten alle Berufe als unrein, die mit Tod, Blut oder Tieren zu tun hatten. Später wurden auch Tänzer, Musiker oder Schauspieler als unrein bezeichnet. Angehörige dieser Berufsgruppen durften nur in bestimmten Gebieten, den Buraku, wohnen. Daher stammt der Name Burakumin. Sie hatten eigene Tempel und durften die Häuser von Nicht-Burakumin nicht betreten. Oft waren sie zu arm, um ihre Kinder zur Schule zu schicken.
Bis wann wurde dieses System der Ghettoisierung aufrechterhalten?
Ken Mizutani: Das Gesetz zur Aufhebung der Buraku und zur Gleichstellung ihrer Bewohner wurde bereits 1871 verabschiedet. Sie werden aber bis heute diskriminiert.
Wie leben sie heute?
Heiwa Kataoka: Nur noch wenige von ihnen arbeiten in den traditionellen Branchen. Die meisten haben andere Berufe. Aber keiner von ihnen würde seine Abstammung zugeben.
Warum?
Heiwa Kataoka: Weil sie nach wie vor mit Diskriminierung rechnen müssen. Das Konzept der Blutsverwandtschaft und der Abstammung sind in der japanischen Tradition tief verwurzelt. Es wird immer noch als sehr wichtig erachtet, von welcher Familie man abstammt und wer die eigenen Vorfahren sind.
Welche Benachteiligungen erfahren die Burakumin?
Ken Mizutani: Bei der Eheschließung gibt es Probleme. Wenn zwei Menschen heiraten wollen und es kommt heraus, dass einer der beiden Burakumin ist, verbietet oft die Familie des anderen die Ehe. Auch auf dem Arbeitsmarkt gibt es Schwierigkeiten. Manche Firmen stellen niemanden ein, der von Burakumin abstammt.
Woher wissen die Firmen von der Abstammung eines Bewerbers?
Ken Mizutani: Oft ist der Geburtsort ein Hinweis darauf. Schließlich mussten die Burakumin lange Zeit in Ghettos leben. Aber es gibt auch Agenturen, die sich darauf spezialisiert haben, im Privatleben von Menschen herumzuschnüffeln. Die alten Vorurteile, dass Burakumin faul und gewalttätig sind, herrschen immer noch vor.
Was tut die Kirche gegen die Diskriminierung der Burakumin?
Ken Mizutani: Die Vereinigten Kirchen Christi in Japan (Kyodan) haben 1981 das Buraku-Befreiungszentrum in Osaka gegründet. Einige Menschen in der Kirche hatten festgestellt, dass selbst unter Christen die Burakumin unter Diskriminierung litten. Es hatte einige Fälle gegeben, in denen Burakumin nicht Pfarrer werden durften. Dann kam es auch vor, dass sie das Abendmahl getrennt von den anderen feiern mussten. Dagegen wollte man etwas tun.
Welche Aufgabe hat das Befreiungszentrum?
Heiwa Kataoka: Wir organisieren Seminare oder Vorlesungen zu dem Thema. Wir geben Publikationen heraus. Oder wir rufen zur Solidarität mit den Burakumin in den Gemeinden des Kyodan auf. Seit zwei Jahren organisieren wir eine landesweite Kampagne, mit der wir die Wiederaufnahme des Prozesses im sogenannten Sayama-Fall fordern. Vor 40 Jahren wurde Kazuo Ishikawa, ein heute 70-jähriger Burakumin, verhaftet und des Mordes an einer jungen Frau angeklagt. Obwohl es offensichtlich ist, dass Ishikawa gar nicht der Mörder gewesen sein kann, ist er nie rehabilitiert worden. Er hat 30 Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht.
Das Buraku-Befreiungszentrum hat enge Kontakte zu den Solidaritätsbewegungen der Dalits in Indien und der Sinti und Roma in Deutschland. Was bringt Ihnen diese Zusammenarbeit?
Heiwa Kataoka: Es ist für uns sehr ermutigend, Menschen in anderen Ländern zu treffen, die sich ebenfalls im Kampf gegen Diskriminierung engagieren. Unsere Arbeit fällt uns manchmal schwer, weil die Mehrheit der Menschen in Japan nicht versteht, warum wir uns überhaupt für die Interessen der Burakumin einsetzen. Immer wieder fühlen wir uns auf einsamem Posten. Da tut es gut, von anderen zu hören und zu lernen. Als wir bei der Jubiläumsveranstaltung des Arbeitskreises Sinti, Roma und Kirchen in Ulm waren, haben wir gehört, dass im Mittelalter die Metzger in Ulm von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen wurden – wie die Burakumin in Japan. Mit der Erfindung des Buchdrucks und der Vervielfältigung der Bibel änderte sich das. Aufgrund der Geschichte des Hauptmanns Cornelius, in der der Apostel Petrus sagt, Gott habe ihm gezeigt, keinen Menschen gemein oder unrein zu heißen, wurden die Metzger wieder in die Gesellschaft integriert. Diskriminierung steht im Gegensatz zum Evangelium. Und gegen Diskriminierung zu kämpfen, ist eine Frage des eigenen Glaubens.
Das Gespräch führte Katja Dorothea Buck.
Ken Mizutani ist Gemeindepfarrer in Osaka. Heiwa Kataoka studiert Soziologie und engagiert sich ehrenamtlich in der kirchlichen Burakumin-Arbeit.