Gambia und die Organisation für Islamische Zusammenarbeit, der 57 Staaten angehören, beschuldigen Myanmar, die Genozid-Konvention der Vereinten Nationen von 1948 verletzt zu haben: Die Regierung habe versucht, „die Rohingya teilweise oder ganz als Gruppe zu zerstören“. Es ist beachtlich, dass ein kleines Land wie Gambia, dessen Bevölkerung zu 90 Prozent muslimisch ist, sich auf diesem Wege mit der muslimischen Minderheit in Myanmar solidarisch zeigt – immerhin arbeitet Gambia gerade selbst die Schrecken der 22-jährigen Diktatur unter dem vor zwei Jahren entmachteten Langzeitpräsidenten Yayha Jammeh auf.
Man hätte doch erwarten können, dass westliche Länder, die die Menschenrechte immer so hochhalten, oder mächtige muslimische Länder den Rohingya zur Seite stehen. Dass Gambia die Initiative ergreift, liegt wohl auch in der Person des Justizministers und Generalstaatsanwalts des Landes begründet: Abu Tambadou war Ankläger des Ruanda-Tribunals zum Völkermord dort im Jahre 1994. Er weiß, wie es ist, wenn Verbrechen gegen die Menschlichkeit von der Weltgemeinschaft einfach hingenommen werden.
Gambia stützt sich bei seiner Klage hauptsächlich auf den 440 Seiten starken Bericht, den UN-Ermittler in einjähriger Recherche zu Myanmar zusammengetragen haben. Er beschreibt etwa Säuberungsaktionen des Militärs im nördlichen Rakhine-Staat im Oktober 2016, wo die meisten der Rohingya leben. Im August 2017 sind nach weiterem brutalem Vorgehen des Militärs mehr als 700.000 von ihnen ins Nachbarland Bangladesch geflohen. Der Bericht beschreibt auch Massaker, Morde an Frauen, Kindern und Alten ebenso wie Massenvergewaltigungen, niedergebrannte Dörfer und Plünderungen. „Die Schätzungen von 10.000 ermordeten Rohingya sind konservativ“, sagt Marzuki Darksman, Vorsitzender der UN-Kommission.
Entscheidung über einstweilige Verfügung
In dem jetzigen Eilverfahren vor dem Internationalen Gerichtshof fordert Gambia, dass Myanmar alles tun muss, um die noch im Land lebenden Rohingya vor weiteren Angriffen und Gräueltaten zu schützen. Die Entscheidung über solch einstweilige Verfügungen fällt das Gericht wohl in den nächsten Wochen. Das Verfahren, ob Myanmar tatsächlich einen Völkermord begangen hat, kann sich hingegen Jahre hinziehen.
Die Hürden sind sehr hoch, dass Morde an einzelnen Volksgruppen tatsächlich als Völkermord verurteilt werden. Denn es muss die tatsächliche Absicht nachgewiesen werden, eine „nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören“. Ob dafür die UN-Berichte ausreichen, ist unklar. Allerdings kommen die Fachleute darin zu dem Schluss: „Die Verbrechen in Rhakine und die Art, wie sie begangen wurden, ähneln in ihrer Art, Schwere und im Umfang Verbrechen anderswo, bei denen Völkermord als Absicht festgestellt wurde.“
Nur dreimal sind Völkermorde anerkannt worden
Seit dem Zweiten Weltkrieg sind nach internationalem Recht nur dreimal Völkermorde anerkannt und verurteilt worden, von Sondertribunalen, nicht vom Internationalen Gerichtshof – und dies jeweils Jahre oder gar Jahrzehnte, nachdem die Verbrechen begangen wurden. In Kambodscha wurden erst 40 Jahre nach der Ermordung von 1,7 Millionen Menschen zwei Generäle der Roten Khmer verurteilt. Nach dem Völkermord in Ruanda, bei dem innerhalb von 100 Tagen mehr als 800.000 Tutsi getötet wurden, verurteilte der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda 1998 den ersten Angeklagten. 2007 erkannte der Internationale Gerichtshof das 1995 begangene Massaker im bosnischen Srebenica als Völkermord an und folgte damit den Urteilen des UN-Kriegsverbrechertribunals. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass nie ein ganzes Land wegen Völkermords verurteilt wurde, sondern immer nur einzelne Generäle oder Machthaber. Daher ist es auch im Fall von Myanmar unwahrscheinlich, dass dass das ganze Land schuldig gesprochen wird.
Aber immerhin muss sich jetzt eine noch amtierende Regierung ihrer Schuld stellen. Dass sie bei der Aufarbeitung der Verbrechen nicht kooperieren wird und stattdessen ihr Militär verteidigt, hat die Aussage von Außenministerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi vor dem IGH gezeigt. Und während andere mächtige Nationen scheinbar aus der Geschichte nichts gelernt haben und wieder nur zuschauen, ergreift ausgerechnet ein kleines armes Land in Afrika mehr als 11.000 Kilometer entfernt von Myanmar die richtige Initiative. Gambia erinnert die Weltgemeinschaft daran, dass man sich 1948 auf internationale Gesetze und Konventionen geeinigt hat, die es einzuhalten gilt. Das beweist viel Stärke, Menschlichkeit und vor allem den Einsatz für Gerechtigkeit.
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