Die Landschaft ist bestechend schön: Vom Ufer des Atitlánsees richtet sich der Blick auf die drei Vulkane Atitlán, San Pedro und Tolimán. Den französischen Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry hat die Berg- und Vulkanlandschaft nach einem Aufenthalt 1938 so fasziniert, dass er sie Jahre später in den Zeichnungen und der Geschichte „Der kleine Prinz“ verewigt hat. Für viele Urlauber aus den USA oder Europa sind die Orte Panajachel, San Pedro oder San Marcos zu Aussteigerparadiesen geworden.
Die Bewohner der Dörfer rund um den See sind stolz darauf, dass ihre Heimat Menschen aus aller Welt anzieht. Sie gehören verschiedenen Volksgruppen der Maya an, vornehmlich den Kakchiquel und den Tzutuhil; ihre bunten Trachten prägen das Bild des Sees ebenso wie die Fischer mit ihren eckigen Holzbooten. Das nutzen die guatemaltekischen Tourismusbehörden gerne: Selbstbewusst bewerben sie den Lago de Atitlán, der fast doppelt so groß ist wie der Chiemsee, als „schönsten See der Welt“.
Autorin
Saara Wendisch
war bis August 2012 Volontärin bei "welt-sichten".Doch im Herbst 2009 fand die fröhliche Werbebotschaft ein plötzliches Ende. Aus dem einst klaren See wurde eine Kloake: Ein grün-brauner Algenteppich bedeckte ihn – eine Schicht, so dicht, dass sogar größere Motorboote darin stecken blieben. Es roch unangenehm und die Menschen versuchten verzweifelt, mit bloßen Händen die schleimigen Algen aus dem See zu fischen. Wer in direkten Kontakt mit ihnen kam, litt unter starken Hautreizungen. Gesundheits- und Umweltminister warnten die Anwohner vor den „giftigen“ Algen. Reisende blieben fern, denn die Hiobsbotschaft vom See verbreitete sich im ganzen Land und erreichte auch ausländische Medien. Die Algen verschwanden zunächst wieder, doch seitdem wiederholt sich das Szenario einmal im Jahr in abgeschwächter Form, zuletzt im Mai 2012.
Auch für die 27-jährige Juliana Mojica war es ein Schock, als sie zum ersten Mal die mehrere Zentimeter dicke Algenschicht auf dem See sah. Juliana kommt aus Guatemala-Stadt und arbeitet seit zweieinhalb Jahren im Öko-Hotel „Isla Verde“ in Santa Cruz. Dort Gäste. Doch wenn sie an die ökologische Misere denkt, verschwindet der heitere Ausdruck aus ihrem Gesicht. „Die Menschen glaubten , der Lago de Atitlán sei für immer verloren“, sagt sie.
Ob für Bootsfahrer, Hoteloder Ladenbesitzer – der See ist die Lebensgrundlage der meisten Anwohner. Er liefert ihnen nicht nur das Trinkwasser. Fast alle Einnahmen, abgesehen von der Landwirtschaft, stammen aus dem Tourismus. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Hotels, Internetcafés und Restaurants, insbesondere im Haupttouristenort Panajachel, schließen mussten. Und die Fischer, die mit dem Fisch hauptsächlich ihre Familien ernähren, wussten nicht mehr, ob ihr Fang sie künftig krank machen würde.
Die Blaualgen können jederzeit wieder massenhaft auftreten
Ihre Verbundenheit zur Natur hat Juliana hierher gelockt. Sie ist sichtlich erleichtert, dass die Algenplage bisher zu keinen größeren Schäden geführt hat und Pflanzen und Tiere im See überlebt haben. Doch sie bleibt vorsichtig. „Wir servieren zum Beispiel im Öko-Hotel keine Fische mehr. Sie könnten vergiftet sein“, erklärt Juliana. Denn die Algen sind tückisch: Ende April wirkt das Wasser in der Bucht von Santa Cruz so klar, dass Juliana jeden Morgen schwimmen geht. Nur drei Wochen später tauchen wieder vereinzelt Algen auf. Ihre Ursache sind Cyanobakterien im Wasser. Wenn sie massenhaft auftreten, bilden sie die als Blaualgen bezeichnete Schicht an der Oberfläche. Dann besteht die Gefahr, dass sie das Ökosystem zerstören.
Wie giftig die Bakterien sind, ist noch nicht erforscht. Zwar gibt es Cyanobakterien auch in anderen Ländern; die Unterart, die im Atitlánsee vorkommt, ist aber sehr selten. Julianas Schwester, die Biologin Angelika Mojica von der Universität Landivar in Guatemala- Stadt, untersucht sie gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern aus Guatemala und den USA. Sie kann noch keine Entwarnung für den See geben. Die Cyanobakterie befinde sich dauerhaft auf dem Grund, sagt Mojica. „Immer wenn es zu warm ist, vermehren sie sich.“ Dazwischen liegen Abstände von bis zu zwei Jahren. Von dem bereits im See enthaltenen Phosphat und den Nitraten können sich die Bakterien laut der Biologin noch mehrere Jahre ernähren. Die chemischen Stoffe stecken in Abwasser, Dünger, Waschmittel oder Müll. Vor dem Auftreten der Cyanobakterien kümmerten sich Wäschereien, Hotels und Restaurants kaum darum, was mit ihrem Abwasser passierte. Der Regen spülte Düngemittel und Abfälle in Zuflüsse oder direkt in den See. Nicht zuletzt zerstörte 2005 der Hurrikan Stan eine der wenigen funktionstüchtigen Kläranlagen, so dass weitere schädliche Stoffe wie Farbe in den See gelangten.
Doch Mojica betont auch, dass nach der ersten Algenplage 2009 ein Umdenken stattgefunden habe. „Die Menschen haben begriffen, dass sie mit ihrer Umwelt nicht so umgehen können.“ Ihre Schwester Juliana aus dem Öko- Hotel sieht das ähnlich. Umweltbewegungen haben mit zahlreichen Kampagnen dazu aufgerufen, den See sauber zu halten. „Recycle deinen Müll“ oder „Lass uns das Wasser filtern“ lauten ihre Botschaften. Auch Angelika Mojicas Wissenschafts-Team arbeitet eng mit der Bevölkerung zusammen. „Wir bringen den Menschen bei, warum sie ihren Müll trennen müssen und warum sie ihre Wäsche nicht im See waschen sollten.“ Waschmittel in Guatemala enthalte viel Phosphat, in der Europäischen Union sei das längst verboten, erklärt sie.
Der „umgekippte“ See ist offenbar zum Alarmsignal geworden – nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für die Regierung. Eric Barrientos, Agraringenieur und Berater für das Umweltmanagement der Regierung, berichtet in seinem Büro in Guatemala-Stadt stolz von einer modernen und energiesparenden Kläranlage, die derzeit in Panajachel fertiggestellt wird. Die Kosten in Höhe von etwa drei Millionen Euro werden über einen Kredit finanziert. Aber es sei schlicht zu teuer, in jedem Ort eine solche Anlage zu installieren, räumt er ein. Der jährliche Haushalt des Umweltministeriums beträgt gerade einmal rund 15 Millionen Euro.
Barrientos hält viel von einfacheren Methoden: Jeder Haushalt solle ein eigenes Filterbecken für Abwasser erhalten. Für den Bau der Betonbecken erhielten die Menschen Material und technische Unterstützung von Umweltorganisationen. Vielfach werden jetzt auch Öko-Toiletten installiert. Sie trennen in der Kloschüssel die flüssigen von den festen Fäkalien, da zu viel Urin die Gewässer überdüngt. Er wird abtransportiert und zu Dünger verarbeitet. Doch von diesen neuen WCs seien die Menschen zuerst nur schwer zu überzeugen gewesen. Die einen hätten noch nie eine Toilette benutzt und die anderen wollten ungerne auf eine Wasserspülung verzichten, erklärt Barrientos. Die Anwohner für die Veränderungen zu gewinnen sei das Schwierigste, sagt er. „Sie meinen, nur die Reichen sind für die Verschmutzung verantwortlich“, fügt er hinzu. Doch alle hätten ihren Anteil daran und müssten die neuen Vorschriften und Gesetze befolgen.
So dürfen Bauern nur noch organischen Dünger auf ihren Feldern verwenden. Die Schalen der Kaffeebohnen dürfen sie nicht mehr in den See werfen, denn auch wenn sie als organische Abfälle gelten, zerstört ihr Säuregehalt das ökologische Gleichgewicht. Das Altöl der Boote werde nicht mehr in die Landschaft gekippt, sondern von einer Firma entsorgt. Hotelbesitzer, die sich weigern, für ihre Abwasserentsorgung zu bezahlen, müssen mit Geldstrafen rechnen. Dasselbe gilt für Menschen, die ihren Müll einfach wegwerfen. Es sei noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, sagt Barrientos, aber vieles funktioniere mittlerweile recht gut.
Plastikflaschen und Chipstüten füllen die Straßengräben
Die Biologin Angelika Mojica ist da skeptisch. „Die Instandhaltung der teuren Kläranlage wird sich der Staat bald nicht mehr leisten können und dann wird sie wieder abgeschaltet“, lautet ihre ernüchternde Einschätzung. Ebenso bezweifelt sie, dass alle Bauern mittlerweile organischen Dünger benutzen: „Während des Wahlkampfes hat Präsident Pérez Molina versprochen, den Bauern Düngemittel zu schenken“, sagt sie. Ob die organisch sind, sei fraglich. Es ist fast drei Jahre her seit dem ersten Auftreten der Cyanobakterien und noch immer läuft in Santiago Atitlán, einer Stadt mit 35.000 Einwohnern, ungeklärtes Abwasser in den See.
Ungelöst sind zudem die Müllprobleme. Plastikflaschen und leere Chips-Tüten schwimmen in Flüssen und füllen die Straßengräben. Laut Regierungsberater Barrientos sind zwar Fortschritte zu verzeichnen. Der Müll werde mittlerweile fast überall abtransportiert und recycelt, berichtet er. Aus dem Plastik werden unter anderem Rohre hergestellt. Aber Susanne Heisse, die seit 20 Jahren gegen den Plastikmüll am Lago de Atitlán kämpft, weiß, wie viel Geduld und Hartnäckigkeit für Veränderungen nötig sind. Die gebürtige Deutsche lebt in dem rund 2000-Einwohner-Ort San Marcos, der auf ihre Initiative zu den Vorreitern beim Recycling zählt. Doch auch hier gebe es noch vieles zu tun, sagt sie: „In erster Linie ist es ein Bildungsproblem.“ Die von ihr gegründete Bewegung Pura Vida bezieht deshalb vor allem Kinder in ihre Arbeit ein. Um Plastikflaschen von Straßenrändern zu sammeln, veranstaltet sie ganze Schulausflüge. Da der Müll jahrelang nicht abtransportiert wurde, ist sie auf die Idee gekommen, aus leeren Flaschen Häuser zu bauen. Dazu füllt sie die Flaschen mit Chipstüten, stapelt sie und stabilisiert sie mit einem Gitternetz. Ein Holzgerüst hält die Wände zusammen, die anschließend mit Mörtel aus Vulkangestein verputzt werden. In San Marcos gibt es eine Grundschule aus Plastikflaschen, auch im Öko-Hotel in Santa Cruz, in dem Juliana Mojica arbeitet, stehen Sitzbänke und Regale aus Plastik, elegant verputzt und weiß angestrichen.
Heisse will den Menschen außerdem vermitteln, wie giftig ihr Müll ist. Er verschmutzt Wasser und Böden. „Durchfallerkrankungen aufgrund von schmutzigem Trinkwasser sind eine häufige Todesursache bei Kindern in Guatemala“, erklärt sie. Mittlerweile könne sie die Menschen mit ihren Kampagnen besser erreichen. „Nachdem Auftreten der Cyanobakterien waren die Herzen offen“, sagt Heisse.
Bleibt die Frage, wie nachhaltig diese Erfahrungen wirken. Solange die Bakterien auf dem Grund sind, schimmert der See so klar wie früher. Kinder gehen baden, Fischer legen ihre Angelschnüre aus. Versucht man mit den Einheimischen über das verschmutzte Wasser zu sprechen, winken sie ab. Alles sei „wieder in Ordnung“, sagt ein Hotelbesitzer in Panajachel. Alle 50 Jahre gebe es Probleme mit dem See, das sei „normal“, sagt ein junger Mann, der das Naturschutzgebiet in San Marcos überwacht. Doch die nächste Algenpest droht bereits.Die Mitarbeiter der Umweltorganisationen kämpfen jeden Tag dafür, dass sich der Alptraum nicht wiederholt und das Lebenselixier für Mensch und Tier erhalten bleibt.
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