Der sunnitische Politiker Saad Hariri ist nach den Parlamentswahlen Anfang Juni mit der Regierungsbildung beauftragt worden. Doch die lässt auf sich warten. Sein Vorgänger Fuad Siniora ist an dieser Aufgabe gescheitert. Warum ist es im Libanon so schwer, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden?
Fuad Siniora wollte die Einheit gar nicht. Er hatte der Opposition nur ein Drittel der Ministerposten überlassen wollen. Das entsprach nicht ihrem Stimmenanteil. Problematisch ist, dass die politischen Auseinandersetzungen immer religiös dargestellt werden und dass der Libanon stark von ausländischen Interessen beeinflusst wird.
Welche Länder meinen Sie da besonders?
Nabih Berri, der Parlamentspräsident und Vorsitzender der schiitischen Amal-Bewegung ist, hat neulich sehr richtig gesagt, dass sich vor allem Syrien und Saudi-Arabien einigen müssen. Aber insgesamt spiegeln sich alle Spannungen im internationalen Umfeld im Libanon wider.
Können Sie das konkreter sagen?
Ich bin 1967 im Südlibanon geboren und während meiner Kindheit wurde dieses Gebiet immer wieder von Israel bombardiert. Als ich zwei Jahre alt war, kam einer meiner Cousins um. Unser Haus wurde zwei Mal durch Bomben ruiniert. Und als im Sommer 2006 Israel unsere Häuser bombardierte und unsere Kinder umbrachte, sprach die damalige US-Außenministerin Condoleezza Rice davon, dass dies nun die Geburt eines neuen Libanons sei. Wenn man das hört, dann kommen keine Tränen, dann blutet das Herz. Wir sind ein Volk, das das Leben liebt. Wir kommen aber nicht dazu, irgendwann einmal durchzuatmen.
Im Libanon ist die politische Macht unter den Religionsgemeinschaften aufgeteilt. 50 Prozent der Posten stehen den Christen zu, obwohl nur noch rund 30 Prozent der Libanesen Christen sind, insbesondere die schiitische Bevölkerung ist gewachsen. Genaue Zahlen liegen aber nicht vor. Würden Sie eine Volkszählung begrüßen?
Ich habe nichts gegen eine Volkszählung. Aber das Problem liegt woanders. Der Gründer der Amal-Bewegung, Imam Musa as-Sadr, hat einmal gesagt, der Libanon kann nur mit allen seinen Bürgern stark sein. Das heißt, wir müssen auch die kleinen Gruppen integrieren und die würden durch eine neue Volkszählung geschwächt. Ihre Rechte würden verloren gehen. Aktualisierte Zahlen würden die religiöse Aufsplitterung stärken und das Streben nach nationaler Einheit schwächen. Deswegen kann ich das neue Wahlgesetz, das den Libanon in kleine Wahlbezirke unterteilt, nicht begrüßen. Besser wäre gewesen, wir hätten landesweit einheitlich gewählt. Das hätte die kleinen Gruppen gestärkt. Imam Musa as-Sadr hat 1973 – das war zwei Jahre vor dem Bürgerkrieg – gesagt, dass Libanons Schönheit in der Vielfalt der Religionen liege. Der Libanon sei wie ein Blumengarten. Wenn man eine Pflanze ausreißt, dann verwelke sie und es fehle etwas. Der Libanon ist nur dann der Libanon, wenn wir einen Konsens finden.
Haben Sie Hoffnung, dass das Land nun aus der politischen Krise findet?
Ich bin da sehr hoffnungsvoll und glaube, dass sich alle auf eine Richtung einigen können. Alle Politiker haben dies beteuert. Insgesamt hat sich alles beruhigt. Das merkt man schon an der Wortwahl, die heute ausgewogener ist als noch während des Wahlkampfs, als es um Stimmengewinne ging.
Sie sind dafür bekannt, dass Sie sich immer wieder für Frauen einsetzen, die der Gewalt ihrer Ehemänner ausgesetzt sind. Warum?
Ich setze mich nicht nur für Frauen ein. Als religiöser Führer habe ich die Aufgabe, allen zu helfen, Männern und Frauen. Aber Frauen sind in der Gesellschaft das schwächere Glied. Deswegen kämpfe ich für Frauenrechte in allen Belangen. Der Islam lässt Unterdrückung nicht zu.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Einmal wurde eine deutsche Frau zu mir gebracht. Ihr Ehemann war Muslim und hat sie immer wieder geschlagen. Ich habe beide zu mir eingeladen und dem Mann erklärt, dass er sich schuldig mache, wenn er seine Frau schlage. Der Islam bestraft die Misshandlung von Frauen. Ich habe ihm aber auch erklärt, dass er sich vor dem Gesetz strafbar macht. Ein Gericht kann in so einem Fall sogar eine Gefängnisstrafe verhängen. Der Mann hat verstanden und seine Frau nicht wieder geschlagen.
Wie ist die deutsche Frau auf Sie gekommen?
Nachbarn hatten sie zu mir gebracht. Die Frau hatte anfangs auch Angst, ich könne mich auf die Seite des Mannes stellen, weil ich selbst auch Muslim bin. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ich als Scheich ihre Interessen als christliche Frau vertrete. Dabei liegt es ja gerade an meinem Glauben, dass ich mich für die Geschlagenen und Unterdrückten einsetze. Wir Schiiten glauben schließlich, dass Imam Hussein, der Enkel des Propheten Mohammad, als Märtyrer im Kampf gegen die Unterdrückung gestorben ist.
Das ist aber sicher nicht der einzige Fall, in dem Sie sich für die Rechte ausländischer Frauen eingesetzt haben.
Ja, es ist mittlerweile üblich, dass mich westliche Botschaften um Rat bitten, wenn es Probleme zwischen ausländischen Frauen und ihren muslimischen Männern gibt. Ich bin vor allem mit den Botschaften von Deutschland, der Schweiz, von Großbritannien und Australien in Kontakt und bisher haben wir immer einen für beide Seiten tragbaren Kompromiss gefunden. Ich bin in der Theologenschule des Imam Musa as-Sadr ausgebildet worden. Dort habe ich die Kunst der Vermittlung gelernt. Für mich ist Musa as-Sadr der Mann des Dialogs schlechthin. Er war der erste Imam im Libanon, der eine Rede in einer Kirche unterm Kreuz gehalten hat, und wurde deswegen mehrfach von den eigenen Leuten angegriffen. Er hat seine Dialogbereitschaft mit dem Koran begründet. Dort steht: „Wir haben Euch als Völker erschaffen, damit Ihr Euch kennen lernt.“
Das Gespräch führte Katja Dorothea Buck.
Scheich Hassan Sharife vermittelt in Konflikten. Der islamische Geistliche aus dem Libanon ist Mitglied im Höchsten Schiitischen Rat des Landes.