Die Präsidenten bedienen sich selbst

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Schwarze Kassen in El Salvador
Mehrere Staatschefs von El Salvador haben schwarze Kassen mit hunderten Millionen US-Dollar unterhalten. Der Rechnungshof hat weggeschaut.

Antonio Saca ist wohl der einzige ehemalige Präsident der neueren Geschichte, der im Frack verhaaftet und so ins Gefängnis gebracht wurde. Seine Verwandten mussten ihm als Erstes neue Kleider bringen, T-Shirts und bequeme Hosen. Es ist heiß in El Salvador, und die Gefängnisse verfügen über keine Klimaanlagen.

Es geschah am 30. Oktober 2016. Sacas Sohn feierte seine Hochzeit. Der ehemalige Präsident, der El Salvador von 2004 bis 2009 regiert hatte, konnte gerade noch einen Trinkspruch auf das frisch vermählte Paar ausbringen und einmal mit seiner Gattin tanzen, dann kam die Polizei mit großem Aufgebot. Zusammen mit Saca wurden zwei seiner einst engsten Mitarbeiter verhaftet. Zwei Jahre später wurde er zu zehn Jahren Haft verurteilt. Die Strafe fiel deshalb verhältnismäßig niedrig aus, weil Saca die ihm vorgeworfenen Delikte – Unterschlagung und Geldwäsche von 301 Millionen US-Dollar – eingestanden und dem Gericht erzählt hatte, wie diese Straftaten begangen worden waren. Ohne dieses umfassende Geständnis wäre auch eine drei Mal so lange Haftstrafe möglich gewesen.

In den vergangenen Jahren sind etliche ehemalige Präsidenten lateinamerikanischer Länder wegen Korruption angeklagt worden – weil sie ihre Wahlkämpfe aus illegalen Quellen finanziert hatten oder weil sie die Hand aufgehalten hatten, etwa gegenüber dem brasilianischen Konzern Odebrecht, der sich mit Schmiergeldern riesige Bauvorhaben sicherte. Der Fall Saca ist anders gelagert. Am 9. August 2018 erzählte der Rechtsnationalist vor Gericht, wie er sich aus dem Staatsetat Gelder in bar ausbezahlen ließ, um sie dann Privatkonten gutschreiben zu lassen. „Ich habe einfach die bestehenden Verwaltungsabläufe genutzt, um Geld an Privatpersonen zu transferieren, die in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem Präsidentschafts­amt standen.“ Dass es „selten Kontrollen“ und eine nur eine „oberflächliche“ Rechnungsprüfung gab, sei ihm dabei entgegengekommen.

Keine Auskunft über geheime Ausgaben

Das Gericht stellte fest, dass Saca die fraglichen 301 Millionen Dollar gemeinsam mit drei seiner Minister und drei Verwaltungsangestellten unterschlagen hatte. Und warum ist das lange nicht aufgefallen? „Über viele Jahre hat die Exekutive Auskünfte über sogenannte geheime Ausgaben schlicht verweigert“, sagt Jaime López, Ermittler beim regierungsunabhängigen Zentrum für Rechtsberatung in Fällen von Korruption (ALAC). „Gegenüber internationalen Organisationen wurde sogar erklärt, solche geheimen Ausgaben gebe es nicht.“

Autorin

Cecibel Romero

ist freie Journalistin in San Salvador.
Saca gab vor Gericht zu, dass er ein internes Regelwerk geändert habe, um Millionen an Radiostationen zu überweisen, die ihm als Privatperson gehören. Das Geld wurde hinter Verträgen über die angebliche Ausstrahlung von Regierungswerbung versteckt. Andere unterschlagene Gelder steckte er in Landgüter und Häuser. Einen guten Teil aber verwendete er auch für die Bezahlung sogenannter Extragehälter für Mitglieder seiner Regierung und für den Stimmenkauf im Parlament. Mehrere ehemalige Minister gaben zu, dass sie monatliche Briefumschläge mit Bargeld als Ergänzung ihres Gehalts bekommen haben, mit Summen zwischen 5000 und 15.000 Dollar. In der staatlichen Buchhaltung finden sich diese Beträge nicht, es wurden auch niemals Steuern dafür entrichtet. Mindestens 400.000 Dollar, erzählte Saca dem Richter, seien in der Kasse seiner damaligen Partei Arena gelandet.

„In allen Präsidentschaften der vergangenen Jahrzehnte haben solche Zahlungen im Verborgenen stattgefunden“, heißt es in einer Studie des staatlichen Sekretariats für Transparenz. „Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich dafür der Begriff Geheimfonds etabliert.“ Das Sekretariat, das den Zugang der Bürger zu staatlicher Information garantieren soll, wurde erst nach Sacas Amtszeit gegründet. „Das beste Gesetz zur Informationsfreiheit“, sagte der einmal als Präsident, „ist eines, das es erst gar nicht gibt.“

Nach dem im Mai veröffentlichten Bericht des Sekretariats waren in den letzten drei Jahren der Regierung Saca 64 Prozent des 105-Millionen-Dollar-Etats des Präsidentenamts unter der Rubrik „geheime Ausgaben“ registriert. Die nächsten zwei Präsidenten – beide von der linken FMLN – haben diesen Anteil dann langsam gesenkt. Unter Mauricio Funes (2009 bis 2014) lag er bei 50 Prozent, unter dem ehemaligen Guerilla-Kommandanten Salvador Sánchez Cerén (2014 bis 2019) dann bei 30 Prozent. Der Internetzeitung „El Faro“ wurden interne Regierungsunterlagen zugespielt, nach denen solche verdeckten Ausgaben für den Erwerb von persönlichem Luxus oder den Kauf von Stimmen schon in den 1990er-Jahren üblich waren. Der Bericht des Sekretariats für Transparenz gibt die Gesamtsumme dieser Geheimfonds für die Jahre 1994 bis 2018 mit 1,026 Milliarden Dollar an.

„Bislang ist öffentlich nur bekannt, wie viel Geld im Geheimen ausgegeben wurde“, sagt der ALAC-Ermittler López. „Aber es gibt keinerlei Angaben darüber, wofür dieses Geld ausgegeben wurde, wie viele Personen damit bezahlt wurden und wer die direkten Verantwortlichen dieser Zahlungen sind. Man weiß noch nicht einmal, ob es darüber so etwas wie eine Buchhaltung oder eine sonstige Dokumentation gibt.“

Scheine in Koffern oder schwarzen Mülltüten

Vordergründig sind solche Geheimfonds in El Salvador sogar legal: Das Parlament hat sie Jahr für Jahr im Haushaltsplan genehmigt. Saca aber hatte die genehmigten Ausgaben noch einmal kräftig aufgestockt, indem er nicht ausgegebenes Geld aus dem Etat anderer Ministerien in den Topf der Präsidentschaft übertragen ließ. Die entsprechenden Minister hatten nichts dagegen; sie bekamen ja ein „Extragehalt“. Das Verfassungsgericht hat diese Haushaltsmanipulation für verfassungswidrig erklärt – allerdings erst im August 2010, ein Jahr nach dem Ende von Sacas Amtszeit.

Als er noch Präsident war, berichteten Angestellte der Staatsbank vor Gericht, seien regelmäßig seine Angestellten mit Koffern vorbeigekommen, um Bargeld abzuheben. Auch sein Nachfolger Funes hatte solche Geldboten. Die trugen nach Zeugenberichten die Scheine in schwarzen Mülltüten aus der Bank. 32 Männer und Frauen sollen laut Staatsanwaltschaft an diesen Transaktionen beteiligt gewesen sein, als Geldbote oder als Geldempfänger. Elf von ihnen stehen derzeit vor Gericht. Die anderen 21 sind flüchtig, unter ihnen auch Funes selbst, der sich nach Nicaragua abgesetzt hat.

Die einzige offizielle Erläuterung, was unter geheimen Ausgaben des Präsidenten zu verstehen sei, findet sich im Handbuch für Finanztransaktionen des Finanzministeriums. Sie ist so schwammig, dass sie schon fast zu Korruption einlädt: „Man versteht darunter Ausgaben, mit denen besondere Aktivitäten unterstützt werden sollen, die von der Präsidentschaft der Republik autorisiert wurden.“

Auch andere lateinamerikanische Länder wie Chile, Ecuador, Kolumbien und Peru kennen geheime Staatsausgaben. Die aber sind einzig und allein den Geheimdiensten und dem Verteidigungsministerium vorbehalten. Auch in El Salvador können der Geheimdienst, die Nationalpolizei und die Armee geheime Ausgaben in ihren Etat aufnehmen. Für die Präsidentschaft hingegen ist ein solcher Etatposten gesetzlich nicht vorgesehen. Dass es ihn trotzdem gibt, haben die jeweiligen Staatschefs entschieden. „Nach den uns vorliegenden Zahlen hatten die Präsidenten zwischen zwanzig und vierzig Mal so viele Geheimausgaben wie Polizei und Verteidigungsministerium zusammen“, sagt ALAC-Ermittler López.

Das Sekretariat für Transparenz schlägt vor, die Institutionen, die solche Geheimfonds haben dürfen, und die Art der Ausgaben aus verdeckten Etatposten zu definieren. Darüber hinaus „müsste verboten werden, dass aus solchen Posten übliche Ausgaben, Zusatzgehälter und die Bezahlung öffentlicher Angestellter finanziert werden“. Die chilenischen Ausführungsbestimmungen für Geheimfonds von Geheimdiensten und Armee etwa sehen dies vor, genauso wie das Verbot der Finanzierung von Wahlkämpfen, Parteien und Berufsverbänden.

Der Rechnungshof als Komplize der Korruption

Alle gesetzlichen Bestimmungen aber nützen wenig, wenn die Kontrollen versagen. In El Salvador arbeitet der Rechnungshof nicht so, wie er sollte. Wenn er doch einmal Unregelmäßigkeiten entdeckt, zeigt er sich eher gnädig und flexibel. So wird derzeit gegen einen Kontrolleur dieser Institution ermittelt, der während der Amtszeit von Saca seinen Untergebenen ausdrücklich angeordnet hatte, die Geheimfonds nicht zu untersuchen. „Der Rechnungshof war schon immer Komplize der Korruption“, sagt Roberto Rubio, Direktor der Stiftung für Entwicklung, die unter anderem den Länderbericht von El Salvador für Transparency International erarbeitet. „Er hat freiwillig auf die Überprüfung der Geheimfonds der Präsidentschaft verzichtet, obwohl das Gesetz diese Möglichkeit vorsieht.“

Carmen Elena Rivas, die derzeitige Präsidentin des Rechnungshofs, hat sich erst kürzlich öffentlich über den im Juni ausgeschiedenen Präsidenten Sánchez Cerén beschwert, weil dieser es nie erlaubt habe, seine geheimen Ausgaben zu überprüfen. „Man kann nicht einfach so in den Präsidentenpalast gehen, man muss sich an den vorgesehenen Dienstweg halten“, sagte sie. Die Angestellten dort hätten immer darauf bestanden, dass der Geheimfonds nicht überprüft werden dürfe. So habe der Rechnungshof fünf Jahre lang nicht über detaillierte Informationen verfügt und entsprechend auch keinen Bericht erstellt. Rivas schlägt eine Reform vor, nach der Auditoren des Rechnungshofs auch mit Hilfe der Polizei Unterlagen beschlagnahmen können sollen, wenn sich öffentliche Einrichtungen weigern, sie freiwillig herauszugeben.

Als im September 2016 die Staatsanwaltschaft Korruptionsermittlungen gegen den ehemaligen Präsidenten Funes aufnahm, setzte sich dieser nach Nicaragua ab und behauptete, er werde politisch verfolgt. Monate später erließ Staatsanwalt Douglas Meléndez zwei Haftbefehle gegen ihn. Beim einen geht es um die Unterschlagung von 351 Millionen Dollar aus dem Haushalt der Präsidentschaft, beim anderen um die Bezahlung von Schmiergeld an den damaligen Generalstaatsanwalt Luis Martínez, der ihm als Gegenleistung Straffreiheit garantiert hatte. Inzwischen gibt es drei weitere Haftbefehle wegen Ungereimtheiten in der obligatorischen Erklärung seiner Vermögenswerte und wegen Steuerhinterziehung. María Isabel Rodríguez, Gesundheitsministerin unter Funes, hat schon öffentlich eingestanden, sie habe zusätzlich zu ihrem Gehalt monatliche Bargeldzahlungen erhalten und dieses Vorgehen als unangenehm empfunden.

Nach Recherchen der Internetzeitung „Factum“ soll sich Funes in privaten Kreisen darüber lustig gemacht haben, dass er reihenweise Parlamentsabgeordnete, führende Parteipolitiker und Staatsanwälte „gekauft“ habe. Er könnte ungestraft davonkommen: Sein nicaraguanischer Gastgeber, Präsident Daniel Ortega, hat Funes und seiner Familie – gegen seine Frau und seine Söhne wird ebenfalls ermittelt – inzwischen die Staatsbürgerschaft verliehen. Damit kann Funes seine Auslieferung verhindern: Die nicaraguanische Verfassung verbietet die Auslieferung von Staatsbürgern.

El Salvadors heutiger Präsident Nayib Bukele hat bei der Wahl im Frühjahr die FMLN nach zehn Jahren aus der Regierung verdrängt. Er hatte sich als Kämpfer gegen Korruption gegeben und versprochen, er werde den Geheimfonds der Präsidentschaft abschaffen. Kaum im Amt, ruderte er zurück. Die schwarze Staatskasse gibt es noch immer. Bukele will lediglich, dass die Ausgaben vom Rechnungshof überprüft werden können. Und er verspricht, er werde nichts Illegales finanzieren.

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erschienen in Ausgabe 10 / 2019: Ab in die Steueroase
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