Freiräume im Internet

In Vietnam wird die Presse zensiert und Kritik an der kommunistischen Regierung unterdrückt. Immer mehr Menschen nutzen jedoch das Internet, um sich in Blogs zu privaten und politischen Themen zu äußern. Die Regierung versucht mit restriktiven Gesetzen und der Inhaftierung kritischer Blogger, die Kontrolle zu behalten. Doch das Bloggen hat neue Räume für die Meinungsfreiheit eröffnet, die sich nicht so leicht wieder versperren lassen.

„Wir schreiben einfach das, was die Journalisten der offiziellen Medien nicht zu sagen wagen“, sagt die vietnamesische Künstlerin und Bloggerin Song Chi. „Zwar erreichen wir noch nicht das einfache Volk und die Bauern, aber das, was wir schreiben, wird in den Städten weit verbreitet.“ Dafür zahlen die Blogger einen hohen Preis, wie Song Chi aus eigener Erfahrung weiß: „Wir werden ständig überwacht. Wenn es um die Einheitspartei geht, den Einfluss Chinas in unserem Land oder den Kampf um Demokratie, reagieren die Behörden empfindlich.“ Song Chi hat ihre Heimat inzwischen verlassen müssen. Sie hat in einem europäischen Land Zuflucht gefunden.

Autor

Vincent Brossel

ist bei der Menschenrechtsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ für Asien zuständig.

Vietnams Regierung, die kaum Kritik gewohnt ist, schafft es ebenso wenig wie das kommunistische Nachbarland China, die Blogs und Diskussionsforen komplett zu kontrollieren. Mit strengen Gesetze will sie kritische Stimmen unterdrücken. Die vietnamesischen Blogger, die in ihrer Heimat oder im Ausland Blog-Einträge schreiben, haben Gemeinschaften gebildet, insbesondere auf der Plattform von Yahoo. Doch die, die sich am meisten engagieren, werden am härtesten verfolgt. Anfang Juli wurde der Blogger und Regimekritiker Nguyen Tien Trung in Ho-Chi-Minh-Stadt verhaftet. Die Regierung wirft ihm „Propaganda gegen die Sozialistische Republik Vietnam“ vor. Die Polizei sperrte ihn einen Monat lang ein, um ihn zu zwingen, seine „Verbrechen“ zuzugeben.

Die Behörden legen ihm offenbar seine Schriften zur Last, insbesondere einen offenen Brief an die Regierung, in dem er die Bildungspolitik kritisiert. Außerdem engagiert sich Nguyen Tien Trung in der Demokratischen Partei Vietnams, die 2006 nach einem 20-jährigen Verbot ohne offizielle Genehmigung wieder ins Leben gerufen wurde. Kurz zuvor war bereits der Rechtsanwalt Le Cong Dinh unter dem Vorwurf verhaftet worden, er habe „eine Verschwörung zum Sturz der Regierung“ angezettelt. Le Cong Dinh ist politisch nicht aktiv, aber er schreibt regelmäßig Artikel über Menschenrechte – vorwiegend im Internet, aber auch in der vietnamesischen Presse.

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Zeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen sind einer strikten ideologischen Kontrolle unterworfen. Die freiesten Publikationen sind einige Informations-Websites, die sich auch politisch und gesellschaftlich sensiblen Themen widmen. Die Behörden haben ihre Angst vor dem wachsenden Einfluss der Bloggerszene nie verheimlicht. Nach Aussage des Vizeministers für Information und Kommunikation, Do Quy Doan, werden die Blogger beobachtet, damit sie keine Falschinformationen verbreiten, das Vaterland und die Aufbauarbeit im Land nicht kritisieren und nicht in die Illegalität abtauchen können. Im Februar 2009 erklärte Do Quy Doan: „Ein Blog ist ein individuelles Informationsblatt. Wenn ein Blogger es benutzt, um nach Art der Presse Informationen allgemein zu verbreiten, verstößt er gegen das Gesetz und wird bestraft.“

Seit Juni 1996 kontrolliert der vietnamesische Staat den Internetzugang. Er ist Anteilseigner aller Provider und vertritt konsequent den Verfassungsgrundsatz, nach dem „im Bereich der Kultur und Information der Staat die Pflicht hat, Aktivitäten zu verhindern, die den nationalen Interessen zuwiderlaufen und die Persönlichkeit, die moralischen Werte und den Lebensstil der Vietnamesen zerstören“. Vietnam verfügt seit 2002 über eine Cyberpolizei, die „subversive“ Inhalte vom Bildschirm verbannt und Internetcafés überwacht. Sie kontrolliert damit vor allem junge Vietnamesen, die das Internet häufig nutzen, um sich zu informieren und zu spielen. Der Repressionsapparat hat keine Mühe gescheut, sich an die neuen Technologien anzupassen, die von Bloggern oder Dissidenten genutzt werden. Die vietnamesischen Behörden hören längst nicht mehr nur die Telefone von Regimekritikern ab, sondern kontrollieren auch E-Mails und Internet-Konten.

Nach offiziellen Statistiken gibt es für die 85 Millionen Vietnamesen fast eine Million Blogs. Jedoch wird in den meisten nicht offen über Politik geschrieben. Manche Informationen, speziell über die Wirtschaftskrise oder Grenzkonflikte mit China, zirkulieren dennoch sehr schnell in der Szene. Im Gegensatz zu China hat Vietnam keine Blogger-Plattformen installiert, die leicht zu kontrollieren sind. Mehr als 80 Prozent der vietnamesischen Internet-Nutzer nehmen die Dienste der US-amerikanischen Firmen Google und Yahoo in Anspruch. Diese ausländischen Internetseiten können zwar von den Behörden blockiert, aber nicht verboten werden. Um die Kontrolle zu behalten, verschärft die Regierung die Gesetze. Mit einem Dekret über die Verwaltung des Internets und der elektronischen Kommunikation vom September 2008 hat sie jegliche Form der Opposition verboten.

Das Ministerium für Information und Kommunikation will in Zukunft zudem auf den Inhalt jener Blogs Einfluss nehmen, die auf den Servern ausländischer Provider stehen. Zu diesem Zweck sollen diese dazu bewegt werden, Angaben ihrer Kunden an das Ministerium weiterzugeben. Im Januar hat die Regierung verfügt, dass kein Blogger mehr Artikel unter einem Pseudonym veröffentlichen darf. Blogger dürfen nur noch rein persönliche Informationen verbreiten und es ist verboten, „Artikel aus Presseerzeugnissen, literarischen Werken und anderen Publikationen, die das Pressegesetz verbietet, zu verbreiten“.

Darüber hinaus müssen die Provider alle sechs Monate oder auf Aufforderung der Behörden über die Aktivitäten ihrer Kunden berichten; sie sollen über die Zahl der Blogs, die sie verwalten, informieren und melden, wenn in Blogs gegen die Regeln des Providers verstoßen wird. Vorsichtshalber verlassen die aktivsten Blogger Plattformen wie Yahoo und wenden sich anderen Providern zu. Sie fürchten, dass in Vietnam etwas ähnliches passieren könnte wie in China. Dort wurde ein chinesischer Journalist zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem Yahoo die Behörden über sein persönliches Blogger-Konto informiert hatte.

Mehr als zehn Menschen sitzen zur Zeit wegen ihres Engagements im Internet im Gefängnis. Im Vergleich zu einer Million Bloggern ist das wenig. Aber wenn besonders bekannte unter ihnen verhaftet und verurteilt werden und die Medien ausführlich darüber berichten, kann die Regierung viele Internet-Nutzer einschüchtern. Im Bewusstsein, dass offene Äußerungen riskant sind, haben viele Blogger ihre Einträge ins Ausland verlagert und benutzen Pseudonyme.

Wie sehr das Internet in Vietnam zum Austragungsort für politische Auseinandersetzungen geworden ist, zeigt folgendes Beispiel. Der „Block 8406“, eine demokratische Bewegung, die im April 2006 ins Leben gerufen wurde, veröffentlichte im selben Jahr eine Online-Petition, die die Regierung zu Reformen aufforderte. Wenige Monate später äußerte der Sprecher des Außenministeriums, diese Gruppe sei „illegal“. Seitdem sind die Sicherheitsdienste hinter den führenden Köpfen her. Dutzende Mitglieder sind wegen der Forderungen, die sie im Netz erhoben haben, festgenommen worden. Ihnen wird „feindliche Propaganda“ gegen die Regierung vorgeworfen. Die Aktivisten Nguyen Bac Truyen, Huyn Nguyen Dao und Le Nguyen Sang wurden zu zweieinhalb, drei und vier Jahren Haft verurteilt. Die Rechtsanwälte und Blogger Nguyen Van Dai und Le Thi Cong Nhan wurden wegen ihrer Schriften zu vier beziehungsweise drei Jahren Haft verurteilt. Nguyen Van Dai hatte einen Blog eingerichtet, in dem er für Demokratie warb.

Vietnams Blogs sind auf der Höhe des raschen gesellschaftlichen Wandels. Die jungen Leute fühlen sich vom Ausland angezogen. In Blogs wird über Reisen, Schule und Liebe geschrieben – und manchmal auch über Politik. Das vietnamesische Regime wehrt sich, aber die Blogger verbreiten weiter Informationen. Bloggen schafft, wie in China und im Iran, neue Räume der Meinungsfreiheit, die nur schwer wieder versperrt werden können.

Aus dem Französischen von Christian Neven-du Mont.

 

erschienen in Ausgabe 9 / 2009: Medien: Die heiße Ware Information

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