Vom Glück der Kriegsreporterin

Wenn es zwischen Armee und Guerilla zum Kampf kommt, ist Jineth Bedoya meist nicht weit. Die Reporterin der Tageszeitung „El Tiempo“ ist Kolumbiens berühmteste Kriegs-Chronistin. Dafür zahlt die 34-Jährige einen hohen Preis: Sie lebt mit Todesdrohungen und der Überwachung durch den Geheimdienst. Für eine Familie ist da kein Platz. Schon zwei Mal geriet sie in die Gewalt bewaffneter Gruppen. Doch Aufgeben kommt für Bedoya nicht in Frage. „Ich habe meine Erfüllung gefunden“, sagt sie über ihren Job.

Ihre Texte aus dem grauenvollen Alltag des kolumbianischen Dschungels sind präzise und einfühlsam zugleich. Jineth Bedoya beschreibt die Mahlzeit, die die Soldaten vor ihrem Einsatz gegen die linksgerichtete FARC-Guerilla erhalten: Reis, Pasta, Thunfisch und Orangenlimonade. Eine letzte improvisierte Andacht mit dem Militärpfarrer („Gott ist auf unserer Seite“), dann startet der Black-Hawk-Helikopter. Einer der Soldaten wird ohne seinen linken Fuß zurückkehren, nachdem er auf eine Mine getreten ist. Bedoya schildert die perfekte Organisation des Rettungseinsatzes der von US-Experten geschulten Armee. Dazwischen blendet sie das erschütternde Gespräch zwischen dem Verletzten und seinem Kommandanten ein: „Mein Coronel, sagen Sie nichts meiner Mama!“

Bedoya betreibt klassischen Journalismus, hautnah am Ort des Geschehens. Das hat sie in Kolumbien berühmt gemacht. Zwischen zwei Urwaldeinsätzen ist sie in Bogotá zu einem Gespräch bereit – und überrascht vom ersten Moment an. Die Kriegsreporterin ist alles andere als eine Draufgängerin. Sie erweist sich als zierliche Frau, sorgfältig geschminkt in Bürokleidung. Ihre Gesten verraten einen Menschen, der jeden Schritt abwägt. Ihr warmer und wacher Blick schafft Vertrauen und lädt zum Erzählen ein.

Autor

Matthias Knecht

arbeitet als Auslandskorrespondent in Lateinamerika für die Nachrichtenagentur epd, die „Neue Zürcher Zeitung“ und die „Financial Times Deutschland“.

Offiziell ist Bedoya stellvertretende Leiterin des Ressorts Justiz in Kolumbiens führender Tageszeitung „El Tiempo“. Sie hat Journalismus in Kolumbien studiert und einen sechsmonatigen Weiterbildungskurs zur Kriegsreporterin in Kubas Hauptstadt Havanna absolviert. „Hinter jedem Kämpfer und hinter jedem Opfer ist eine ganze Welt verborgen. Von dieser Welt zu erzählen, gefällt mir“, erklärt die 34-Jährige. Als eine der wenigen kolumbianischen Journalisten bewegt sie sich darum auf beiden Seiten der Front. Mal berichtet sie aus den Militärcamps, dann wieder aus den Lagern der Guerilla. Entstanden sind dabei berührende Berichte über das Leben der linksgerichteten Rebellen.

„Auf beiden Seiten stehen ganz gewöhnliche Menschen. Darum ist der Konflikt so traurig“, sagt sie und erzählt die Geschichte von zwei Brüdern, die sich eines Tage mit dem Gewehr gegenüberstanden. Den einen hatten die Zufälle des Lebens zur Guerilla verschlagen, der andere war Soldat geworden.

Bedoyas journalistische Grenzgänge sind im aufgeheizten Klima Kolumbiens lebensgefährlich. Regelmäßig erhält sie Morddrohungen, und zwar von allen Seiten. Im Jahr 2000 wurde sie von den rechtsgerichteten Paramilitärs entführt. Damals arbeitete sie noch für die Tageszeitung „Espectador“, Pionier in Kolumbiens Kriegsberichterstattung. Zum Verhängnis wurde ihr eine Reportage über Bogotás Gefängnis „Modelo“, in dem sich inhaftierte Paramilitärs und Guerillakämpfer mit Komplizenschaft des Gefängnispersonals gegenseitig umbrachten. Kurz nach der Veröffentlichung verschleppten die Paramilitärs die Journalistin, unter den Augen der staatlichen Sicherheitskräfte. „Sechzehn Stunden lang folterten sie mich. Am Ende hatte ich nur noch den Wunsch zu sterben“, berichtet Bedoya stockend. Warum sie schließlich freigelassen wurde und mit dem Leben davonkam, weiß sie bis heute nicht. Aber es war der Beginn ihres journalistischen Aufstiegs. „Ich flüchtete mich in Arbeit“, sagt sie und betont: „Ich habe meine Erfüllung gefunden. Ich liebe meine Arbeit.“

Drei Jahre später geriet sie dann in die Gewalt der anderen Seite. Die FARC entführte sie, nachdem sie in deren Gebiet recherchiert hatte. Sie kam unter der Bedingung frei, nie mehr ohne vorherige Genehmigung die von den Rebellen kontrollierten Zonen zu besuchen. Andernfalls werde sie getötet. Bedoya hält sich an die Weisung. Sie besuchte inhaftierte Guerillakämpfer im Gefängnis und knüpfte dadurch Kontakte zu den Kommandanten.

Der bewaffnete Konflikt in Kolumbien schwelt seit Jahrzehnten. Als der rechtsgerichtete Präsident Álvaro Uribe 2002 sein Amt antrat, wurden die Auseinandersetzungen heftiger. Mit seiner Politik der „demokratischen Sicherheit“ und mit Militärhilfe der USA geht er so hart wie keiner seiner Amtsvorgänger gegen die Guerilla vor. Mit Samthandschuhen fasst er hingegen den anderen Teil der illegalen bewaffneten Gruppen an, die Paramilitärs. Sie säen in abgelegenen Regionen des Landes Terror gegen Kleinbauern, Gewerkschafter, Menschenrechtsaktivisten und auch Journalisten.

Bedoyas Urteil über die Lage der Presse in Kolumbien ist darum erstaunlich: „Es gibt mehr Freiheit für die Journalisten als früher“, sagt sie ohne Zögern. „Man kann heute Dinge sagen, die früher tabu waren.“ Zu verdanken sei der Fortschritt allerdings weder der „demokratischen Sicherheit“ Uribes noch den Medienverlagen. „Wir Journalisten haben uns die Freiheit erkämpft. Wir haben uns den Weg gebahnt“, sagt sie. Nach ihrer Einschätzung agieren die illegalen bewaffneten Gruppen weniger brutal als früher, auch gegenüber Journalisten. „Sie sind vorsichtiger geworden“, sagt die Journalistin. Als Grund vermutet sie die starke internationale Aufmerksamkeit für Kolumbien.

Zugenommen hat laut Bedoya hingegen die Verfolgung von Journalisten durch staatliche Organe. Damit hat sie selbst Erfahrung. Vor zwei Jahren publizierte sie einen Bericht darüber, wie die Drogenmafia die Armee infil­triert. „Das hat mir die Verfolgung durch den militärischen Geheimdienst eingebracht“, resümiert sie trocken. Freunde in der Armee hätten sie gewarnt, dass ihr E-Mail-Verkehr seither überwacht werde. Die Anschuldigung ist nicht bewiesen, aber glaubhaft. Erst kürzlich wurde in Kolumbien bekannt, dass ein weiteres Geheimdienstorgan, die dem Präsidenten unterstellte DAS, systematisch Journalisten, Richter und Politiker bespitzelt.

Unabhängige Berichte untermauern die Einschätzung der Journalistin. Laut der „Interamerikanischen Pressevereinigung“ (SIP) hat in Kolumbien die Verfolgung der Presse abgenommen. Wurden zwischen 1993 und 2007 noch 125 Journalisten ermordet, war im Jahr 2008 kein einziger solcher Mord zu beklagen und im laufenden Jahr ein Fall. Beängstigend hoch bleiben aber die Einschüchterungsversuche. Die SIP zählte in ihrem jüngsten Halbjahresbericht 35 Morddrohungen gegen kolumbianische Pressemitarbeiter. Gewalt gegen Journalisten fördert laut der SIP auch die „skandalöse Straflosigkeit“. Von den Journalistenmorden seit 1993 hat Kolumbiens Justiz erst 15 aufgeklärt.

Bedoya lässt sich dadurch nicht beirren. Ins Exil flüchten will sie auf keinen Fall. Angebote für Stipendien in Harvard und Berlin hat sie ausgeschlagen. Sie sagt: „Das, was ich hier in Kolumbien tue, gibt mir Leben. Ich fühle mich vom Glück begünstigt.“ Für ihre eigenwillige Definition von Glück zahlt Bedoya einen hohen Preis. Auf Familie und Kinder verzichtet sie. Rund um die Uhr wird sie von Leibwächtern begleitet, die sie allerdings erst auf Druck der Redaktion akzeptiert hat. Denn zum Tod hat sie ein fatalistisches  Verhältnis. „Es liegt in den Händen von Gott. Wenn es mich trifft, dann trifft es mich eben. Ich bin auf diese Art von Tod vorbereitet.“

 

erschienen in Ausgabe 9 / 2009: Medien: Die heiße Ware Information
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