Barack Obama beendet einen Alptraum. Er will Schluss machen mit dem Vorhaben seines Vorgängers, Krieg wieder als normales Mittel der Politik zu rehabilitieren, Schluss auch mit der arroganten Missachtung des Völkerrechts, illegalen Gefangenenlagern und der Genehmigung scheußlicher Folterpraktiken. Mit feinem Gespür knüpft der neue Präsident an die emanzipatorische Dimension der amerikanischen Demokratie an und will die Glaubwürdigkeit der USA wiederherstellen. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat allen Staaten ihre wechselseitige Abhängigkeit offenbart. Das hat den Druck erhöht, internationale Kooperation, Regelsysteme und Institutionen zu stärken.
In seiner Antrittsrede hat sich Obama vor den Soldaten verneigt, die „in Concord oder Gettysburg, in der Normandie oder Khe Shan“ gefallen sind – Orte der Erinnerung an historische Siege gegen Kolonialismus, Sklaverei und Nationalsozialismus sowie – aus der Reihe tanzend – gegen das kommunistische Nordvietnam. Das war eine Verbeugung vor dem Militär, doch verweist es auch darauf, dass Gewalt und Emanzipation im Gedächtnis der USA in anderem Zusammenhang stehen als in Europa: Selbstbestimmung und Freiheit fallen nicht vom Himmel.
Autor
Bruno Schoch
ist Vorsitzender des Forschungsrats der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) und Mitherausgeber des Friedensgutachtens. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Nationalismus, Demokratisierung und Minderheitenkonflikte.Den „Krieg gegen den Terror“ sucht man in Obamas Reden vergebens. Das markiert den Schnitt zu seinem Vorgänger. Während der Kaskade von Weltgipfeln im April 2009 in Europa – NATO-Jubiläum, Treffen mit der EU, G 20, Gespräche mit Chinas Staatspräsident sowie den Präsidenten Russlands und der Türkei – umriss Obama grundlegende Prinzipien seiner Außen- und Sicherheitspolitik: Abkehr von Alleingängen, Zuhören statt Kommandieren, Rüstungskontrolle und Abrüstung. Die Staaten müssen sich zur viel beschworenen internationalen Gemeinschaft zusammenschließen, wollen sie der Weltwirtschaftskrise, dem Klimawandel, der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und gescheiterten Staaten wirksam begegnen.
Dann kam die Prager Rede. Dass sich der Präsident der Weltmacht USA für die Vision einer Welt ohne Atomwaffen stark macht, ist ein Paukenschlag. Er stellt viele Gewissheiten der internationalen Politik im Atomzeitalter in Frage, selbst wenn Obama betont, dieses Ziel sei nicht schnell zu realisieren. Kein Wunder, dass selbst ernannte „Realisten“ Obamas angeblichen Idealismus und Utopismus denunzieren. Skeptiker wittern diesseits der Rhetorik praktische Kontinuität: alter Wein in neuen Schläuchen. Andere sind fasziniert von den neuen Gesten aus Washington, erleichtert, dass die bleiernen Jahre der Regierung von George W. Bush vorbei sind. So starren die Europäer auf den neuen US-Präsidenten, entweder begeistert oder aber voller Bangen, der neue Ton kaschiere nur die alte Politik und Washington könnte von ihnen gar mehr Engagement verlangen – nicht nur in Afghanistan. Obama wird scheitern, wissen die einen. „Yes, he can“, hoffen die anderen.
Doch jetzt müssen die Europäer runter von den Zuschauerrängen. Ihren Interessen entspricht ein Neuansatz in Washington, der wieder auf die Vereinten Nationen, auf Kooperation und Multilateralismus setzt statt auf militärische Überlegenheit. Diese historische Chance gilt es jetzt für eine friedenspolitische Offensive beherzt zu nutzen. Die Europäer können und sollten aktiv zum internationalen Erfolg Obamas beitragen – von der Rüstungskontrolle, der Drosselung der Rüstungsexporte und der internationalen Vertrauensbildung über die Verbesserung der Beziehungen zu Russland und den Nachbarn der EU sowie die Beendigung von Regionalkonflikten (vom Nahen Osten bis Afghanistan) bis hin zum Ausbau der internationalen Organisationen und nicht zuletzt zur gemeinsamen Anstrengung, der Weltwirtschaftskrise Herr zu werden.
Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes stand eine „neue Weltordnung“ an, wie der erste Präsident Bush damals mit Recht konstatierte. Sie harrt noch immer ihrer Verwirklichung. Seit Washington sich nicht mehr einbildet, alles allein richten zu können, sind die Chancen dafür entschieden besser. Nutzen wir sie. Und zwar als Beteiligte, nicht bloß als Zuschauer.