„Dialog der Religionen statt Parteipolitik“

Generalsekretär der Christian Conference of Asia
Religion wird in vielen asiatischen Ländern zunehmend politisch instrumentalisiert. Welche Ursachen das hat und was Glaubensgemeinschaften selbst dagegen tun können, erklärt der Generalsekretär der Christian Conference of Asia (CCA), Mathews George Chunakara.

In welchen Ländern in Asien wird Religion besonders stark politisiert?
Religiöser Extremismus und religiöse Intoleranz nehmen in Pakistan, Indonesien, Indien, Thailand, Malaysia, Bangladesch, Sri Lanka, Myanmar und in Nepal zu. In all diesen Ländern gehört die Mehrheit der Bevölkerung entweder dem Islam, dem Hinduismus oder dem Theravada-Buddhismus an. Das Christentum ist in all diesen Ländern in der Minderheit.

Sind manche Religionen anfälliger für Instrumentalisierung als andere?
Die Frage nach Minderheit oder Mehrheit ist wichtiger als die nach der Religion an sich.  Wer einer Mehrheitsreligion angehört, kann Wählerschaften im Namen dieser Religion für politische Zwecke mobilisieren. Selbst in Ländern, in denen eine starke Tradition religiöser Toleranz und Freundlichkeit gegenüber Minderheiten  besteht, beobachten wir momentan, dass die religiöse Toleranz abnimmt, so beispielsweise in Bangladesch, Indonesien oder Indien.

Wie hat sich diese Toleranz früher manifestiert?
Im mehrheitlich islamischen Bangladesch etwa hatten die meisten Menschen eine liberale religiöse Grundhaltung und eine säkulare Weltanschauung. In den 1970er Jahren hat der bengalische Nationalismus die Menschen im Befreiungskrieg gegen Pakistan geeint. Es spielte keine Rolle, ob jemand aus der muslimischen Mehrheit oder aus den kleinen hinduistischen, buddhistischen oder christlichen Minderheiten stammte. Heute ändert sich der religiöse Kontext. Die Minderheiten in Bangladesch schrumpfen.

Wie konnte es dazu kommen?
Fundamentalistische islamische Gruppen sind überall im Land aktiv und haben begonnen, vor allem die Jugend systematisch zu indoktrinieren. Sie verbreiten schon unter den Kindern Ideen des politischen Islam, insbesondere in den an Moscheen angeschlossenen Schulen. Diese Madrassas sind Teil des Grundschulsystems und werden von der Regierung in Bangladesch und von der Regierung in Pakistan anerkannt. Sie werden finanziell von einigen Gruppen im Nahen Osten, insbesondere in Saudi-Arabien, unterstützt.

Tragen Religionen einer Minderheit we­niger zur Polarisierung bei?
Der politische Islam nimmt auch in Indien zu, wo Muslime in der Minderheit sind. Das kommt daher, dass islamistische Gruppen generell die arme muslimische Bevölkerung in rückständigen Gebieten finanziell unterstützen, sei es in Bangladesch, Indonesien, Pakistan oder eben in Indien. Mit ihrer Propaganda sind sie sehr erfolgreich. Auf der anderen Seite werden Muslime in Indien regelmäßig von Hindu-Nationalisten verfolgt. Gewöhnliche Hindus sind gegen jeden, der Kühe schlachtet und Rindfleisch isst. Und das macht sich die rechtsgerichtete politische Partei, die im Namen des hinduistischen Nationalismus in Indien tätig ist, zunutze. Die meisten Metzger in Indien sind Muslime, und die meisten ihrer Kunden sind  Muslime oder Christen. 

Was können Glaubensgemeinschaften und Kirchen gegen die Instrumentalisierung von Religion tun?
Sie können Menschen zusammenbringen und eine aufgebrachte Menge beruhigen und davon überzeugen, nicht aufeinander loszugehen. In Indonesien zum Beispiel, als Kirchen und Christen angegriffen wurden, bat die größte islamische Organisation Nahatul Ulama die Muslime, sich zum Schutz der Christen und ihrer Kirchen zu melden. Aber nicht in allen Ländern finden die moderaten Stimmen Gehör. In Pakistan sind die Armee und die Mullahs eng miteinander verflochten und nutzen gemeinsam die Religion für politische Zwecke. Unabhängig davon, ob es sich um eine gewählte Regierung oder ein Militärregime handelt – wenn das herrschende Regime seine Existenz auf der Religion aufbaut, werden die Stimmen der progressiven und toleranten Gruppen nicht gehört. Wir brauchen in Asien mehr interreligiöse Initiativen für Frieden und Harmonie auf allen Ebenen.

Was tut die Christian Conference für den interreligiösen Dialog?
1968 organisierte die CCA ihre erste interreligiöse Konferenz. Seitdem sind wir Partner vieler asiatischer interreligiöser Initiativen zur Friedenskonsolidierung geworden, so zum Beispiel während des Indochina-Krieges, im Kampf gegen autoritäre Diktaturen oder Militärregimes in Südkorea und Taiwan oder in Friedens- und Versöhnungsinitiativen während des Bürgerkriegs in Sri Lanka. Ein aktuelles Beispiel ist das CCA-Programm zur Förderung junger Friedensbotschafter: Jedes Jahr erhalten 25 junge Menschen aus allen Religionen die Möglichkeit, sich über Konfliktlösung zu informieren und Friedensbotschafter zu werden. Für November 2019 lädt die CCA hundert Führer aus allen Religionen in Asien zu einem interreligiösen Gipfel in Sri Lanka ein. Wir werden diskutieren, wie wir Menschen dazu bewegen können, religiöse Konflikte zu überwinden.

Das Gespräch führte Katja Dorothea Buck

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erschienen in Ausgabe 4 / 2019: Erde aus dem Gleichgewicht
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