Tunesien und Ägypten haben beim Umgang mit islamistischen Gruppen und Parteien entgegengesetzte Wege beschritten: Nach dem arabischen Frühling wurde in Tunesien die streng religiöse Partei al-Nahda legalisiert und zeitweise in die Regierung einbezogen. In Ägypten hingegen geht seit dem Putsch gegen die Regierung der Muslimbruderschaft im Jahr 2013 das Militär mit aller Härte gegen islamistische Gruppen vor. Trotz dieser Unterschiede verzeichnen beide Länder einen Anstieg religiös motivierter Gewalt. Welchen Anteil sozialökonomische Aspekte daran haben, ist der Fokus der von Clara-Auguste Süß und Ahmad Noor Aakhunzzada verfassten Studie.
Danach spielt sowohl in Tunesien als auch in Ägypten vor allem die Jugendarbeitslosigkeit und die damit verbundene Ausschlusserfahrung den Islamisten in die Hände. Das zeige sich beispielsweise an der Auseinandersetzung zwischen moderatem und radikalem Flügel innerhalb der tunesischen salafistischen Organisation Ansar al-Sharia fi Tunis. Verglichen mit den älteren Mitgliedern seien die Jüngeren Gewalt gegenüber aufgeschlossener. Insgesamt profitierten islamistische Gruppen in beiden Ländern davon, dass sich die mit dem arabischen Frühling verbundenen Wohlstandserwartungen nicht erfüllt hätten.
Islamistische Führer inszeniseren sich als Fürsprecher der Armen
Ebenso wichtig sind der Studie zufolge die sozialen Dienstleistungen islamistischer Gruppen. Wo die staatliche Fürsorge versage, stellten sie Grundgüter wie Nahrungsmittel bereit. Das beschere ihnen vor allem in ärmeren Region und Slums Zulauf. Die Zuwendungen aus Saudi-Arabien oder Kuwait sowie Schmuggel und Raubüberfälle sorgten für volle Kassen.
Die Autoren machen aber deutlich, dass der Verweis auf Armut, Ungleichheit und Perspektivlosigkeit alleine nicht viel erklärt. Vielmehr sei die Attraktivität islamistischer Gruppen auch dem Geschick ihrer Führer zu verdanken, die es verstünden, Missstände mit der eigenen Ideologie zu verknüpfen. Sie inszenierten sich als Fürsprecher der Armen gegen eine korrupte Elite und griffen die Enttäuschung über den arabischen Frühling auf.
Die beiden Fachleute haben keine Feldforschung betrieben, sondern vorliegende wissenschaftliche Studien ausgewertet. Die Verbindung zwischen Radikalisierung und dem sozialökonomischen Kontext besser zu verstehen, könne bei der Suche nach politischen Gegenmitteln helfen, schreiben sie. Wie diese aussehen könnten, bleibt offen.
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