Wie erklären Sie den anhaltenden Wahlerfolg des ANC in Südafrika?
Der ANC wird von der großen Mehrheit der Südafrikaner als die Organisation angesehen, die die Freiheit gebracht hat. Doch sein Erfolg spiegelt auch die Fehler der Oppositionsparteien wider. Immerhin 30 Prozent der schwarzen Südafrikaner könnten sich vorstellen, andere Parteien zu wählen. Aber sie wissen nicht, wen. Die Oppositionsparteien haben weder das Programm noch das Image, die Interessen der Armen, insbesondere der Schwarzen, glaubhaft vertreten zu können. Dennoch gab es bei der Wahl im April keine generelle Zustimmung für den ANC. Die Regierungspartei hat ihren Stimmenanteil in KwaZulu-Natal erheblich erhöht, in allen anderen Provinzen verlor sie im Durchschnitt 12 Prozent. Das sollte ihr zu denken geben, sie muss aufwachen.
Spielen „rassische“ Identitäten eine entscheidende Rolle bei der Wahlentscheidung?
Kaum. Kürzlich wurde an der Universität von Kapstadt eine höchst interessante Studie beendet, die sich mit der Frage befasst, warum die Oppositionsparteien nicht gut abschneiden. Die Ergebnisse zeigen, dass das Partei-Image, die Rhetorik und die politischen Strategien, die sie benutzen, viel wichtiger sind als Rassenidentitäten. Ich persönlich bin überzeugt: Wenn Jeremy Cronin, der ANC-Aktivist mit weißen Vorfahren, Vorsitzender der Partei wäre, hätte sie trotzdem diese Wahlen deutlich gewonnen. Es geht nicht darum, ob man weiß oder schwarz ist, sondern ob man als jemand gesehen wird, der die Interessen der marginalisierten und armen Mehrheit repräsentiert.
Ist die neue Partei „Congress of the People“ (COPE) den Erwartungen der Analysten und Demoskopen gerecht geworden?
Ich hätte gedacht, dass sie ein wenig besser abschneiden würde. Doch rund 7,5 Prozent sind nicht schlecht für eine Partei, die gerade einmal ein halbes Jahr alt ist. Die Spaltungen innerhalb der Partei und der späte Wahlkampfstart haben verhindert, dass sie mehr Stimmen bekommen hat. COPE hat aber eine ethnisch stärker gemischte Wählerschaft erreicht als die Democratic Alliance (DA), die 16,6 Prozent der Stimmen erhalten hat. Sie hat viel mehr Unterstützung in den Townships als die DA. Aber wenn sie sich im Laufe der nächsten Monate kein Programm und keine Perspektive gibt, wird sie schnell wieder verschwunden sein.
Warum hat die Democratic Alliance relativ gut abgeschnitten?
Die wichtigste Rolle spielte, dass sie ihre Position in der farbigen und weißen Wählerschaft der Provinz Western Cape festigen konnte. Unter den Schwarzen hingegen war der Zuspruch gering. Die hohe Wahlbeteiligung in der Provinz hat entscheidend zum Erfolg der DA beigetragen. Die Nachfolge-Krise im ANC und die Gründung von COPE haben ein großes Interesse an den Wahlen hervorgerufen. Der Obama-Faktor hat darüber hinaus vor allem junge Leute aktiviert.
Hat der neue Präsident Jacob Zuma aus Ihrer Sicht ein kompetentes Kabinett zusammengestellt?
Es ist eine interessante Auswahl. Alles in allem denke ich, das neue Kabinett ist weitaus besser als das unter seinem Vorgänger Thabo Mbeki. In Bezug auf die Wirtschaftspolitik eröffnet die Besetzung der Ministerposten Möglichkeiten für eine breite Debatte. Der frühere Finanzminister Trevor Manuel steht nun der Nationalen Planungskommission vor, sein Nachfolger Pravin Gordhan hat als Finanzminister die Aufgabe, die Märkte zu beruhigen. Zugleich ist mit Rob Davies jemand für Handel und Industrie verantwortlich, der die Verhandlungen zum Welthandel und Südafrikas Interessen sehr genau kennt und vertritt. Dem Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung steht Ebrahim Patel vor, der als Befürworter staatlicher Interventionen bekannt ist und für bestimmte Sektoren, vor allem die Industrie, stärkere Schutzmaßnahmen fordern wird. Generell ermöglicht diese Auswahl eine Diskussion über die beste wirtschaftliche Strategie. Ich denke, das ist fantastisch, weil die Lösungen, die wir für die gewaltigen gegenwärtigen Anforderungen brauchen, in einer komplexen und aufeinander abgestimmten Mischung von politischen Entscheidungen liegen.
Sie erwarten demnach keinen radikalen Wandel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik?
Möglicherweise wird es eine gewisse Bewegung nach links geben. Doch man sollte bedenken, dass bereits in den letzten Jahren der Mbeki-Regierung geringfügige Verschiebungen in diese Richtung zu beobachten waren. Während der späten 1990er Jahre sprachen wir von Privatisierung, heute reden wir stattdessen von Entwicklung. 13 Millionen Südafrikaner erhalten Sozialunterstützung, die Budgets für Bildung und Gesundheit steigen seit einigen Jahren kontinuierlich. Aber ich glaube nicht, dass es eine radikale Wende geben wird. Wir werden wohl die größere Förderung der Industrie und eine verstärkte Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erleben.
War die Ernennung des Vorsitzenden der rechten Afrikaaner-Partei Freedom Front Plus, Pieter Mulder, zum stellvertretenden Landwirtschaftsminister überraschend für Sie?
Sie zeigt, dass der ANC versucht, seine Einflusssphäre auszuweiten. Das hat er bereits früher so gehandhabt. Allerdings ist sehr interessant, dass Mulder genau für dieses Ministerium ausgewählt wurde. Es bedeutet, dass es in Zukunft eine ernsthafte Diskussion über die landwirtschaftliche Entwicklung und die Landreformen geben wird. Da Mulder aus der Farmer-Gemeinde kommt, finde ich es durchaus geschickt, ihn einzubeziehen. Ob das allerdings im Sinne des ANC funktionieren wird, bleibt abzuwarten.
Wird die Versetzung von Barbara Hogan vom Gesundheitsministerium in jenes für öffentliche Unternehmen Auswirkungen auf die Aids-Politik haben?
Mir wäre es tatsächlich lieber gewesen, wenn sie an der Spitze des Gesundheitsministeriums geblieben wäre angesichts von dessen Bedeutung für die Entwicklung. Sie hat einen erfrischenden Wandel der Gesundheitspolitik ausgelöst. Dennoch glaube ich, dass es keinen tiefen Bruch in diesem Bereich geben wird. Im Großen und Ganzen ist die politische Strategie etabliert, und sie funktioniert.
Denken Sie, dass sich Südafrikas Rolle in der Region und auf dem Kontinent ändern wird?
Auch hier wird es keinen dramatischen Wechsel geben. Man muss bedenken, dass die Architekten der südafrikanischen Außenpolitik die Spitzen des ANC waren und sind. Lange Zeit dominierte auf diesem Gebiet Thabo Mbeki. Die Überzeugungen, die die Außenpolitik leiten, finden innerhalb des ANC weitgehende Zustimmung. Eines der zentralen Ziele Südafrikas in diesem Bereich ist ein Wandel der globalen Ordnung und der Versuch, fairere Voraussetzungen zu schaffen. Doch gleichzeitig ist man darauf bedacht, dem globalen System gegenüber aufgeschlossen zu sein, sich hineinzubegeben und es von innen zu transformieren. Das kann man als Realismus des Südens bezeichnen, der jede Menge Pragmatismus und die Bereitschaft zu Kompromissen beinhaltet. Daran wird sich nichts ändern.
Das Gespräch führte Ruben Eberlein.
Adam Habib ist stellvertretender Direktor der Universität Johannesburg. Der Politikwissenschaftler hat zahlreiche Bücher und Artikel zu Gesellschaft, Politik und Transformation in Südafrika verfasst.