„Wir müssen verantwortlich mit Krediten und Schulden umgehen“

Die Staaten Lateinamerikas haben seit 1980 eine Reihe von Finanz- und Wirtschaftskrisen durchgemacht. Der ecuadorianische Wirtschaftswissenschaftler Alberto Acosta mahnt auf nationaler Ebene einen verantwortlichen Umgang mit Krediten und Schulden sowie tragfähige Steuersysteme an. Für globale Reformen hält er die Beseitigung von Steueroasen, eine Transaktionssteuer auf Devisen und ein geregeltes internationales Insolvenzverfahren für Staaten für unabdingbar.

Wie sind die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise in Ecuador zu spüren?

Die Rücküberweisungen unserer Landsleute, die in Spanien oder den USA arbeiten, sinken. Ferner gehen die Einnahmen aus dem Ölexport aufgrund niedrigerer Ölpreise zurück. Sie machen in Ecuador einen großen Teil der Staatseinkünfte aus. Auch die Einnahmen aus dem Export von Kakao, Kaffee, Fisch und Bananen, sind zurückgegangen; sowohl die weltweite Nachfrage als auch die Preise sind gesunken. Dass der Staat Probleme hat, Devisen für die Entwicklungsfinanzierung aufzubringen, bekommen auch die ärmsten Bevölkerungsschichten zu spüren – zum Beispiel wenn das Geld für Sozialprogramme fehlt. Hinzu kommt, dass die Krise wichtige psychologische Auswirkungen hat. Ecuador hat Anfang 2000 seine Wirtschaft auf die Nutzung des US-Dollar als Währung umgestellt hat und ist damit Entwicklungen in den USA stark ausgeliefert.

Die Regierung kann schwerer Kredite im Ausland aufnehmen, obwohl die Wirtschaft dollarisiert ist?

Ja. Und dass der Dollar infolge der Krise im Verhältnis zu wichtigen anderen Währungen aufgewertet hat, schädigt die Wettbewerbsfähigkeit unserer Exporte – sie werden für unsere Handelspartner in deren Währungen teurer. Wir haben infolge der Einführung des US-Dollars keine Möglichkeit mehr, unsere Währung abzuwerten. Deshalb mussten wir, um auf solche Verwerfungen im Außenhandel zu reagieren, Zölle auf Importe einführen. Das hat zu politischen Konflikten mit unseren Handelspartnern geführt.

Welche politischen Lehren sollten die lateinamerikanischen Staaten aus dieser Krise ziehen?

Seit 1980 haben lateinamerikanische Länder unter einer Reihe von Finanz- und Schuldenkrisen gelitten. Für die nationale Politik ist die erste wichtige Lehre daraus, dass Länder, die Kredite im Ausland aufnehmen, dies sehr verantwortlich und nicht im Übermaß  tun sollten. Die zweite lautet, dass wir ein verantwortliches Schuldenmanagement brauchen, und die dritte, dass ein angemessenes Steuersystem nötig ist, damit wir den Finanzbedarf des Staates soweit wie irgend möglich aus Einnahmen im Land decken können und nur im Ausnahmefall gezwungen sind, uns im Ausland zu verschulden. Zusätzlich müssen aber international rechtsstaatliche Verhältnisse auf den Finanzmärkten geschaffen werden.

Was können lateinamerikanische Staaten dafür tun?

Wichtig ist die regionale Zusammenarbeit. Ecuador setzt sich zusammen mit anderen Ländern dafür ein, eine regionale Entwicklungsbank zu schaffen, die „Bank des Südens“, und ein regionales Reservesystem – einen Fonds, der in der Region Aufgaben übernimmt wie der Internationale Währungsfonds IWF global. Wir wollen außerdem ein System für die Abwicklung der Zahlungen zwischen den Ländern Lateinamerikas auf der Grundlage der Kunstwährung „Sucre“ (Sistema Único de Compensación Regional). Diese wäre mit den Sonderziehungsrechten des IWF vergleichbar.

Welche Reformen auf globaler Ebene halten Sie für nötig?

Wir brauchen eine neue globale Finanzarchitektur. Dazu gehört ein Verhaltenskodex für Beteiligte am Finanzmarkt mit Normen, die auch beachtet werden. Sie sollen unter anderem Steueroasen beseitigen. Die dienen ja nicht nur der Steuerhinterziehung, sondern oft auch illegalen Geschäften – etwa Drogen-, Waffen- und Menschenhandel. Der erste Schritt dazu, Steueroasen abzuschaffen, ist Transparenz bei der Besteuerung herzustellen. Es  muss klar erkennbar sein, was wo gezahlt werden soll und tatsächlich gezahlt wird. Außerdem brauchen wir eine Steuer auf Devisentransaktionen, die so genannte Tobin-Steuer, und das Aufkommen daraus muss gezielt verwendet werden, um Ungleichgewichte in den Zahlungsbilanzen verschiedener Länder auszugleichen. Diese entstehen zum Beispiel, wenn ein Land – wie zuletzt die USA – lange Zeit auf Kredit wesentlich mehr importiert als exportiert. Schließlich fordern wir ein geregeltes internationales Verfahren für die Insolvenz von Staaten. Das einzuführen ist unserer Ansicht nach entscheidend, um die Risiken in den Griff  zu bekommen, die mit dem freien Kapitalverkehr verbunden sind.

Fürchten Sie, dass die Krisenbekämpfungsmaßnahmen, insbesondere die neuen Kredite des IWF, zu einer neuen Schuldenkrise führen können?

Ja. Die neuen Kredite werden an Länder in einer wirtschaftlichen Krise vergeben. Und wir sollten nicht vergessen, dass der IWF und die anderen internationalen Finanzinstitutionen sich im Kern nicht geändert haben. Sie legen den Kreditnehmern nach wie vor Bedingungen auf, die Wirtschaftskrisen eher verschärfen – wie man jüngst im Fall Pakistan sehen konnte.

Setzen Sie auf Reformen des IWF oder wollen Sie ihn durch regionale Organisationen ersetzen?

Im Idealfall muss man ihn durch regionale Systeme ersetzen, wie ich sie geschildert habe. Die sollten auf globaler Ebene durch eine Weltzentralbank ergänzt werden, die aber etwas ganz anderes sein muss als etwa die Weltbank.

Könnte die nicht aus dem IWF hervorgehen und die Weltreservewährung aus dessen Sonderziehungsrechten?

Nein. Wir sind sehr pessimistisch in Bezug auf die Heilungschancen des IWF. Zu glauben, dass der IWF sich aufgrund der Krise grundlegend ändert, ist das gleiche wie anzunehmen, dass Dracula zum Vegetarier wird und als Aufseher in der Blutbank eingesetzt werden kann.

Wie stark ist in Lateinamerika die politische Unterstützung für solche Reformen in der Region und global?

In Ecuador war eine Reihe dieser Forderungen Teil unseres Wahlkampfes, mit dem Rafael Correa Ende 2006 die Präsidentschaftswahlen gewonnen hat. Die Bank des Südens wird außer von Ecuador auch von Bolivien, Honduras, Nicaragua und Venezuela unterstützt. Mit Ausnahme von Venezuela sind das kleinere Länder mit wenig Geld. Über die Kunstwährung Sucre gibt es eine lebhafte Debatte, die Idee wird im wesentlichen von derselben Ländergruppe unterstützt wird wie die Bank des Südens.

Wie beurteilen Sie die Reformansätze, die die Gruppe der 20 mächtigsten Staaten im April in London auf den Weg gebracht haben?

Einige Ansätze gehen in die richtige Richtung. Aber sie dringen nicht zum Kern des Problems vor – zum Beispiel beim IWF. Die Schritte der G20 gegen Steueroasen wären schon vor langer Zeit nötig gewesen. Wir beobachten jetzt den Übergang vom Washington-Konsens zum Konsens von London. Dieser enthält einige sehr gefährliche Elemente. Erstens stehen an der Spitze des internationalen Finanzsystems dieselben Organisationen, die die Krise mit verursacht haben, nämlich der IWF und die Weltbank. Zweitens ist es den G20 gelungen, wichtige Mächte, die eine Führungsrolle bei der Entwicklung regionaler Alternativen spielen sollten, statt dessen in den G20-Prozess einzubinden – darunter Brasilien und Argentinien. Das schadet dem regionalen Integrationsprozess sehr. Und drittens ist der Konsens von London verlogener als der von Washington: Den Ländern Lateinamerikas oder jetzt Pakistan wird die klassische Austeritätspolitik verordnet – etwa Zinserhöhungen und weniger Staatsausgaben –, während in Europa und den USA genau das gegenteilige Rezept befolgt wird.

Wird Ecuador trotzdem beim IWF Notfallkredite aufnehmen?

Wenn es keine andere Alternative gibt, ja. Aber dann muss man darauf achten, dass die Konditionen nicht schädlich sind.

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.

Der ecuadorianische Wirtschaftswissenschaftler Alberto Acosta ist ein enger Weggefährte von Präsident Rafael Correa und leitete die Verfassungsgebende Versammlung seines Landes.

 

erschienen in Ausgabe 7 / 2009: Finanzordnung: Was die Krise lehrt

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