Die USA wollen Hilfsgüter nach Venezuela bringen, um den selbsternannten Übergangspräsidenten Juan Guaidó zu stützen. Venezuelas Militär hat die Hilfslieferung an der Grenze abgefangen, die Regierung von Nicolás Maduro hat zwischenzeitlich die Häfen des Landes gesperrt. Ist Guaidós Aktion nach hinten losgegangen, weil Hilfe jetzt noch schlechter ins Land kommt?
Der Vorgang ist ein Paradebeispiel für das, was passiert, wenn man humanitäre Hilfe nicht als etwas grundsätzlich neutrales betrachtet, sondern versucht, sie für politische Ziele zu missbrauchen. Es gibt Hilfsorganisationen, die in Venezuela helfen können. Und es gibt einen Appell der Vereinten Nationen, der auflistet, was wer wo am dringendsten benötigt. Da ist es kontraproduktiv, wenn ein in der Region umstrittener Akteur wie die USA an diesen Strukturen vorbei eigene Hilfe ins Land bringen will – und dabei nur mit einer Konflikt-Partei zusammenarbeitet. Da kann nicht funktionieren. Der notleidenden Bevölkerung hilft man so sicher nicht.
Was bedeutet das für Hilfsorganisationen, die in Venezuela tätig sind, sich aber gegen die einseitige Hilfe aus den USA ausgesprochen haben?
Sie sollten noch stärker deutlich machen, dass ihre Hilfe streng neutral ist und sie sich nicht in den Streit einmischen, wer der legitime Präsident Venezuelas ist. Sie müssen unabhängig bleiben und allen Seiten helfen, rein nach dem Maß der Not.
Wie groß ist der Bedarf an Nothilfe in Venezuela?
Die UN gehen von einem Hilfsbedarf von 738 Millionen Dollar für die Bevölkerung von Venezuela und die Geflüchteten in der Region in diesem Jahr aus, 109 Millionen davon wären als Soforthilfen direkt im Lande nötig. Die Staatengemeinschaft hat für letztere aber bisher nicht einmal 50 Millionen Dollar zugesagt. Die USA könnten diese Lücken stopfen, statt mit eigenen Programmen die internationale Hilfe zu untergraben. Das würde auch Präsident Maduro auf die Probe stellen: Er müsste beweisen, dass er auch im großen Stil und wirklich unabhängige Hilfe zulässt, die bei denen ankommt, die sie am meisten nötig haben. Also eine Hilfe, die transparent und am wirklichen Bedarf orientiert ist. Die Hilfe wie die USA einfach an die Grenze zu bringen und einer Konfliktpartei zu übergeben, die sie dann nach eigenem Ermessen verteilt, widerspricht allen Grundsätzen der humanitären Hilfe sowie Maßstäben von Transparenz, Monitoring, Effizienz, die Geber wie die USA ja in anderen Fällen zu Recht einfordern.
Gab es in der Vergangenheit vergleichbare Fälle?
Es gab immer wieder Situationen, in denen Geber bestimmte politische Nebeneffekte mit ihrer Nothilfe erzielen wollten. Eines der plakativsten Beispiele war sicher der „winning hearts and minds“-Ansatz der USA nach dem Sturz von Saddam Hussein 2003, wo – vielfach durch das Militär – Hilfsgüter verteilt wurden, um die Einheimischen für sich einzunehmen. Aber dass man Hilfe so plakativ instrumentalisiert und sich so deutlich auf eine Seite stellt wie jetzt in Venezuela, ist eine neue Dimension.
Befürchten Sie schädliche Auswirkungen für die Nothilfe insgesamt?
Ja, weil es bestehende Tendenzen verstärken könnte. So wird der ungehinderte Zugang für humanitäre Helfer immer mehr infrage gestellt, vor allem in Kriegsregionen wie dem Jemen oder Syrien. Viele Konfliktparteien akzeptieren die völkerrechtlichen Grundlagen der Nothilfe nicht. Zugleich legen wichtige Geberstaaten mit der Begründung der Terrorismusbekämpfung neue Regeln fest, die es in Frage stellen, ob Helfer in bestimmten Regionen überhaupt noch anwesend sein oder mit bestimmten Gruppen überhaupt reden und verhandeln dürfen, vor allem wenn als terroristisch eingestufte Organisationen präsent sind. Studien belegen, dass Hilfsorganitionen sich deshalb mehr und mehr scheuen, in solchen Gegenden zu arbeiten. All das könnte dazu führen, dass Hilfe Gebiete nicht mehr erreicht, in denen sie am wichtigsten wäre, wie zum Beispiel in der syrischen Stadt Idlib, wo jederzeit Kämpfe eine humanitäre Katastrophe auslösen könnte. Der Respekt für eine neutrale, unabhängige Hilfe schwindet auf fast allen Seiten. Insofern haben die USA mit der Aktion in Venezuela der Nothilfe einen Bärendienst erwiesen.
Wer setzt dem noch etwas entgegen?
Deutschland gehört sicher zu den Ländern, die die Prinzipien der humanitären Hilfen hochhalten und dafür international sehr respektiert werden. Wünschenswert wäre aber eine konsequentere politische Haltung bei Entwicklungen vor der eigenen Haustür. Beispiel Seenotrettung: Wer mitträgt, dass Migranten und Flüchtlinge nur sehr bedingt aus dem Mittelmeer gerettet und dann vielfach nach Libyen zurückgebracht werden, wo unhaltbare Zustände herrschen, missachtet humanitäre Grundsätze. Ähnliches gilt für die Waffenexporte an Saudi-Arabien, das als Konfliktpartei im Jemen einer der weltweit größten humanitären Krisen dieser Zeit mitverursacht hat.
Das Gespräch führte Sebastian Drescher.
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