Bolivien dreht die Uhr zurück

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Ein Junge putzt Autoscheiben in Santa Cruz, Bolivien.

Kinderarbeit
Die Regierung des Andenlandes hat ihr fortschrittliches Gesetz zur Arbeit von Kindern unter 14 Jahren ohne öffentliche Debatte abgeschafft. Kinderrechtsexperten sind alarmiert.

Dieser Streit bewegt schon lange die Gemüter: Sollte Kinderarbeit komplett verboten werden? Oder wäre es realistischer, den Mädchen und Jungen, die zum Einkommen ihrer armen Familien betragen wollen oder müssen, Arbeit in Würde zu ermöglichen und sie vor Ausbeutung zu schützen?  Bolivien hatte sich im August 2014 als erstes und einziges Land weltweit klar für die zweite Option entschieden. Damals trat ein Kinder- und Jugendgesetz in Kraft, das Mädchen und Jungen ab zehn Jahren ein Recht auf Arbeit einräumte.

Dafür galten Auflagen wie die, dass die Eltern und die kommunalen Kinderrechtsbüros zustimmen mussten und Kinder unter zwölf Jahren lediglich selbstständig und nicht als Angestellte Geld verdienen durften. Die Kinderrechtsbüros sollten zudem dafür sorgen, dass die unter 14-Jährigen neben ihrer Arbeit zur Schule gehen konnten, und waren Anlaufstelle für Beschwerden und Probleme.

Die Organisationen arbeitender Kinder, die in den Gesetzgebungsprozess einbezogen waren, waren stolz auf diese Errungenschaft – erkannte Boliviens Regierung doch damit ihre Lebenswirklichkeit an. Präsident Evo Morales kennt die Lage armer Familien aus eigener Erfahrung: Er hatte als Minderjähriger in einer Bäckerei mitgearbeitet und auf der Straße musiziert, um das Haushaltseinkommen aufzubessern.

Die ILO war strikt dagegen

Scharfe Proteste kamen hingegen aus dem Ausland und von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO): Bolivien behindere mit seinem Gesetz sämtliche Bemühungen, die Kinderarbeit weltweit auszurotten. Laut einer ILO-Konvention ist die Arbeit oder Beschäftigung von Mädchen und Jungen unter 14 Jahren verboten.

Darauf hat Bolivien nun reagiert: Im vergangenen Dezember hat das Parlament alle arbeitsrechtlichen Garantien für unter 14-Jährige gestrichen. Das kommt laut Kinderrechtsexperten einem Arbeitsverbot für diese Altersgruppe gleich. Kurz zuvor hatten neben der ILO vor allem die USA Druck ausgeübt: Sie drohten, Bolivien von der Liste der Länder zu streichen, denen für Exporte in die Vereinigten Staaten Zollvorteile eingeräumt werden, sollte das Mindestalter für Kinderarbeit bei zehn Jahren bleiben.

Die Gewerkschaften arbeitender Kinder wurden vor der Gesetzesänderung nicht konsultiert. Für Jürgen Schübelin von der Kindernothilfe ist der Vorgang ein Skandal. Der Staat verabschiede sich aus seiner Schutzverantwortung und dränge die jüngeren Kinderarbeiter zurück in die Illegalität. Es sei zu befürchten, dass sich ihre Situation wieder verschlechtert, sagt der Leiter des Referates Lateinamerika und Karibik.

Bürokratische Fallstricke

Gleichwohl räumt er ein, die praktische Umsetzung des bisherigen Gesetzes sei „schwierig“ gewesen. So seien die Kinderrechtsbüros nie mit dem nötigen Geld und Personal ausgestattet worden, um ihre Aufgaben bei der Registrierung und Begleitung der arbeitenden Kinder zu erfüllen, sagt Schübelin. Andere Experten kritisieren, das Genehmigungsverfahren für die Kinderarbeit sei zu bürokratisch gewesen. Doch habe das Gesetz arbeitenden Kindern die Möglichkeit eröffnet, ihre Rechte einzufordern – darin sind die Experten einig.

Europäische und deutsche Vereine zur Unterstützung arbeitender Kinder und Jugendlicher kritisieren die Entscheidung der bolivianischen Regierung ebenfalls scharf. Der US-Handelsbeauftragte in Bolivien, Bruce Williamson, begrüßt dagegen die Gesetzesänderungen. „Wir haben großes Interesse daran, Bolivien darin zu unterstützen, die Kinderarbeit endgültig abzuschaffen“, sagte er im privaten Fernsehsender ATB.

Laut Medienberichten, die sich auf Informationen des nationalen Statistikamtes von April 2018 beziehen, arbeiten in Bolivien gut 17 Prozent der sieben- bis 17-Jährigen, das sind knapp 403.000 Mädchen und Jungen. Ein Drittel von ihnen ist selbstständig, etwa als Schuhputzer oder Zeitungsverkäufer, rund ein Viertel ist angestellt. Die restlichen arbeiten in Familienbetrieben mit.

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