Seit Anfang 2008 erhalten die Einwohner des Dorfes Otjivero bei Windhuk in Namibia ein bedingungsloses Grundeinkommen. Auf einer Tagung in Wuppertal berichtete die Projektleiterin von beachtlichen Erfolgen. Dennoch ist die Zukunft des so genannten „Basic Income Grant" (BIG) ungewiss. In gut einem Jahr werden die Projektmittel aufgebraucht sein.
„Wir haben den guten Willen und das Engagement, aber wir brauchen auch die Ressourcen zur Fortführung", erklärte der Direktor der Nationalen Planungskommission der Regierung in Namibia, Peter Katjavivi, Anfang März auf der Fachtagung in Wuppertal. Dort ging es auf Einladung der evangelischen Landeskirchen im Rheinland und in Westfalen sowie der Vereinten Evangelischen Mission (VEM), die Projektträger sind, nicht nur um eine Bilanz der weltweit einzigartigen Initiative zur Armutsbekämpfung, sondern auch um die Zukunft.
Im Rahmen von BIG bekommen 1200 Menschen in Otjivero monatlich je 100 namibische Dollar (circa acht Euro) ausbezahlt. Wie es Mitte 2010 weitergeht, wenn die 3,2 Millionen namibischen Dollar von Kirchen und Werken vor allem aus Deutschland verbraucht sind, weiß auch Projektleiterin Claudia Haarmann nicht. Laut der deutschen Theologin und Entwicklungsexpertin ist das Vorhaben ein Erfolg. „BIG ist ein kleines Projekt mit großer Wirkung", meint sie. Die Zahl unterernährter Kinder sei von 42 auf 17 Prozent gesunken, 90 Prozent der Grundschulkinder würden jetzt Schulgeld zahlen, die Dorfklinik habe ihre Einnahmen fast verzehnfacht und die armutsbedingte Kriminalität sei um 60 Prozent gesunken. Viele Menschen würden wirtschaftlich aktiv, mit Brotbacken, Ziegelherstellung oder kleinen Verkaufsständen, so Haarmann: „Das meiste Geld bleibt im Dorf."
Eine stolze Bilanz trotz aller lautstark geübten Kritik von weißen Farmern über Entwicklungsexperten bis hin zur Weltbank, die eine Grundsicherung ohne Kontrolle und Gegenleistung als „Faulheitsprämie" oder „soziale Hängematte" sehen. Der rheinische Präses Nikolaus Schneider dagegen forderte bei der Konferenz in Wuppertal mit Blick auf Deutschland und andere Länder: „Wir sollten dieses Modell im großen Stil auf seine Alltagstauglichkeit prüfen." Es gehöre zu den Grundaufgaben des Christentums, „nicht nur das Evangelium zu teilen, sondern auch die Güter", sagte Schneider, der auch Aufsichtsratsvorsitzender des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) ist. Deshalb halte er BIG für ein geeignetes Instrument.
Doch ob BIG anderswo Nachahmer findet, ist gut ein Jahr nach Beginn der Praxisphase unklar. In Deutschland würden zwar verschiedene Modelle eines Grundeinkommens diskutiert, berichtete der SPD-Politiker Reinhold Hemker. Seine eigene Partei jedoch sei keine Befürworterin. Das Problem, so der Europa-Parlamentarier Sepp Kusstatscher von den Grünen, sei die notwendige Einführung eines neuen Steuersystems, das nicht am Arbeitseinkommen ansetze, sondern vor allem an Konsum und Besitz. Auch in Namibia, wo zwei Drittel der Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben, wäre ein politisches Umdenken notwendig, erklärte der lutherische Bischof Zephania Kameeta und erinnerte an die biblische Geschichte von der Speisung der 5000. „Das Geheimnis liegt im Teilen und im gemeinsamen Brotbrechen", sagte er in Wuppertal. „Meine Hoffnung ist, das Otjivero in vielen andern Dörfern Namibias und überall in der Welt multipliziert wird. Wie das gehen kann, wissen wir noch nicht. Wir warten jetzt auf Antworten."
Bettina v. Clausewitz