Europa bleibt dabei: Vorsorge zuerst

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Gentechnik-Urteil
Der Luxemburger Richterspruch zum Umgang mit der Gen-Schere stärkt die Gegner der Gentechnik. Doch auch die Chancen der neuen Methoden sollten ernst genommen werden.

Bill Gates dürfte am 25. Juli 2018 ziemlich frustriert gewesen sein. An diesem Tag hat der Europäische Gerichtshof sein Urteil zur sogenannten Gen-Schere gesprochen. Mit der neuen Technik kann das Erbgut von Pflanzen, Tieren oder Menschen so verändert werden, dass bestimmte Eigenschaften verstärkt oder gelöscht werden – und zwar ohne dass wie in der „alten“ Gentechnik artfremdes Erbmaterial eingebaut wird.

Der Microsoft-Gründer, der mit seiner milliardenschweren Stiftung viele entwicklungspolitische Vorhaben fördert, hatte erst vor wenigen Wochen in einem Zeitschriftenaufsatz von den Möglichkeiten der Gen-Schere geschwärmt. Mit ihr könne man leistungsfähigere Nutztiere und Pflanzen für afrikanische Kleinbauern herstellen und so riesige Fortschritte im Kampf gegen den Hunger machen. Ja, sogar die Malaria könne besiegt werden, indem man das Erbgut von Moskitos ändere.

Das Urteil ist nachvollziehbar

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hat solchen Phantasien einen herben Rückschlag versetzt. Denn die Richter in Luxemburg urteilten, dass auch die neuen Gentechniken, die unter Kürzeln wie CRISPR/Cas, TALENs, RdDM bekannt sind, unter die EU-Richtlinie für gentechnisch veränderte Organismen fallen. Das heißt: Auch mit der Gen-Schere veränderte Pflanzen müssen ein aufwändiges und langwieriges Zulassungsverfahren durchlaufen, bevor sie in Europa gesät und verkauft werden dürfen. Fachleute sagen, dass die Technologie damit auf dem EU-Markt keine Chancen hat und auch international gebremst werden dürfte.

Das EuGH-Urteil ist nachvollziehbar, denn CRIPR/Cas und Co. sind ohne Zweifel Gentechnik im Sinne der EU-Richtlinie. Diese gilt zwar ausdrücklich nicht für bestimmte mutagenetische Verfahren, bei denen im Unterschied zur Transgenetik eben kein fremdes Genmaterial eingeschleust wird, sondern lediglich Mutationen im Erbgut des Organismus vorgenommen werden. Solche zufälligen Mutationen werden in der Pflanzenzüchtung bereits seit Jahrzehnten durch radioaktive Bestrahlung oder chemische Behandlung hervorgerufen und ereignen sich auch natürlich, dann aber seltener.

Mit der Gen-Schere passiert im Grunde das gleiche, nur dass der Eingriff gezielt und viel präziser ist. Genau deshalb bewertet der Gerichtshof die Gen-Schere kritischer als die etablierten mutagenetischen Verfahren: Mit den neuen Technologien lasse sich ein Organismus derart schnell und umfassend verändern, dass eine ebenso strenge Zulassung wie bei transgenetischen Organismen nötig sei, um die Risiken möglichst klein zu halten. Das entspreche dem in Europa geltenden Vorsorgeprinzip, heißt es in der Urteilsbegründung.

Die hitzige Debatte wird weitergehen

Das ist vernünftig. Allerdings wird auch dieser Richterspruch kaum dazu beitragen, die seit vielen Jahren hitzige und irrationale Debatte um die grüne Gentechnik zu versachlichen. So niedergeschlagen deren Fans wie Bill Gates jetzt sind, so begeistert sind die Gegner, von denen viele die Gentechnik für Teufelszeug halten, das nicht bloß streng reguliert, sondern am besten ganz aus der Welt geschafft werden sollte. Wenn es um Chancen und Risiken der Gentechnik für die Landwirtschaft in armen Ländern geht, übertreiben beide Seiten maßlos: die Befürworter mit ihrer naiven Vorstellung, es fehle vor allem an der richtigen Technik, um Hunger und Mängel in der Landwirtschaft zu beseitigen; und die Gegner, die behaupten, grüne Gentechnik treibe Kleinbauern überall auf der Welt in die Abhängigkeit von gierigen Saatgutkonzernen.

Tatsache ist: In den Entwicklungsländern spielt die grüne Gentechnik bis auf wenige Ausnahmen wie Indien oder Brasilien keine Rolle. Mehr als 90 Prozent der weltweiten Agrarfläche mit genveränderten Pflanzen liegen in nur fünf Ländern; allein auf die USA entfallen 40 Prozent. Vor allem in Afrika hat die grüne Gentechnik seit ihrer Kommerzialisierung vor gut 20 Jahren weder einen nennenswerten Beitrag zur Stärkung der Landwirtschaft geleistet, noch haben die internationalen Saatgutmultis mit ihrer Hilfe massenhaft Kleinbauern in die Knechtschaft gezwungen. Außer in Südafrika werden auf dem Kontinent nirgendwo nennenswert genveränderte Nutzpflanzen angebaut.

Behutsam mit den neuen Pflanzen umgehen

Mit der Gen-Schere könnte sich das ändern, hoffen Befürworter der Technik. Denn sie ist viel billiger und einfacher zu handhaben als die alte Transgenetik. Sie bietet deshalb gerade auch kleineren Saatgutherstellern oder öffentlichen Forschungsinstituten neue Möglichkeiten und nicht nur milliardenschweren Konzernen wie Monsanto und Bayer. In Kenia und Uganda gab es bereits erste Forschungen an widerstandsfähigen Maniok-Sorten. 

Mit diesen neuen Pflanzen muss ebenso behutsam umgegangen werden wie mit ihren transgenen Vorläufern – es ist gut, dass der EuGH das klargestellt hat. Aber so wie potenzielle Risiken sollten auch die möglichen Chancen der neuen Gentechnik ernst genommen werden. Es wäre schlecht, wenn das Luxemburger Urteil den Blick darauf verstellte.

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