Von Udo Steinbach
Die „Regensburger Rede" von Papst Benedikt XVI. im September 2006 löste in der islamischen Welt große Empörung aus und schien den Graben zwischen ihr und dem christlichen Westen zunächst zu vertiefen. Sie gab jedoch auch den Anstoß zu einer ganzen Reihe von Begegnungen zwischen den beiden Religionen. In einer ersten gemeinsamen Erklärung wandten sich katholische und islamische Geistliche im November 2008 gegen Gewalt und Terrorismus im Namen der Religion.
Im November 2008 hat das Katholisch-Muslimische Forum zum Thema „Gottes- und Nächstenliebe" im Vatikan eine Erklärung vorgelegt, in der sich beide Seiten unter anderem zum Recht auf Religionsausübung und zur Achtung religiöser Minderheiten bekennen. Das „Forum" wendet sich gegen Gewalt und Terrorismus, „vor allem jenen, der im Namen der Religion verübt wird". Diese Grundsätze sind natürlich nicht neu. Doch diese erste gemeinsame Erklärung katholischer und islamischer Geistlicher ist ein Zeichen dafür, dass im Dialog der Religionen Wichtiges erreicht worden ist.
Den Anstoß gab die Rede, die Papst Benedikt XVI. am 12. September 2006 in Regensburg gehalten hatte. Sie schien den Graben zwischen der christlich-westlichen und der islamischen Welt zunächst eher zu vertiefen. Insbesondere ein Zitat aus einem Dialog des byzantinischen Kaisers Manuel II. mit einem muslimischen Gelehrten von 1391 erregte den Zorn der Öffentlichkeit in der islamischen Welt: „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat und da wirst Du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie das, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten." Anschließend bestimmte der Papst aus katholischer Sicht das Verhältnis von Glaube und Vernunft (logos) und bezog sich auf den Kaiser, der eingehend begründet habe, warum Glaubensverbreitung mit Gewalt widersinnig sei. Und er schloss: „In diesen großen Logos, in die Weite der Vernunft laden wir beim Dialog der Kulturen unsere Gesprächspartner ein."
Jenseits aller Empörung war unüberhörbar, dass der Papst eine zentrale Frage an den Islam in der Gegenwart ansprach: Die Gewalt im Namen der Religion. Wo sind die Stimmen islamischer Theologen angesichts dieser Instrumentalisierung von Religion? Die große Mehrheit der islamischen Ideologen der Gewalt und des Terrors waren und sind Laien - Khomeinis schiitische islamische Revolutionstheorie im Iran ist eine Ausnahme, die die Regel bestätigt. Diese Gewalt richtete sich aber in erster Linie gegen islamische Gesellschaften und Regime. Und sie belastet zunehmend die Beziehungen zwischen Christen und Muslimen - mit handfesten Problemen auf beiden Seiten: Übergriffen auf Christen in der islamischen Welt und der Entfremdung zwischen muslimischen Minderheiten und christlichen Mehrheiten in Europa. Islamkritiker weisen gern auf das Missverhältnis zwischen der Stellung von Christen in der islamischen Welt (nicht zuletzt der Migranten christlichen Glaubens in Saudi Arabien) und den Rechten hin, die Muslime in Europa genießen.
Wenn der Papst mit seiner Provokation die Absicht verfolgt hat, die Theologen auf die Bühne zu rufen, so ist ihm ein Coup von großer Tragweite gelungen. Bereits einen Monat nach der Rede meldeten sich 38 islamische Theologen in einem offenen Brief zu Wort. Dies war an sich schon ein Ereignis. Denn da der Islam keine kirchliche Hierarchie aufweist, mussten erst weltweit Theologen gewonnen werden, um dem Dokument einen repräsentativen Charakter zu geben. Das gelang. Geistliche und Professoren der Theologie aus zahlreichen Ländern - auch aus Saudi Arabien -, Sunniten und Schiiten gehören zu den Unterzeichnern. Sie greifen mit Respekt, aber nicht ohne Kritik vier Themen der Papstrede auf: Kein Zwang in der Religion; Transzendenz Gottes; Gebrauch der Vernunft; und das Wesen des Heiligen Kriegs.
Ein Jahr später, im Oktober 2007, folgt ein noch gewichtigeres Dokument: „Ein gemeinsames Wort zwischen uns und Euch", das von 138 islamischen Theologen unterschrieben ist. Im Mittelpunkt stehen die Liebe Gottes und des Nächsten. Die Stellungnahme bezieht sich ohne Zweifel auf die Ausführungen des Papstes, auch wenn sie zugleich an andere Kirchen - protestantische und orthodoxe - adressiert war.
Die politische Dimension des sich entspinnenden Dialogs zeigte sich, als im November 2007 der saudische König Abdullah von Papst Benedikt XVI. empfangen wurde. Die Sorge des Papstes gilt angesichts islamistischer Gewalt im Nahen Osten dem orientalischen Christentum sowie jenen Hunderttausenden von Christen aus aller Welt, die in den Ölstaaten - nicht zuletzt in Saudi Arabien - arbeiten und denen das Recht auf freie Religionsausübung und andere Menschen- und Bürgerrechte vorenthalten bleiben. Dem obersten Repräsentanten des wahabitischen Königreichs hängt der Ruf an, über die Jahrzehnte islamistische Gewalt in verschiedenen Ländern gefördert zu haben. Immer noch sind in seinem Land antiwestliche Hassprediger nicht verstummt und die Praktizierung aller nicht islamischen Kulte ist eingeschränkt. Mit welcher Autorität und mit welcher Absicht sprach er mit dem Papst?
Der saudische Monarch fühlte sich in seiner Eigenschaft als „Diener der beiden heiligen Stätten" des Islam, Mekka und Medina, dazu berufen, als Sprecher der ganzen islamischen Welt zu aufzutreten. Und die saudische Führung hatte spätestens mit dem Terroranschlag auf drei Niederlassungen von Ausländern in Riad im Mai 2003 erkannt, dass sich die Gewalt von Seiten militanter Muslime auch gegen das mit den USA eng verbundene Saudi-Arabien richtete. Als Reaktion wurden eine Reihe Reformmaßnahmen getroffen - politische, darunter Wahlen zu lokalen Volksvertretungen, und religionspolitische. So wurden die öffentliche Sichtbarkeit der Religionspolizei zurückgedrängt, eine Reihe radikaler wahabitischer Zentren geschlossen und Prediger stärker zensiert. In einem beispiellosen Schritt hatte Abdullah schon im April 2003 eine Delegation saudischer Schiiten empfangen, die ihm eine Petition mit der Forderung nach bürgerlicher Gleichstellung mit der sunnitischen Mehrheit übergab. Der Krieg im Libanon 2006 zeigte dann, dass die Radikalisierung der „arabischen Straße" die Stabilität der gesamten Region zunehmend bedrohte, und verstärkte den Reformdruck.
„Glaube und Vernunft widersprechen einander nicht"
Seit dem Besuch Abdullahs in Rom zeichnet sich eine zweigleisige Strategie ab: gemeinsame theologische Standortbestimmung auf der einen Seite, deren Projektion in den politischen Raum auf der anderen. Zunächst wurde der theologische Dialog mit der Gründung des „Katholisch-Muslimischen Forums" im März 2008 institutionalisiert. Auf Seiten des Vatikan bestand mit dem „Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog" dafür schon ein bewährter Akteur. Als der Dialog mit dem sunnitischen Islam auf die Schiene gebracht war, folgte Ende April 2008 eine inhaltlich noch konkretere Verständigung mit Vertretern des schiitischen Islam, vertreten durch das „Zentrum für Interreligiösen Dialog der Organisation Islamischer Kultur und Beziehungen" in Teheran. Diese Organisation steht der iranischen Führung nahe und kann als das Instrument gesehen werden, mittels dessen diese im Namen des schiitischen Islam sowohl den Dialog mit den anderen Religionen als auch die „Annäherung" an den sunnitischen Islam betreibt. Glaube und Vernunft widersprechen einander nicht, heißt es in der gemeinsamen Erklärung; sie können nicht zur Legitimation von Gewalt missbraucht werden. Auch dürften religiöse Traditionen nicht auf der Basis eines einzelnen Verses oder einer Passage in den jeweiligen Heiligen Schriften beurteilt werden.
Anfang Juni 2008 folgte eine Abstimmung zwischen Sunniten und Schiiten für den weiteren Dialog. Dazu ergriff die Islamische Weltliga die Initiative. Diese war 1962 in Mekka von Gelehrten aus 22 islamischen Ländern gegründet worden und von Anfang an ein Vehikel, mit dem das saudische Regime konservative sunnitisch-islamische Kräfte weltweit zu stärken suchte. Im Mittelpunkt der „Erklärung von Mekka" steht der Appell zum Dialog der Offenbarungsreligionen - habe Gott selbst doch die Vielfalt der Religionen gewollt. Unüberhörbar haben sich die in Mekka versammelten Theologen mit diesem Aufruf nicht leicht getan, bedeutet er doch implizit die Aufgabe des Anspruchs, dass der Islam die einzige wirkliche Offenbarung des Einen Gottes enthalte. Mit ihrem Appell an Zivilisationen, Kulturen und Philosophien, an Akademiker, Medien und religiöse Führer räumen sie ein, dass Islam, Christentum und Judentum an religiösem Gehalt auf einer Stufe stehen.
Das bis dahin Erreichte ist besonders mit Blick auf die islamische Seite bemerkenswert. Hat sie sich doch auf Themen und Fragen eingelassen, deren Eckpunkte wesentlich von Benedikts Regensburger Rede abgesteckt sind. Zugleich ist es gelungen, über die Differenzen von theologischen Schulen und Konfessionen hinaus eine fast globale sprachfähige Vertretung des Islam zu konstituieren. Im Juli 2008 lud dann die Islamische Weltliga zu einer Großveranstaltung in Madrid unter der gemeinsamen Schirmherrschaft des saudischen und spanischen Königs. An die 300 Vertreter aller großen Religionen und Zivilisationen saßen am Tisch - für den saudischen König besonders heikel: auch des Judentums. Der Vorsitzende des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog, Kardinal Tauron, erklärte, aus dem Appell von Mekka gehe das Bild eines Islam hervor, der sich der Weltöffentlichkeit mit einem anderen Gesicht präsentieren wolle als des vom Terrorismus gezeichneten. Ähnlich äußerte sich Abdallah in seiner Eingangsansprache. Damit machte er das politische Anliegen des Dialogs der Theologen erneut deutlich.
Vor diesem Hintergrund ist das Treffen des Katholisch-Muslimischen Forums vom November 2008 zu sehen. Seine Erklärung berührt Kernfragen für die Beziehungen zwischen dem Islam und dem Westen: die Gewalt, die Gleichheit der Geschlechter, die Freiheit des Willens, den Respekt vor der Person und ihren Entscheidungen in Gewissens- und Religionsfragen sowie den Anspruch religiöser Minderheiten auf Ausübung ihres Glaubens ohne Diskriminierung. Anlässlich eines Empfangs für die Teilnehmer des Forums mahnte Papst Benedikt XVI. konkrete Schritte an: Die politischen und religiösen Führer hätten die Pflicht, die freie Ausübung aller Rechte und die Gewissens- und Religionsfreiheit sicher zu stellen.
Die Trennung von Religion und Politik ist im Islam schwierig
Dahinter können im Prinzip auch die politischen Führungen in der islamischen Welt nicht mehr zurück. Es gibt allerdings noch keine einklagbaren Kriterien des Verhaltens auf beiden Seiten. Wie wird mit Glaubenswechsel umgegangen, der im islamischen Raum vielerorts mit gesellschaftlicher Ächtung und mit schweren Strafen bis zur Todesstrafe geahndet wird? Wie kann die Stellung des orientalischen Christentums verbessert und abgesichert werden? Und wie wird die Ausübung des christlichen Glaubens nicht zuletzt in Saudi Arabien gewährleistet? Werden sich die dialogbereiten Reformer theologisch gegen diejenigen durchsetzen, die den Dialog noch hartnäckig verweigern?
Anders als auf der christlichen ist es auf der islamischen Seite schwer, Religion und Politik zu trennen. So überrascht es nicht, dass hier politische Führer den Theologen, die für den Dialog offen sind, Gehör und Gewicht verschaffen wollen. Zu lange haben die radikalen Deuter des Islam die religiöse und politische Bühne beherrscht. Auf dem Weg des Religionsdialogs sind nun erste Schritte in Richtung auf eine Allianz gegen Gewalt, für die bessere Achtung der Menschenrechte und für die Glaubensfreiheit getan worden. In zwei Jahren soll ein weiteres theologisches Forum den Faden fort spinnen. Der ökumenischen Dimension würde es entsprechen, wenn dann neben den muslimischen nicht nur katholische Theologen am Tisch säßen.
Udo Steinbach ist Islamwissenschaftler und Experte für den Nahen und Mittleren Osten in Berlin. Er war von 1976 bis 2007 Leiter des Deutschen Orient-Instituts in Hamburg.