Von Michaela Ludwig
Sierra Leones Hauptexportgüter sind Diamanten und Kakao. Wer als kleiner Schürfer sein Glück versucht, hat jedoch wenig Chancen auf einen nennenswerten Anteil an den Diamantenerlösen. Dagegen blicken Kleinbauern in der Region Kono angesichts steigender Kakaopreise optimistisch in die Zukunft - nicht zuletzt dank ihrer neu aufgebauten Kooperativen.
Tamba Kaitonjay schlägt die gelbe, handgroße Kakaofrucht auf einen Stein. Dann bricht er die Schale auseinander und puhlt die Kakaobohnen aus dem glitschig-weißen Fruchtfleisch. „Dieses Jahr ist es nicht viel, weil ich die Bäume so weit zurückschneiden musste", sagt der 39-Jährige und schaut sorgenvoll zu seinen Kindern hinüber. Die Bohnen landen in einem mit Bananenblättern ausgekleideten Korb. „Aber im nächsten Jahr erwarte ich eine gute Ernte."
Die Ernte im tropischen Hochland von Sierra Leone ist in vollem Gange. Im Dörfchen Ngeihun nahe der Provinzhauptstadt Koidu leben über hundert Bauern mit ihren Familien. Kakao bauen sie hier alle an. Aber bei Tamba Kaitonjays Kollegen laufen die Geschäfte schon besser. Seit zwei Jahren verdienen sie wieder Geld mit ihren Bohnen. Das liegt weniger an den hohen Weltmarktpreisen, sondern vor allem daran, dass sie ihre Kakaobohnen nicht mehr an Zwischenhändler, sondern an die Millennium-Kooperative der Kakaopflanzer (Millenium Cocoa Growers Cooperative) verkaufen.
In den Jahren zuvor kamen die Kakao-Zwischenhändler bereits im Juni in die Dörfer, wenn die Nahrungsmittelvorräte zur Neige gingen. „Wir brauchten dringend Reis, hatten aber kein Geld, um welchen zu kaufen", erklärt Aiah Njawa, der Dorfchef und Vertreter der Kooperative in Ngeihun. „Sie gaben uns einen Sack Reis, dafür mussten wir später zwei Säcke Kakaobohnen zurückzahlen." Auch Kredite gewährten die Zwischenhändler den Bauern, die diese in Kakao erstatten mussten. Es war ein Kreislauf der Abhängigkeit. Die Millennium-Kooperative hat mit Hilfe aus Europa ein Aufkaufs- und Vertriebsnetz für die Mitglieder aufgebaut und verkauft den Kakao nun direkt an die Importeure in Europa oder Amerika. Außerdem schult sie die Bauern in Anbau und Weiterverarbeitung des Kakaos nach dem Motto: „good produce - more money" - gutes Produkt, mehr Geld. Damit hat für die Kakaobauern von Ngeihun eine neue Zeitrechnung begonnen.
Die Pflanzungen waren im Krieg verwildert
Während des elf Jahre andauernden Bürgerkrieges, der hier im Osten am heftigsten wütete, flüchteten die Bewohner von Ngeihun immer wieder in die Wälder, weit weg von ihrer Siedlung, und hielten sich jahrelang versteckt. Die Kakaofrüchte verfaulten derweil an den Bäumen und die Pflanzungen verwilderten. Als die Familie Kaitonjay nach dem Ende des Krieges 2002 zurückkehrte und Tamba Kaitonjay das erste Mal wieder zur Pflanzung hinaufstieg, war er vollkommen entmutigt. „Einige Kakaobäume waren tot und Krankheiten hatten sich ausgebreitet", erzählt er.
Die sechs Hektar große Kakaopflanzung, die seinen Großeltern gehörte und auf der er vor dem Krieg immer geholfen hatte, war nun sein Eigentum. Viele Kollegen besaßen weniger, doch sie machten sich an die Arbeit und säuberten ihre Pflanzungen Meter für Meter mit der Machete. Viele wussten kaum mehr etwas über den Kakaoanbau, und die Bohnen, die sie produzierten, waren von schlechter Qualität. Tamba Kaitonjay hingegen entschloss sich für einen anderen Weg, um die Familie zu ernähren, die inzwischen auf 13 Mitglieder gewachsen war - neben seiner Frau und acht eigenen acht Kindern waren da noch seine Eltern und zwei Neffen, die er aufgenommen hatte. Er versuchte sein Glück in Ngaiya Junction, eine gute Stunde Fußweg entfernt von Ngeihun.
Dort befindet sich Bungema 1, eine von unzähligen oberirdischen Diamantenminen im Bezirk Kono. Wie eine offene Wunde frisst sich das Abbauloch in den Busch hinein. Der Wasserspiegel der Schlammbrühe, die sich in der Mitte angesammelt hat, liegt fünf Meter tief. „Ich hatte gehört, dass man viel Geld verdienen kann", erzählt Tamba Kaitonjay und lächelt verlegen. „Ich wollte schnell unser Haus wieder aufbauen und das Schulgeld für die Kinder verdienen." Wie ein Glücksritter sieht der Familienvater nicht aus, auch wenn er heute, beim Besuch seines früheren Arbeitsplatzes in der Mine, ein Hemd trägt, das mit Dollarnoten bedruckt ist.
In der Mine arbeiten mehr als 150 Schürfer. Das Gelände ist mit Erdwällen und Stöcken in wenige Quadratmeter große Parzellen unterteilt. Dort schaufeln Gruppen von jeweils drei Männern die rotbraune Erde auf Haufen. Die Jüngsten schleppen den Sand in Säcken hinüber zum Wasser, wo die „Wäscher" bis zu den Knien in der Brühe stehen und das Geröll mit kreisenden Bewegungen der Siebe säubern. Dies war der Arbeitsplatz von Tamba Kaitonjay. Schweiß sammelt sich auf der Stirn der Männer, nur wenige schützen sich mit Mützen vor der sengenden Sonne. Während sie mit ihren muskulösen Armen die Siebe in die Brühe tauchen und weiter rotieren lassen, sammeln sich die Steine in der Mitte. Die Blicke gleiten voller Sehnsucht über das wertlose Geröll.
In Sierra Leone werden Diamanten bester Qualität gefördert und zur Weiterverarbeitung ins Ausland exportiert. Das waren im Jahr 2007 etwa 600.000 Karat im Wert von 19 Millionen Euro - gut die Hälfte der gesamten Exporterlöse. Damit zählt das Land zu den zehn wichtigsten Förderländern weltweit. Für das westafrikanische Land und seine Bewohner sind die Diamanten Fluch und Segen zugleich, denn mit dem Verkauf der so genannten „Blutdiamanten" finanzierten die Rebellen den brutalen Bürgerkrieg: Die Steine wurden über die Grenze nach Liberia gebracht und von dort in Waffen umgesetzt.
Obwohl der Sektor 120.000 Menschen beschäftigt, das sind zehn Prozent der erwachsenen Bevölkerung, profitieren nur wenige von diesem Reichtum. Die überwiegende Mehrheit arbeitet wie seinerzeit Tamba Kaitonjay informell, also unorganisiert, in einer Art Knechtschaft. Die kleinen, oberirdischen Minen gehören in der Regel Einheimischen. Der lukrative unterirdische und industrielle Abbau hingegen liegt in den Händen weniger ausländischer Unternehmen.
Der Landbesitzer und Lizenzinhaber von Bungema 1 ist ein hoher traditioneller Führer. Verwaltet wird die Mine vom Dorfgemeinschaftskomitee, das am Gewinn prozentual beteiligt ist und diesen in die Dorfentwicklung investiert. Da die Schürfer keine finanziellen Reserven haben, von denen sie leben und eigenes Werkzeug kaufen können, sind sie auf Investoren, so genannte „Unterstützer", angewiesen. Das sind relativ wohlhabende Bauern oder Händler, die ihren dreiköpfigen Arbeitstrupps Werkzeug stellen und am Tag pro Kopf 2000 Leones, umgerechnet 50 Eurocent, für die Verpflegung - quasi als Vorschuss - zahlen. Tamba Kaitonjay arbeitete für seinen Cousin Aiah Njawa, den wohlhabenden Dorfchef von Ngeihun.
Vier Jahre lang lebte der Familienvater von der Hoffnung, den großen Diamanten zu finden - und von den 50 Eurocent am Tag. „Mein Team hat nur sehr kleine Steine gefunden, das Geld haben wir immer geteilt. Nur ein einziges Mal fanden wir einen großen, dafür gaben sie mir 50.000 Leones." Das sind gerade mal 13 Euro. Viel zu wenig, um die Familie zu ernähren und den Schulbesuch der Kinder zu bezahlen. Das wurde ihm jeden Freitag schmerzlicher bewusst, wenn er nach Hause ging, um seine Familie zu sehen. „Es lief immer schlechter. Die Kinder konnten nicht zur Schule gehen", erinnert er sich, „und wenn sie krank waren, konnten wir den Arzt nicht bezahlen."
Tamba Abu ist ein jüngerer Cousin von Tamba Kaitonjay und finanziert zwei Schürferteams - seine fünf jüngeren Brüder. Als die beiden Männer sich an Tambas ehemaligem Arbeitsplatz begegnen, begrüßen sie sich ausgiebig mit Fragen nach dem Befinden der Familien. Auch Tamba Abu besitzt ein Stück Land, auf dem er Kakao anbaut. „Den Gewinn aus dem Verkauf von Kakao und Kaffee investiere ich in Diamanten", sagt er. Im Radio läuft ein Lokalsender. „Diamanten sind nicht für die Ewigkeit, Landwirtschaft schon", bringt der Sprecher die Botschaft an die Menschen im Bezirk Kono auf den Punkt. „Es fehlen viele Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, das ist problematisch für den Wiederaufbau und für die Ernährungssicherheit des Landes", erklärt Franz Möstl von der Welthungerhilfe, die die Kooperative unterstützt. „Nach dem Krieg sind viele Menschen, vor allem Jugendliche, in den Städten geblieben und arbeiten dort im informellen Sektor. Außerdem kommen junge Männer aus dem ganzen Land in die Minenregion in der Hoffnung, reich zu werden."
Auch Daniel Kaitonjay ist froh, dass sein Vater „in den Busch" zurückgekehrt ist. „Wir saßen hier im Dorf und haben wirklich gelitten", sagt er in tadellosem Englisch. Der aufgeweckte 16-Jährige besucht die weiterführende Schule in der Stadt und wohnt dort bei einem Onkel. An Wochenenden und in den Schulferien läuft er nach Hause und hilft seinem Vater in der Pflanzung. „Hier im Busch verdient man jeden Tag", sagt Daniel und zeigt auf die Bananenbäume, das Reisfeld in der Größe eines Fußballfeldes und die Kakaosetzlinge. Doch das ist für die Familie Kaitonjay noch Zukunftsmusik - und harte Arbeit. Im vergangenen Jahr haben sie erst zwei Hektar wiederhergestellt. Dabei konnte Tamba Kaitonjay auf die Hilfe der Kollegen setzen: In Teams von elf Männern unterstützen sich die Bauern gegenseitig bei der Ernte und vor allem beim Ausschlagen von Gestrüpp und Unterholz. Das muss zweimal pro Jahr gemacht werden, damit die Schädlinge im Schach gehalten werden.
Den endgültigen Entschluss, ins Dorf zurückzukehren, fasste Tamba Kaitonjay, als er beobachtete, wie gut sich die Pflanzungen der Nachbarn entwickelten, und hörte, dass sie die Bohnen zu einem hohen Preis an die neue Kooperative verkaufen können. Die Millennium-Kooperative der Kakaopflanzer wurde vor drei Jahren in der Bezirkshauptstadt Koidu gegründet und ist eine von drei Kooperativen, die nach dem Krieg wieder aufgebaut wurden. Bis heute haben sich ihr 3000 Familien aus drei Bezirken angeschlossen, die Zahl steigt. Die Mitarbeiter der Kooperative nehmen nur den besten Kakao ab und zahlen den Bauern im Gegensatz zu den Zwischenhändlern die marktüblichen Preise. Dazu gibt es einen kleinen Qualitätszuschlag als Anreiz. Um den hohen Ansprüchen zu genügen, erhalten die Bauern regelmäßige Schulungen.
Neue Trockenmethoden
Die Trockentische in der Mitte des Dorfes sind ein Zeichen für die neue Zeit. Fünf dieser Holzkonstruktionen haben die Mitarbeiter der Kooperative nach Ngeihun gebracht. Dort verteilen die Kinder die braunen, mandelgroßen Bohnen auf der Bambusmatte, die ausgerollt auf dem Tisch liegt. „Früher sollten wir die Bohnen möglichst schnell abgeben, ohne sie richtig zu fermentieren und zu trocknen", sagt Dorfchef Aiah Njawa. „Jetzt geht es schneller, weil auch der Wind beim Trocknen hilft. Außerdem liegen sie nicht mehr im Staub."
Maßnahmen wie diese helfen, die Qualität und damit die Preise zu verbessern. Noch hat der sierra-leonische Kakao bei Händlern in Europa einen schlechten Ruf. Er gilt als Billigware mit sehr unterschiedlicher, teilweise schlechter Qualität. Um das zu verändern, ist auch der Staat gefragt. Das zuständige so genannte Ad-hoc-Komitee der Regierung, das nach dem Bürgerkrieg eingerichtet wurde, erhebt allerdings lediglich die Ausfuhrzölle für die Exportware. Eine Qualitätskontrolle findet nicht statt. Die Kontrollformulare werden unterzeichnet, egal, ob die Kakaobohnen gut oder minderwertig sind. Die Preise richten sich nach der minderwertigen Qualität, das verdirbt die Motivation, gute Bohnen zu produzieren.
Sierra Leones Regierung beabsichtigt nun auf Drängen des größten Importeurs, des britischen Handelshauses ED&F MAN, sowie großer Händler und Geberorganisationen, eine unabhängige Kontrollstelle aufzubauen, die die tatsächliche Qualität zertifiziert und im Interesse der Bauern, aber auch der Importeure arbeitet. Die höheren Preise wären auch eine Anerkennung für die gute Arbeit der Bauern von Ngeihun.
Michaela Ludwig ist freie Journalistin in Hamburg.