Der Religion schenken Entwicklungsorganisationen in ihrer Arbeit seit einigen Jahren mehr Beachtung als früher. In vielen Fällen sichert das den Erfolg von Projekten, teilweise bringt es aber auch neue Probleme.
Die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) widmet der Rolle des Islam in der Projektarbeit seit 2001 besondere Aufmerksamkeit, anfangs mit Schwerpunkt Afrika, zunehmend aber vor allem im Mittleren und Nahen Osten sowie in Zentralasien. Die GTZ hat eine Reihe von Kooperationsmodellen zur Arbeit in islamischen Kontexten entwickelt und gute Erfahrungen mit der Berücksichtigung islamischer Rechtsnormen und Werte sowie der Einbeziehung muslimischer Repräsentanten gemacht.
Die Unterstützung von Gruppen und Netzwerken in der Friedensarbeit und der Konfliktnachsorge, vor allem bei Konflikten mit religiöser Komponente, war einer der ersten Schwerpunkte religionssensibler Entwicklungszusammenarbeit. Erweitert wurde dieser Fokus bald auf Bereiche wie Gesundheit (Aids-Bekämpfung) und Umwelt. In der Ausbildung von Entwicklungshelfern hat das Thema seit 2006 einen eigenen Platz: Die InWEnt-Vorbereitungsstätte in Bad Honnef bietet seitdem Kurse zur Arbeit im islamischen Kontext an. Dennoch werden nach Ansicht von InWEnt-Geschäftsführer Bernd Schleich die Chancen, aber auch die Risiken des Religiösen in der Entwicklungszusammenarbeit noch zu wenig gesehen. Viele Mitarbeiter in den Partnerländern hätten Vorbehalte, sich dieser Aufgabe zu öffnen, sagte Schleich auf einer Tagung im Dezember in Bonn.
Für die Arbeit katholischer Werke hatte die Deutsche Bischofskonferenz schon 1998 die Erstellung von Leitlinien für interreligiöse Entwicklungszusammenarbeit in Auftrag gegeben. 2005 legte die Wissenschaftliche Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Bischofskonferenz dazu eine Studie vor. Laut dem Leiter der Arbeitsgruppe, Johannes Müller, gibt es eine Diskrepanz „zwischen einem wachsenden Bewusstsein der Wichtigkeit interreligiöser Entwicklungszusammenarbeit und einer mangelnden Umsetzung“. Die Verabschiedung gemeinsamer Leitlinien für die katholische Entwicklungsarbeit ist denn auch bis heute nicht gelungen.
In der protestantischen Entwicklungszusammenarbeit ist das Projekt des Evangelischen Missionswerks in Südwestdeutschland „Fischen versöhnt“ bemerkenswert, das im vormaligen indonesischen Bürgerkriegsgebiet Nord-Molukken Menschen aus beiden Religionen in einem Fischereiprojekt zusammenführt. Konferenzen mit internationalen Partnerkirchen und handlungsleitende Erklärungen zum Thema Gewalt und Religion zum Beispiel im Libanon und in Indonesien haben die Bemühungen des Missionswerks breiter verankert. Und dem christlichen Friedensdienst EIRENE ist es nach langer Vorbereitung gelungen, eine Fachkraft für ein Kooperationsprojekt mit Koranschulen in Niger zu entsenden.
Für Diskussionen sorgen innerhalb der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit das Verhältnis von Mission und Entwicklungsarbeit (siehe welt-sichten 12/2008-1/2009, S. 66) und die Frage der Nutznießer: Die Arbeit von Brot für die Welt, Misereor oder Caritas International kommt oft auch Mitgliedern anderer Religionen zugute. Gerade in Konfliktregionen kann dies zu Problemen mit den eigenen kirchlichen Partnern führen.
Die Menschenrechte wurden auf der Bonner Tagung als Grenze für die Toleranz von religiösen Werten in der Entwicklungszusammenarbeit genannt. Hans-Dietrich Lehmann, Abteilungsleiter im Bundesentwicklungsministerium sagte: „Menschenrechte sind nicht verhandelbar – auch nicht gegenüber sozio-kulturell geprägten, religiös inspirierten Praktiken und Traditionen.“ Die Ambivalenz des Religiösen machte Mirjam Weiberg-Salzmann von der Universität Rostock am Beispiel der zivilgesellschaftlichen Bewegung Sarvodaya in Sri Lanka deutlich: Mit ihren ghandianischen Wurzeln verbucht sie erhebliche Erfolge in der dörflichen Entwicklung von unten. Gleichzeitig ist sie teilweise stark von buddhistischem Fundamentalismus und von Widerstand gegen Friedensbemühungen im Konflikt mit der tamilischen Minderheit auf der Insel geprägt.
Erhard Brunn