Von Bernd Ludermann
Die vergangenen Monate haben in der Klimapolitik eine erschreckende Kluft zwischen Wissen und Handeln offenbart – nicht zuletzt in Europa. Seit dem Vierten Sachstandsbericht des Internationalen Klima-Panels (IPCC) von 2007 ist allgemein akzeptiert, dass eine katastrophale Aufheizung der Erdatmosphäre droht, wenn der globale Ausstoß von Treibhausgasen nicht schnell und drastisch verringert wird. Drei Entwicklungen nähren jedoch Zweifel, wie tief diese Einsicht geht.
Erstens sind im Dezember in Posen die Verhandlungen über ein globales Klimaschutz-Abkommen kaum vorangekommen. Wichtige Schwellenländer wie Südafrika, China und Mexiko erklärten sich bereit, ihren Treibhausgas-Ausstoß zu begrenzen. Doch fast alle Industrieländer lehnten es ab, den Transfer von moderner Umwelttechnik in den Süden zu fördern. Sie möchten diese Technik selbst herstellen und an den Exporten verdienen. Wichtige Industrieländer wie Japan, Kanada, Russland und Australien weigern sich zudem, starke Einschränkungen ihrer Emissionen in Betracht zu ziehen. US-Präsident Barack Obama (der während der Konferenz noch nicht im Amt war) will eine Minderung um 20 Prozent bis 2020 akzeptieren, nachdem sein Vorgänger jede Verpflichtung für die USA abgelehnt hatte. Das ist ein großer Fortschritt, würde die Emissionen der USA jedoch nur auf den Stand von 1990 zurückführen – auch hier tritt Obama ein schweres Erbe an.
Zweitens hielt die Europäische Union (EU) auf ihrem Gipfel kurz vor der Konferenz in Posen zwar daran fest, die Emissionen bis 2020 um 20 Prozent gegenüber 1990 zu vermindern und um 30 Prozent, falls ein globales Abkommen zustande kommt. Gleichzeitig schwächte sie aber die Instrumente, mit denen sie das erreichen will. So sollen mehr Emissionsrechte kostenlos vergeben und Subventionen für den Bau moderner Kohlekraftwerke zugelassen werden. Und rund die Hälfte der Einsparungen dürfen mit dem Kauf von Emissionsrechten im Süden abgegolten werden. Laut Hans Joachim Schellnhuber, dem Leiter des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung und Klimaberater der Bundeskanzlerin, kann die EU nach diesen Beschlüssen ihr 20-Prozent-Ziel allenfalls mit Mühe erreichen, das 30-Prozent-Ziel kaum noch.
Drittens zielen die meisten jüngsten Konjunkturprogramme der Industriestaaten mehr auf Erhaltung als auf ökologische Umgestaltung. In Deutschland zum Beispiel fördert das Programm, abgesehen von der energetischen Sanierung von Gebäuden, kaum den Klimaschutz. Der Kauf neuer Autos wird subventioniert und es wird in Straßen investiert, nicht aber in den öffentlichen Verkehr.
Dahinter steckt natürlich der Einfluss starker Lobbygruppen wie der Energieerzeuger und der Autoindustrie. Dass auch der Deutsche Gewerkschaftsbund Subventionen für den Autokauf begrüßt, verweist aber auf ein tiefer liegendes Problem: Wem Veränderungen schaden, ist meist absehbar, wer zu den Gewinnern gehört, dagegen nicht. So wissen Arbeiter in der Autoindustrie, dass der Klimaschutz ihre Stellen gefährdet, sie wissen aber nicht, wer von ihnen in der Herstellung von Solar- oder Windkraftanlagen eine neue, möglicherweise bessere Stelle fände. Für den Aufbruch ins Ungewisse gibt es daher selten eine organisierte Lobby.
Das erklärt, warum der Mythos so beliebt ist, Klimaschutz sei fast schmerzlos möglich. Laut Ökonomen und dem IPCC kann man die Kosten für wirksamen Klimaschutz mittels Emissionshandel deutlich unter einem Prozent des Weltsozialprodukts halten. Doch ist das plausibel? Wenn der Temperaturanstieg auf höchstens zwei Grad begrenzt werden soll, muss laut IPCC der globale Ausstoß von Treibhausgasen, der bisher weiter steigt, bis 2050 auf höchstens die Hälfte des Stands von 2000 gesenkt werden. Bei gleichen Emissionsrechten für alle Menschen heißt das: Die Industrieländer müssen ihre Emissionen in weniger als zwei Generationen um gut 90 Prozent senken. Zukauf von Rechten im Ausland wird kaum helfen, da die Schwellenländer selbst reduzieren müssen. Effizientere Autos und Kraftwerke reichen da nicht. Man muss die gesamte Infrastruktur neu ausrichten – etwa Öl, Kohle und später Gas in der Stromerzeugung ersetzen, den Vorrang des privaten Autoverkehrs brechen, den Flugverkehr einschränken und die Landwirtschaft auf weniger Energie und Dünger umstellen. Das alles setzt einen sozialen Ausgleich für die Verlierer voraus. Und es eilt. Je länger man dem Traum anhängt, Klimaschutz müsse die Wohlhabenden kaum etwas kosten, desto schlimmer dürfte das Erwachen werden.
Bernd Ludermann ist Chefredakteur von „welt-sichten“.