Lula will bei den Wahlen im Oktober erneut antreten. Im Januar wurde er wegen Korruption zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Ist das Urteil politisch motiviert?
Die Justiz in Brasilien geht seit Jahren verschärft wegen Korruption gegen Politiker verschiedener Parteien vor. Ich würde nicht behaupten, dass die Prozesse absolut sorgfältig sind und streng nach Gesetz ablaufen. Aber ich sehe auch keine politische Verfolgung mit Rechtsmitteln.
Also ist an den Vorwürfen etwas dran? Insgesamt laufen ja zehn Korruptionsverfahren gegen Lula.
Richtig. Und er war auch schon in Korruptionsskandale verwickelt, als er noch Präsident war. Er wird also nicht erst beschuldigt seit Michel Temer an der Macht ist. Bei Temer hat die Justiz übrigens schon zwei Mal den Weg freigemacht für ein Amtsenthebungsverfahren. Doch der Kongress hat das verhindert.
Wie beurteilen Sie die Methoden der brasilianischen Justiz bei der Verfolgung von Korruption?
Mich irritiert vor allem, wenn Beweismaterial an die Öffentlichkeit gerät, also Mitschnitte etwa von Telefongesprächen. Politik und Justiz spielen eine Form von Armdrücken – es gibt unsaubere Dinge auf beiden Seiten. Generell bin ich kritischer und anspruchsvoller gegenüber der Justiz, weil sie die Hauptsäule des Rechtsstaates ist. Aber es ist hier auch nicht ganz in Ordnung, dass Lula schon jetzt durch das Land reist, obwohl der Wahlkampf noch gar nicht begonnen hat.
Lula muss bis 15. August seine Kandidatur angemeldet haben. Was passiert, wenn der Rechtsstreit bis dahin nicht entschieden ist?
Das Gesetz der sauberen Weste von 2010 verbietet die Kandidatur von Leuten, die rechtskräftig verurteilt sind. Es kommt darauf an, wie der Oberste Gerichtshof und der Wahlgerichtshof das Gesetz interpretieren – da gibt es immer einen Spielraum.
Glauben Sie, dass er antreten wird?
Da wage ich keine Prognose. Es ist ein Armutszeugnis der Arbeiterpartei PT, dass sie keine bessere Idee hat, als Lula ins Rennen zu schicken. Sie hat wohl keinen geeigneten Kandidaten. Zugleich will sie Lula vor Strafverfolgung schützen, und der beste Schutz für ihn ist es, in der Öffentlichkeit zu stehen und viel Zustimmung zu erfahren. Ohne das gäbe es die Diskussion nicht, inwieweit der Prozess politisch motiviert ist.
Das Gespräch führte Gesine Kauffmann
Neuen Kommentar hinzufügen