Eine Eliteschule in der Wüste

Kate Stanworth

Die Schule Abaarso liegt in der Nähe von Hargeisa.

Somaliland
Abaarso ist das beste Internat in ganz Somaliland. Wer hier gelernt hat, ist fit für die renommiertesten Universi­täten.

Nimo Ismail hat nie daran gezweifelt, dass sie nach ihrem Auslandsstudium in den USA zurück nach Somaliland gehen würde. Nach einem vierjährigen Studium der internationalen Beziehungen am Oberlin College, einer liberalen Universität für Geisteswissenschaften im ländlichen Ohio, kehrte Ismail als Lehrerin an ihre ehemalige Schule zurück. „Ich wollte meiner Gemeinschaft etwas zurückgeben“, sagt sie. „Ich bin heimgekehrt, um Möglichkeiten für die zu schaffen, die nicht so viel Glück hatten wie ich.“ Die 23-Jährige möchte ihr in den USA erworbenes Wissen sinnvoll nutzen und ihren Teil dazu beitragen, „Frauen aus Somaliland zu stärken“.

Seit Jahren leidet das international nicht anerkannte Somaliland an einem Exodus der jungen Bevölkerung. Doch das ändert sich langsam: Junge Somaliländer mit einer westlichen Bildung folgen nicht dem sogenannten „brain drain“ – der Abwanderung qualifizierter Leute – und entscheiden sich für die Rückkehr nach Hause. Außer Nimo Ismail sind das etwa der 22-jährige Mustafe Elmi und der 23-jährige Najib Ahmed, die an angesehenen amerikanischen Hochschulen studiert haben und ans Horn von Afrika zurückgekehrt sind. Beide sind wie Ismail ehemalige Schüler der Abaarso-Schule – des besten Internats in ganz Somaliland. Gegründet wurde die Schule 2009 vom amerikanischen Geschäftsmann Jonathan Starr. Der frühere Investmentbanker wuchs in New York auf und kam mit dem ostafrikanischen Land in Berührung, als seine Tante einen Mann aus Somaliland heiratete, der in den 1960er Jahren in die USA ausgewandert war. „Ich hatte eine seltsame Verbindung mit Somaliland: Ein Weißer, kein Somali, der versucht, vor Ort etwas zu bewegen. Geld dafür hatte ich aus meinen Geschäften an der Wall Street“, erzählt Starr.

Starr ist kein gewöhnlicher Entwicklungshelfer. Er selbst beschreibt sich als Kapitalist und macht kein Geheimnis aus seinen Geschäften. Die Abaarso-Schule wird deshalb eher wie ein Unternehmen geführt, mit Somaliländern als Anteilseignern und Kunden. Dennoch ist die Schule gemeinnützig und macht keinen Profit. Die Schulgebühren pro Jahr liegen bei rund 1800 US-Dollar. Die Schüler zahlen das, was sie können, den Rest finanziert Abaarso über Spenden, die Starr vor allem in den USA dank seiner früheren Geschäftsbeziehungen mobilisiert.

Das Internat für Mädchen und Jungen ist seit neun Jahren geöffnet, die Nachfrage sei sehr hoch, sagt Starr. Die Schüler müssen eine Aufnahmeprüfung ablegen, und nur die besten werden genommen. Zugleich achtet die Schule darauf, auch Kinder aus dem Waisenhaus der Hauptstadt Hargeisa aufzunehmen. Rund 1500 Bewerber kamen anfangs auf 50 freie Plätze. Die Lehrerinnen und Lehrer kommen aus der ganzen Welt, etwa aus den USA, England, Malaysia und aus Polen. „Es ist eine sehr bunte Truppe“, sagt Starr.

Das Internat steht rund 18 Kilometer außerhalb der Hauptstadt Hargeisa im Dorf Abaarso, einem kleinen, staubigen Ort mitten im Nirgendwo, nach dem die Schule benannt wurde. Ein Vorbild war die Sheikh-Schule, die von den ehemaligen britischen Kolonialherren in den 1950er Jahren im Nordwesten des Landes gegründet worden war. Die Schule wurde 1989 im Bürgerkrieg zerstört, war davor jedoch als Eliteschule bekannt gewesen. Zu ihren Schülern zählten der ehemalige Präsident von Somaliland, Ahmed Mohamed Silanyo, sowie der Onkel von Jonathan Starr.

Das Abaarso-Internat basiert auf dem amerikanischen Schulsystem und umfasst die siebte bis zwölfte Klasse. Derzeit besuchen rund 220 Schülerinnen und Schüler das Internat. In der Regel sind die Kinder zu Beginn 12 bis 13 Jahre alt, ihren Abschluss machen sie mit 17 oder 18 Jahren. Dutzende Abaarso-Absolventen haben es mittlerweile an prestigeträchtige amerikanische Universitäten geschafft.

So auch Najib Ahmed, der in den USA an der Georgetown Universität Internationale Politik studiert hat. Er wusste, dass er nach dem Studium zurück nach Hause gehen würde. Allerdings war das mit finanziellen Einbußen für seine Familie verbunden. „Meine Familie war dagegen, dass ich nach Somaliland zurückkehre, weil ich ihnen dann kein Geld mehr aus dem Ausland überweisen und sie finanziell unterstützen konnte“, erzählt Ahmed. „Ich habe ihnen jedoch deutlich gemacht, dass ich eine Rolle in der Gesellschaft übernehmen und etwas zurückgeben muss.“ Vor allem als Ahmed in Amerika erfuhr, wie viele gut qualifizierte junge Leute aus Somaliland abwandern, wollte er dem etwas entgegensetzen. „Wenn ich mich entschieden hätte, nicht zurückzukehren, welchen Vorteil hätten dann vier Jahre an einer renommierten Hochschule für mich gehabt?

Anders als bei Najib Ahmed hat die Familie von Mustafe Elmi dessen Rückkehr begrüßt. Elmi hat am Westminster College im ländlichen Missouri studiert. „Mein Vater sagte zu mir, dass ich meiner Heimat helfen müsse. Ich bin in Hargeisa aufgewachsen und liebe Somaliland. Ich hatte zwar eine tolle Zeit in Amerika, aber ich habe mir ständig überlegt, wie ich mein neues Wissen zu Hause einbringen könnte.“ Das sieht auch Nimo Ismail so: „Wenn ich mich dazu entschieden hätte, in den USA zu bleiben, gäbe es Tausende, die das tun können, was ich kann. Was ich hingegen in Somaliland mache, wird einen viel größeren Fußabdruck hinterlassen.“

Die übliche Geschichte handelt in den vergangenen Jahren von unzähligen Frauen und Männern aus Somaliland, die ihr Leben riskieren und die gefährliche Reise durch Afrika nach Europa antreten. Und das betrifft nicht nur die junge Generation. Der Vater von Nimo Ismail ist ebenfalls nach Europa gegangen. Er verließ Hargeisa, als seine Tochter noch in Abaarso zur Schule ging. Er überlebte die Durchquerung die Sahara, bestieg ein Boot von Libyen nach Italien und lebt heute in der Schweiz.

Vor fünf Jahren war seine Tochter Nimo die erste Abaarso-Absolventin, die ein Stipendium für eine amerikanische Universität gewann. „Die Oberlin University war die erste Hochschule in den USA, die vor dem amerikanischen Bürgerkrieg schwarze Studenten aufnahm, sie war die erste Uni, die die Geschlechtertrennung aufhob, und sie ist die erste Universität, die Abaarso-Schüler aufgenommen hat“, sagt Jonathan Starr. Seitdem sind rund 60 weitere Abaarso-Schülerinnen und Schüler an amerikanischen und internationalen Universitäten akzeptiert worden, darunter in Harvard, Yale und dem Massachusetts Institute of Technology.

Der Schulbesuch an einer amerikanisch betriebenen Schule hat die Jugendlichen zwar pädagogisch, jedoch nicht unbedingt kulturell auf die USA vorbereitet. Die Ankunft im ländlichen Ohio war für Nimo Ismail ein Schock: „Die Stadt war am Ende der Welt, die USA waren ganz anders, als ich sie mir vorgestellt habe.“ Für Mustafe Elmi war sein vierjähriger Aufenthalt an der Westminster Universität in Missouri eine interessante Erfahrung. Die meisten seiner Kommilitonen kannten Somaliland nicht. „Meine ersten Wochen habe ich damit verbracht, die Unterschiede zwischen Somalia und Somaliland zu erklären. Danach wurde es mir zu anstrengend und ich sagte ihnen, sie sollten es im Internet nachschauen.“

Die drei Rückkehrer unterrichten mittlerweile alle an ihrer ehemaligen Schule. Nimo Ismail ist Dekanin für die Mädchen. Sie gehörte damals zu den ersten Schülerinnen in Abaarso; „spaßig und interessant“ sei es gewesen, aber auch anstrengend als Mädchen in einer gemischten Schule. „Für die meisten von uns war das Neuland, vor allem für die Mädchen“, sagt Ismail. Die meisten Schulen in Somaliland sind nach Geschlechtern getrennt. Najib Ahmed unterrichtet Englisch in der neunten Klasse und liest derzeit mit seinen Schülern den britischen Klassiker „Herr der Fliegen“ von William Golding. Im Geschichtsunterricht mit seinen Zehntklässlern nimmt er den Feudalismus im europäischen Mittelalter durch. Der Unterricht folgt US-amerikanischen Standards und Lehrbüchern. Die Rückkehrerinnen und Rückkehrer beginnen jedoch langsam ihre im Westen erworbenen Kenntnisse auf die in Somaliland herrschenden Bedingungen anzuwenden.

Einen kostenlosen Grundschul­­besuch gibt es bis heute nicht

Doch das Internat in Abaarso kann die großen strukturellen Probleme im Bildungsbereich in Somaliland allein nicht lösen. Der verheerende Bürgerkrieg Ende der 1980er Jahre führte zum Zerfall Somalias 1991 und hat die Nation in einen Trümmerhaufen verwandelt. Seitdem kämpft das Land darum, als unabhängig anerkannt zu werden und seine Leute aus der Armut zu führen. Gut zwei Drittel der Bevölkerung sind unter 25 Jahre alt. Einige haben eine Grundschulausbildung, aber darüber hinaus gibt es kaum Zugang zu weiterführenden Schulen und einer guten Hochschulbildung.

Hinzu kommt das Stadt-Land-Gefälle: Rund die Hälfte der Somaliländer sind nomadisch lebende Hirten; Hunger ist weit verbreitet unter ihnen. Die besten Schulen befinden sich in den großen Städten und verlangen außerdem Gebühren. Für einen gewöhnlichen Somaliländer ohne Geld überweisende Verwandte in der Diaspora ist eine gute Ausbildung fast unmöglich. Zwar hatte Präsident Silanyo schon 2010 eine kostenlose Grundschulbildung für alle versprochen, doch die gibt es bis heute nicht. Sein Nachfolger Muse Bihi Abdi, der im November 2017 gewählt wurde, hat zugesagt, das Versprechen nun endlich einzulösen.

###autor###Vor die Wahl gestellt, würden die meisten jungen Somaliländer ihr Glück lieber in Europa suchen, als im eigenen Land ums Überleben zu kämpfen. Mustafe Elmi traf einige junge Landsleute während eines Aufenthalts 2016 in Bremen. Im Rahmen seines Studiums verbrachte er ein Jahr in Deutschland, um Deutsch und Wirtschaft zu studieren. Als er sie nach dem Grund für ihre Flucht fragte, sagten sie, sie hätten einfach keine Chance in Somaliland. Elmi war schockiert, so viele Somaliländer in Deutschland vorzufinden. Sie kamen aus demselben Land wie er, aber der große Unterschied war, dass er die Möglichkeit hatte, auf die Abaarso-Schule zu gehen. „Ich habe so viele getroffen, die die gefährliche Reise auf sich genommen haben. Das hat mich sehr traurig gemacht“, erzählt Elmi. „Ich war sehr privilegiert, ein Auslandssemester in Deutschland zu machen. Ich habe mühelos ein Visum bekommen, hatte keine Probleme in Deutschland und lebte in einer deutschen Gastfamilie.“

Die Rückkehrer Ismail, Ahmed und Elmi sehen es als ihre Mission, ihr im Ausland erworbenes Wissen an die nächste Generation weiterzugeben. Sie wollen helfen, ihr Land in die Lage zu versetzen, sich aus eigener Kraft zu verändern, und nicht mehr auf die Großzügigkeit von Ausländern und auf internationale Hilfe angewiesen sein.

Aber das dauere seine Zeit, meint Mustafe Elmi. „Die Arbeit, die wir an der Abaarso-Schule leisten, wird helfen, das gesamte Schulsystem im Land zu transformieren.“ Elmi ist sich sicher, dass die Absolventinnen und Absolventen von Abaarso das Land aufbauen werden – als Lehrer, Ärzte oder Anwälte. Es könne zwar eine Generation dauern, die Bildungschancen für junge Somaliländer zu verändern, doch alleine diese Zukunftsaussicht hat ihn zurück nach Hause gezogen.

Aus dem Englischen von Johanna Greuter

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erschienen in Ausgabe 2 / 2018: Diaspora: Zu Hause in zwei Ländern
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