Vor genau elf Jahren, im Dezember 2006, haben die Vereinten Nationen die Behindertenrechtskonvention (BRK) verabschiedet. Mit ihr legt die Staatengemeinschaft zum ersten Mal verbindlich fest, wie die Rechte von Menschen mit Behinderungen gewahrt werden sollten – ein echter Meilenstein. Für die internationale Zusammenarbeit ist vor allem der Artikel 32 der Konvention von Bedeutung, denn er verpflichtet die Staaten zu inklusiver Entwicklungszusammenarbeit. Konkret heißt das: Kein Land darf Menschen mit Behinderungen in der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit ausgrenzen. Auch Deutschland muss demnach Menschen mit Behinderungen aktiv in seine Entwicklungszusammenarbeit einbeziehen und darf sie und ihre Bedürfnisse nicht vernachlässigen.
Was hat sich nun aber hierzulande in den vergangenen elf Jahren seit Unterzeichnung der Konvention beim Thema Inklusion getan? Ein noch bis Jahresende laufender Aktionsplan des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sollte dem Artikel 32 zum Durchbruch verhelfen. Der gute Wille war also da. Aber wirklich vorangekommen ist Deutschland in Sachen Inklusion in der internationalen Zusammenarbeit nicht. Unter den derzeit mehr als 4.100 staatlichen Projekten der Entwicklungszusammenarbeit sind ganze 42 inklusive Modellprojekte. Das entspricht einem Anteil von gerade einmal einem Prozent. Diese Zahlen machen deutlich: Elf Jahre nach Verabschiedung der Behindertenrechtskonvention sind inklusive Projekte in der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit bloße Einzelmaßnahmen, die häufig noch nicht einmal mit anderen Programmen abgestimmt sind. Das reicht nicht!
Die Bundesregierung missachtet Grundprinzipien
Statt einiger weniger Vorzeigeprojekte brauchen wir verbindliche Vorgaben, wie Menschen mit Behinderungen in allen Projekten der deutschen Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigt werden sollen. Es reicht zum Beispiel nicht, einen barrierefreien Schulbau in Nicaragua zu fördern. So kann sich ein Kind im Rollstuhl zwar ohne fremde Hilfe im Schulgebäude bewegen und die Toilette nutzen. Aber ob es die Schule mit seinem Rollstuhl überhaupt erreicht, ist mehr als fraglich. Dazu bedarf es unter anderem befestigter Wege im Einzugsgebiet. Auch müssen die Lehrkräfte so aus- und fortgebildet werden, dass sie Kinder mit und ohne Behinderungen unterrichten können. Von der flächendeckenden Umsetzung solch durchgängig inklusiver Projekte ist Deutschland noch weit entfernt. Damit missachtet die Bundesregierung Grundprinzipien der von ihr unterzeichneten Behindertenrechtskonvention.
Um dies zu ändern, braucht es entsprechende finanzielle Mittel und ausreichend Personal. Es wäre sinnvoll, eine Steuerungsgruppe sowie eine Koordinierungsstelle zum Thema Inklusion im Entwicklungsministerium einzurichten. Letztlich entscheidet der politische Wille darüber, wie viel Ressourcen die neue Regierung dem Thema Inklusion in der Entwicklungszusammenarbeit einräumt.
Auch in Sachen Teilhabe besteht noch großer Nachholbedarf. Viel zu selten werden Menschen mit Behinderungen aus den Partnerländern in die Planung und Umsetzung von Projekten eingebunden. Dabei wissen sie am besten, welche Bedürfnisse behinderte Menschen vor Ort haben. „Nichts über uns ohne uns“ ist seit Jahren eine Kernforderung der Behindertenrechtsbewegung. Es wird Zeit, dass diese auch von den Verantwortlichen in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gehört wird.
Die externe Auswertung des BMZ-Aktionsplans durch DEval (Deutsches Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit) stellt fest: Deutschland hat bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention erste Schritte gemacht, aber es bleibt noch viel zu tun. Bleibt zu wünschen, dass das Ministerium diese Bewertung auch für seine geplante Inklusionsstrategie ernst nimmt (siehe Seite 67). Nur dann kann Deutschland wirksam zur Verbesserung des Lebens der rund 800 Millionen Menschen mit Behinderungen beitragen, die in Entwicklungsländern leben.
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