Im falschen Land kann es manchmal lebensgefährlich sein, etwas als Erster zu tun. Das hat Guli Francis-Dehqani von ihrem Vater, Hassan Barnaba Dehqani-Tafti, erfahren. Der stammte aus einer muslimischen Familie und konvertierte mit 18 Jahren zum Christentum. 1961 wurde er zum Bischof des Iran geweiht. Damit war er der erste Iraner seit dem siebten Jahrhundert, der ein solches Amt bekleidete. Während der Islamischen Revolution Ende der 1970er Jahre geriet er ins Visier der Revolutionsgarden und überlebte 1979 nur knapp ein Attentat. Als kaum ein Jahr später Guli Dehqanis Bruder ermordet wurde, floh die Familie nach England. Damals war sie 14 Jahre alt.
Bis vor kurzem war noch unvorstellbar, dass sie einmal in die Fußstapfen ihres Vaters treten würde, da die anglikanische Kirche erst seit 2014 Frauen im Bischofsamt erlaubt. Und aus den Reihen der zahlreichen anglikanischen Theologinnen nicht westlicher Herkunft ist Dehqani die erste Frau, die ab Ende November dieses hohe Kirchenamt bekleiden wird. Sie wird der Diözese Loughborough in Mittelengland vorstehen.
Sie hoffe sehr, dass sie eines Tages in den Iran zurückkehren könne, um sich für die Iranerinnen einzusetzen, sagte Dehqani unlängst in einem Interview. Dass sich diese Hoffnung erfüllt, ist allerdings unwahrscheinlich: Im Iran wird sie kaum tätig werden können – zumindest nicht solange dort ein theokratisches Regime herrscht. Die anglikanische Kirche gehört im Iran zwar zu den offiziell gestatteten Kirchen, es darf aber bezweifelt werden, dass die Behörden eine Frau, die einst vor der Revolution geflohen ist, als ernstzunehmende Ansprechpartnerin akzeptieren. Christliche Fernsehsender, die Sendungen für ein iranisches Publikum produzieren, haben Guli Francis-Dehqani aber längst als interessanten Talkshow-Gast entdeckt.
Nach offiziellen Angaben leben im Iran etwa 350.000 Christen. Ihr Anteil an der iranischen Bevölkerung liegt bei unter einem Prozent. Als Glaubensgemeinschaft mit der höchsten Zuwachsrate (5,2 Prozent pro Jahr) hat das iranische Regime ein besonders wachsames Auge auf die Christen. Neben den alteingesessenen, auf ethnische Zugehörigkeit gegründeten Kirchen wie der armenisch-orthodoxen, chaldäischen oder assyrischen Kirche sind die protestantischen Kirchen für Muslime, die konvertieren wollen, besonders attraktiv.
Seit den 1970er Jahren haben sich im Iran etliche inoffizielle Hauskirchen gegründet, die nur im Untergrund agieren können, da Evangelisation unter Muslimen im Iran strafbar ist. Wer konvertiert, muss mit sozialer Ausgrenzung und Verfolgung durch die Religionspolizei rechnen. Viele Konvertierte bleiben deswegen nach einer heimlichen Taufe offiziell Muslime. Genaue Zahlen dazu gibt es nicht. Laut einem Artikel vom Oktober 2015 im „Interdisciplinary Journal of Research on Religion“ leben im Iran bis zu einer halben Million zum Christentum konvertierte Muslime.
Katja Dorothea Buck
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