„Über den Tellerrand schauen“

Menschenrechtler
Ob in Honduras, Mexiko oder Kolumbien: Menschenrechtler sind oft ähnlichen Gefahren ausgesetzt. Wolfgang Seiss von Brot für die Welt erklärt, wie sie sich vernetzen, um sich besser zu schützen, und warum manchmal ein Anstoß von außen nötig ist.

Was haben Menschenrechtler in Paraguay davon, wenn sie sich mit Kollegen aus Kolumbien austauschen?
Organisationen, die in einem konfliktträchtigen und gewalttätigen  Umfeld arbeiten, sind häufig darin gefangen. Der Blick über den Tellerrand ist hilfreich, um über die eigene Arbeit zu reflektieren. Der Austausch ist eine gute Möglichkeit, die Lernkurve abzukürzen, auch wenn der Kontext in jedem Land unterschiedlich ist.

Was wollen sie voneinander lernen?
Die Bedrohungen sind nicht mehr so eindeutig wie zu Zeiten der Militärdiktaturen. In vielen Ländern besteht ein Konglomerat aus Privatwirtschaft, Sicherheitskräften und staatlichen Institutionen. Der Staat tut so, als würde er für den Schutz der Aktivisten sorgen, doch gleichzeitig werden sie oft von staatlichen Funktionären bedroht oder beschimpft, als Terroristen diffamiert. Mit welchen Instrumenten und Schutzmechanismen können sie in diesem Kontext bestehen? Wie können sich Organisationen mit Hilfe von psychosozialer Begleitung stärken? In einigen Ländern wie Kolumbien haben Organisationen damit schon länger Erfahrungen, in Mexiko oder Paraguay war das vor fünf bis sechs Jahren noch Neuland. 

Über was tauschen sich die Organisationen noch aus?
Ein Beispiel ist die Diskussion über das Recht auf freie, vorherige und informierte Konsultation von indigenen Völkern bei Bergbau-Projekten: Was kann man aus Peru lernen für die Debatte in Guatemala, die gerade beginnt? In Honduras sind Organisationen an der Arbeit der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala interessiert, auch die internationale Expertengruppe zum Fall der 43 verschwundenen Studenten in Mexiko ist in anderen Ländern auf großes Interesse gestoßen.

Warum braucht es Geber wie Brot für die Welt als Vermittler?
Brot für die Welt fördert Menschenrechtsorganisationen in 15 lateinamerikanischen Ländern. Bei uns laufen Wissen und Kontakte zusammen, die einzelne Organisationen in diesem Umfang oft nicht haben. Allerdings soll das nicht auf Dauer von uns gesteuert und befeuert werden. Wir unterstützen den Wissenstransfer, wir stellen die Kontakte her, geben eine Anschubfinanzierung oder übernehmen die Reisekosten, aber dann muss sich das selbst tragen. Mitte Oktober wurde in Mexiko ein Gesetz gegen das gewaltsame Verschwindenlassen verabschiedet, nach langer Vorarbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Sie hatten sich zuvor in Kolumbien informiert, wie das dortige Gesetz aussieht. Nun haben sie sich an Brot für die Welt gewandt mit der Bitte, einen Austausch mit kolumbianischen Organisationen im Blick auf die Umsetzung des Gesetzes zu unterstützen.

Wie groß ist die Gefahr, dass solche Kontakte schnell wieder einschlafen?
Menschenrechtsorganisationen haben viele Aufgaben und oft ein kleines Budget. Ein regelmäßiger Austausch ist nicht zu leisten. Es geht darum, die Erfahrungen einer anderen Organisation für die eigene Arbeit zu nutzen. Dafür muss man nicht ständig in Kontakt sein.

Ist die Vernetzung heute stärker als in vergangenen Jahren?
Dank Skype, E-Mail und virtuellen Konferenzen ist die Verständigung einfacher geworden. Eine intensivere Vernetzung ist immer eine Kostenfrage. Wer zahlt diese Reise oder das nächste Treffen? Viele Menschenrechtsorganisationen sind darauf angewiesen, dass sie jemand von außen finanziert.

Und um das Geld gibt es Konkurrenz.
Nun ja, wenn die Mittel begrenzt sind, ist das eine zwangsläufige Folge. Daran waren auch die Geber mit ihrer Förderpolitik nicht ganz unschuldig. Jeder verfolgte seine eigenen Projekte mit den eigenen Partnern. Und die Botschaft an die Partner lautete oft, sie sollten besser zusammenarbeiten. Und die geben dann zurück: Stimmt ihr euch doch selbst besser ab. Gerade um den Schutz von Menschenrechtsverteidigern kümmern sich viele Organisationen in einem Land. Wir wollen deshalb stärker mit anderen Hilfswerken zusammenarbeiten. Und es gibt weitere Initiativen für eine bessere Koordination, etwa die regionalen  Foren des kirchlichen Verbundes ACT Alliance und das ökumenische Büro JOTAY von sechs Hilfswerken in Guatemala.

Wie stellt man sicher, dass von einem Besuch oder einem Treffen im Ausland zwecks Erfahrungsaustausch wirklich etwas hängen bleibt?
Am besten mit Hilfe einer schriftlichen Dokumentation oder einem Nachfolgetreffen. Das Ganze soll ja keine „Kaffeefahrt“ sein, bei der der Einzelne seine Erfahrungen macht und das war es dann. Vor Jahren haben wir einen Austausch von indigenen Organisationen und NGOs von Panama bis Mexiko organisiert; es ging um den Nutzen und die Risiken der Kartographierung mit Hilfe von GPS für Landgebiete, die in der Hand indigener Gemeinschaften sind. Diese Dokumentation  wurde vor kurzem von zivilgesellschaftlichen Organisationen in Kolumbien bei einer Fortbildung zu Landfragen in Zusammenhang mit dem Friedensvertrag genutzt.

Das Gespräch führte Gesine Kauffmann.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2017: Süd-Süd-Beziehungen: Manchmal beste Freunde
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