Entwicklungsminister Gerd Müller hat vor gut einem Jahr mit seinem Programm „Werte, Religion, Entwicklung“ den Anfang gemacht. Nun zieht Sigmar Gabriel nach: Er will das Friedenspotenzial von Religionen künftig stärker in die deutsche Außenpolitik integrieren und hat dazu einen eigenen Arbeitsbereich eingerichtet. Schließlich bekennen sich 80 Prozent der Weltbevölkerung zu einer Religion.
Zu einem ersten Austausch hatte das Auswärtige Amt rund 100 Vertreterinnen und Vertreter von Glaubensgemeinschaften aus 53 Ländern aus Nord- und Westafrikas sowie aus dem Nahen Osten nach Berlin eingeladen. Ziel aller Religionen sei es, Frieden zu schaffen, betonte Gabriel am 22. Mai zum Auftakt des zweitägigen Treffens. Die Realität zeige jedoch, dass Religiosität oft missbraucht werde, um politische Macht durchzusetzen. „Es gibt Gesprächsbedarf“, sagte Gabriel, und zwar: „miteinander, nicht übereinander.“
Das „Wort und das Handeln“ religiöser Führer hätten großes Gewicht in ihren Gemeinschaften, erklärte Gabriel weiter. Zugleich unterstrich er, hauptverantwortlich für die Einhaltung der Menschenrechte und für den Frieden seien die Staaten. Religionsgemeinschaften könnten jedoch mit ihrer Kraft, ihrem Wissen, ihrer Widerstandsfähigkeit und ihrer Zuversicht zur friedlichen Beilegung von Konflikten und für den Aufbau eines dauerhaften Friedens beitragen.
Zu wenig Aufmerksamkeit für bestehende Initiativen
Oberrabbiner David Rosen aus Jerusalem bekannte sich zur Verantwortung der Religionsgemeinschaften, spielte den Ball jedoch zu den Politikern zurück. Er verwies auf zahlreiche religiöse Initiativen für Frieden und Dialog, darunter die World Conference of Religions for Peace und die Marrakesch-Erklärung von muslimischen Führern und Gelehrten zur Religionsfreiheit, die zu wenig internationale Aufmerksamkeit erführen.
Die Politiker hätten die Tendenz, Religion zu vernachlässigen, wenn es um Konflikte geht, kritisierte Rosen. Sie müssten den Glaubensgemeinschaften die Chance geben, in der „Mitte der Gesellschaft sichtbar zu sein“ und an der Lösung von sozialen Problemen mitzuarbeiten. Im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern sieht er klare Grenzen für das Potenzial der Religionen: „Wir können keinen Frieden machen. Aber wir können den Prozess unterstützen, der zu einem stabilen Frieden führt.“
Agnes Aboum vom Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) brachte einen weiteren Aspekt in die Diskussion: Es sei auch Aufgabe der Religionen, sich für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen einzusetzen und dafür zu sorgen, dass Frauen stärker in Friedens- und Versöhnungsprozesse einbezogen werden, sagte die Kenianerin. Der orthodoxe Rabbiner Rosen und der Großmufti von Bosnien und Herzegowina, Husein Kavazovic, räumten da unumwunden Nachholbedarf in ihren Glaubensgemeinschaften ein. Der spiegelte sich in der Zusammensetzung des Treffens wieder: Weibliche Vertreterinnen der Glaubensgemeinschaften waren deutlich in der Minderheit.
Was, so die kritische Frage aus dem Publikum, erhoffe man sich von der Konferenz? Minister Gabriel will sie als Einladung für eine „dauerhafte Verbindung“ verstanden wissen: „Bauen Sie Netzwerke auf, lassen Sie uns wissen, wie wir Sie unterstützen können“, appellierte er an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Der Jemen und Tunesien waren übrigens nicht vertreten. Dabei wäre für ein Ende des blutigen Bürgerkrieges beziehungsweise die Stabilisierung des Landes, in dem der Arabische Frühling begann, jede Unterstützung nötig.
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