Wenn Raphael Odwaro morgens aus seinem Haus tritt und ein paar Schritte nach links macht, steht er mitten im Garten Eden. Umsäumt von Laubbäumen wuchern Kräuter und wildes Gemüse, blühen Blumen, wachsen Bananenstauden und Obstbäume. Vor zehn Jahren war der grüne Fleck, den Odwaro nach dem göttlichen Garten benannt hat, noch ausgelaugtes trockenes Land. Mit dem wenigen Getreide, das darauf wuchs, und den paar Hühnern und Ziegen habe er kaum seine Familie ernähren können, erzählt er.
Odwaro setzte alles auf eine Karte, verkaufte sein Vieh und investierte das Geld in einen Brunnen und den Aufbau einer kleinen Baumschule. Er begann, mit exotischen und einheimischen Sorten zu experimentieren, pflanzte Obstbäume, Wildtomaten, Spinat und Zwiebeln. Die Erträge verkaufte seine Frau Sophia in einem Dorfladen. Heute lebt das Ehepaar mit seinen sieben Kindern im Westen Kenias in einer fruchtbaren Oase, die der Familie zu bescheidenem Wohlstand verholfen hat. Das habe er Gott zu verdanken, sagt Odwaro. Und seiner Leidenschaft für Bäume.
Mitte des vorigen Jahrhunderts war die Heimat der Odwaras, der Bezirk Homabay an den Ufern des Viktoriasees, noch fast zur Hälfte von Wald bedeckt. Heute liegt der Anteil nur noch bei einem Prozent. Die runden Hügel sind mit Gestrüpp bewachsen, nur vereinzelt ragt ein Baum aus den Sträuchern hervor. Das Gras auf den Wiesen hat sich nach den spärlichen Regenfällen im Herbst gelbbraun verfärbt.
Der wachsende Bedarf an Feuerholz sei ein Grund für den Rückgang, erklärt der Biologe Dennis Otieno von der Jaramogi Oginga Odinga Universität in Kisumu. Noch gravierender seien jedoch die Auswirkungen der Landwirtschaft: „Die Bauern fällen die Bäume oder brandroden ihr Feld, bewirtschaften es für drei Jahre und lassen es brachliegen.“ Weidendes Vieh fresse die nachwachsende Vegetation, und das verhindere, dass sich der Boden erholt. Otieno warnt: Gehe es so weiter, werde es in der Region im Jahr 2050 keine Bäume mehr geben.
Eine ähnliche Entwicklung spielt sich auch in anderen Gegenden Kenias und Ostafrikas ab – mit dramatischen Folgen. Wo weniger Bäume wachsen, steigt die Gefahr von Erosion, trocknet der Boden schneller aus und wird unfruchtbarer. Der Rückgang des Baumbestandes bedroht die Lebensgrundlage der ländlichen Bevölkerung. Und er beschleunigt zusätzlich den Klimawandel, weil Wälder als CO2-Senke entfallen.
Am Rande des Klimagipfels in Paris im Dezember 2015 haben zehn afrikanische Länder deshalb die Initiative AFR 100 ins Leben gerufen. AFR steht für African Forest Landscape Restoration. Das Ziel: Bis zum Jahr 2030 sollen 100 Millionen Hektar Land auf dem Kontinent aufgeforstet und wiederhergestellt werden. Eine Milliarde US-Dollar an Entwicklungsgeldern sollen in die Initiative fließen, dazu noch einmal halb so viel an privaten Investitionen. Auch Deutschland unterstützt das Vorhaben.
100 Millionen Hektar entsprechen einer Fläche rund drei Mal so groß wie Deutschland. Das ist nahezu ein Drittel der Waldgebiete, die laut einer Deklaration des Klimagipfels in New York von 2014 bis 2030 weltweit wiederhergestellt werden sollen. Damit das gelingt, sollen Umweltbewegungen, Politik und Wirtschaft zusammenarbeiten, bestehende Wälder aufforsten sowie neue Arbeitsplätze in der Forstwirtschaft schaffen.
Allein mit der Aufforstung bestehender Wälder und neuen Plantagen sei das Ziel nicht zu erreichen, meint Peter Ndunda vom World Ressource Institute (WRI), das die AFR-Initiative angestoßen hat. Dazu sei die Aufforstung zu teuer und unsicher. Kenia etwa habe sich fünf Millionen Hektar vorgenommen, neue dichte Waldgebiete seien aber nur auf einer Fläche von einer Million Hektar realistisch. Das wesentlich größere Potenzial sieht er in Land, das für Viehhaltung und Landwirtschaft genutzt wird. Dort könnten Millionen neuer Bäume wachsen, meint Ndunda. Er setzt auf die Regenerationskraft der Natur. Und den Beitrag der Farmer und Viehhirten, die das Land bewirtschaften.
Das Wurzelwerk muss nur wiederbelebt werden
Einer von ihnen ist Hagai Mbago. Der schmale Mittvierziger stapft einige Kilometer von Odwaros grünem Paradies entfernt durch das hohe Gras und deutet mit seiner Machete auf einen kaum sichtbaren Strunk im Boden. „Daraus wächst in zwei, drei Jahren ein neuer Baum“, erklärt Mbago. Man müsse den Sprössling nur zuschneiden, damit er nicht austreibt. Mbago ist so etwas wie der Forstbeauftragte der kleinen Gemeinde Bonda – und ein überzeugter Verfechter der Methode „Farmer Managed Natural Regeneration“ (FMNR).
Entwickelt hat sie der australische Entwicklungshelfer Tony Rinaudo, der sich seit Jahrzehnten um die Wiederbewaldung der Sahelzone bemüht. Lange Zeit erlitt er immer wieder Rückschläge, weil seine neu gepflanzten Bäume in der Trockenheit eingingen. Bis er entdeckte, das auf vielen Flächen der Wald als Wurzelwerk unter der Erde weiterlebt und die Sprösslinge aus den Wurzeln nur geschützt und gepflegt werden müssten. Eine Entdeckung, die inzwischen weltweit Schule gemacht hat.
Rinaudos Arbeitgeber, die Hilfsorganisation World Vision, setzt sich seit Jahren für die Verbreitung der Methode ein. Allein im Niger sollen damit fünf Millionen Hektar Boden regeneriert worden sein, in Äthiopien und im Senegal laufen ähnliche Projekte. World Vision wirbt auf internationalen Tagungen und Konferenzen um Unterstützung und Nachahmer. Mit Erfolg: Die Aufforstungsinitiative AFR sieht die Wirkung von FMNR als erwiesen an und bezeichnet die Methode als wichtiges Element ihrer Strategie. Was in der trockenen Sahelzone funktioniert, sollte in feuchteren Regionen weiter südlich umso besser klappen.
Förster Mbago ist begeistert: „Wir müssen kein Geld für teure Setzlinge ausgeben, wenn die Bäume eigentlich noch da sind.“ Zudem benötigten die jungen Triebe wesentlich weniger Wasser als Setzlinge. In Zeiten, in denen auch am Viktoriasee der Regen immer unregelmäßiger fällt, sei das ein entscheidender Vorteil, erklärt Mbago. Er zeigt auf eine braune Furche, die ablaufendes Wasser in das leicht abschüssige Gelände gegraben hat. „Vor drei Jahren sah es hier noch viel schlimmer aus, aber seit wir die Bäume pflegen, wächst wieder Gras und der Boden hat sich erholt“, sagt er. Und noch etwas mache sich bemerkbar: Der wachsende Baumbestand habe wieder viel mehr Vögel angelockt.
Hagai Mbago engagiert sich in Bonda für die Bewaldung der kommunalen Weide- und Ackerflächen. Er erklärt den Bauern, dass die Bäume ihre Felder aufwerten, weil sie Nährstoffe und Feuchtigkeit im Boden speichern und das Mikroklima verbessern. Die Bauern müssten lediglich die Triebe pflegen und das Vieh fernhalten, und notfalls die Flächen einzäunen, bis die Bäume groß genug seien. Dass die ländliche Bevölkerung eine wichtige Rolle bei der Wiederbewaldung des Landes spielen könnte, hat auch die Regierung in Nairobi erkannt. Sie hat die Bauern vor zwei Jahren dazu verpflichtet, mindestens zehn Prozent ihrer Flächen mit Bäumen zu bewirtschaften. Nur, wie kann man die Leute dazu bringen?
Einheimisches Obst soll Vitamine liefern
Peter Ndunda vom World Ressource Institute sieht die Lösung im Waldfeldbau – also der Verzahnung von Land- und Forstwirtschaft. Bauern könnten mit der Aufzucht von Bäumen die landwirtschaftlichen Erträge steigern und zusätzlich Geld mit dem Verkauf von Feuer- oder Nutzholz machen – ohne dabei Ressourcen zu zerstören. Er verweist auf Untersuchungen in der Sahelzone, die belegten, dass dieser Mix für Farmen aller Größen geeignet ist, ärmere Bauern mit weniger Land sogar pro Hektar höhere Erträge einfahren als wohlhabendere Landbesitzer. „Wenn ich über Aufforstung rede, fragen die Bauern, warum sollte ich mir über Bäume Gedanken machen, wenn ich mich um mein Essen sorge?“ Er versuche, ihnen klarzumachen, dass beides zusammenhängt.
Der Vorzeigefarmer Raphael Odwaro denkt ähnlich – hält aber wenig von solchen Vorträgen. „Die Leute nicken nett, sagen Danke, gehen nach Hause und machen weiter wie bisher“, sagt er. Das große Problem sei die Einstellung: Viele schätzten den Wert der Natur nicht mehr. Deren Schönheit müssten die Leute mit ihren eigenen Augen erkennen. Deshalb lädt Odwaro immer wieder Bauern aus der Umgebung auf seine Farm ein. „Wenn sie hier in unserem blühenden Garten stehen, dann erreichen wir ihr Herz. Und dann ändert sich auch das Denken“, sagt Odwaro mit einem breiten Lächeln.
Autor
Sebastian Drescher
ist freier Journalist in Frankfurt und betreut als freier Mitarbeiter den Webauftritt von "welt-sichten".Dem Fachmann Peter Ndunda machen solche Projekte Mut. Er hält das Ziel der Aufforstungsinitiative AFR von 100 Millionen Hektar für realistisch – zumindest was die Bewaldung und Wiederherstellung neuer Flächen angeht. Zugleich würden aber an anderer Stelle weiter gerodet und Waldflächen zerstört, der absolute Zuwachs falle also geringer aus. Umso wichtiger sei es, die Menschen vom Nutzen der Wälder und Bäume zu überzeugen und sie an den Projekten zu beteiligen. „Man darf die Wiederbewaldung nicht als weiteres Nachhaltigkeitsziel begreifen, sondern als Mittel, um andere Ziele zu erreichen“, meint Ndunda.
Die Nachbarn von Raphael Odwaro und Hagai Mbago in Homabay kämpfen derzeit wie viele Menschen im östlichen Afrika mit den Auswirkungen einer anhaltenden Dürre. Das erschwert auch Projekte zur Wiederbewaldung. Weil das Gras knapp wird, bleibt manchen Bauern nichts anderes übrig, als ihr Vieh auf Flächen weiden zu lassen, wo eigentlich gut geschützt junge Bäume wachsen sollten. Wenn sich mit dem Klimawandel die Dürren in Ostafrika häufen, könnte das manche Fortschritte ausbremsen. Die Wiederbewaldung ist auch ein Wettlauf gegen die Zeit.
Der Beitrag ist mithilfe einer Pressereise des Bündnisses „Aktion Deutschland hilft“ entstanden, dem auch World Vision angehört.
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