Urteil zu Marokko-Verträgen bestätigt
Für die Westsahara gilt der Freihandel mit Europa nicht
Exportprodukte aus der von Marokko besetzten Westsahara dürfen nicht zollfrei in die EU eingeführt werden. Das hat der Europäische Gerichtshof kurz vor Weihnachten in zweiter Instanz entschieden. Das Urteil hat weitreichende Folgen.
Der Gerichtshof (EuGH) bestätigte im Berufungsverfahren das Urteil der ersten Instanz zur Ungültigkeit der Freihandelsverträge zwischen der EU und Marokko für das Gebiet der Westsahara. Landwirtschaftliche Produkte aus dem von Marokko besetzten Gebiet fallen nicht unter die Bestimmungen dieser Verträge und dürfen nicht zollfrei in die EU eingeführt werden. Das betrifft vor allem Tomaten, deren zollfrei importierte Menge seit Abschluss der Verträge 2012 stetig von 225.000 Tonnen auf 257.000 Tonnen für die Saison 2016/2017 erhöht wurde. Ebenso betroffen sind andere Gemüse und Früchte sowie Fischerei-Produkte, die vornehmlich aus El Ajun in der Westsahara von neuangesiedelten marokkanischen Firmen in die EU exportiert werden.
Der EU-Ministerrat hatte vor einem Jahr mit Zustimmung aller EU-Regierungen und zusammen mit der EU-Kommission gegen das erste Urteil Berufung eingelegt. Das Urteil der Berufungsinstanz jetzt hat weiter reichende Folgen. Denn der EuGH befindet, dass nicht nur der Freihandelsvertrag zu Agrar- und Fischereiwaren, sondern alle Verträge der EU mit Marokko auf die Westsahara nicht anwendbar sind. Damit gerät das noch viel gewichtigere Fischereiabkommen der EU ins Rutschen, gegen das die von der UN anerkannte westsaharauische Befreiungsbewegung Polisario ebenfalls beim EuGH geklagt hat.
Die Umsetzung des Urteils wird schwierig. Die EU ist verpflichtet, die nationalen Zollbehörden zur Einhaltung der Zollbestimmungen anzuhalten. Tomaten aus der Westsahara beispielsweise kommen vor allem über Spanien und Südfrankreich in die Europäische Union. Importeure und Händler würden sich strafbar machen, wenn sie falsch deklarierte und unverzollte „marokkanische“ Tomaten aus der Westsahara verkauften. Supermarktketten des COOP-Konzerns in Großbritannien, Skandinavien und der Schweiz – die wie Norwegen über Handelsverträge mit dem EU-Markt verbunden ist – haben inzwischen erklärt, keine marokkanischen Tomaten mehr anzubieten.
Es ist fraglich, ob sich die EU nun bemühen wird, mit Marokko korrekte Herkunftsbezeichnungen auszuhandeln. Schon nach dem erstem Urteil vor einem Jahr hatte die marokkanische Regierung wüste Straßenproteste dagegen inszeniert und auch offiziell jede Bereitschaft dazu abgelehnt.
Jetzt rächt sich, dass die EU beim Aushandeln der Verträge „geschlampt hat“, wie das erstinstanzliche Urteil befand. Denn solange sich Marokko weiter gegen das UN-Verfahren zur Beilegung des Konflikts über die Westsahara sträubt, besteht für hochfliegende Pläne der Regierung in der Region Rechtsunsicherheit – und damit ein Kreditproblem: Große Solarkraftwerke, auch zum Stromexport nach Europa, für die die marokkanische Regierung Investoren sucht, sind damit infrage gestellt.
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