Heißer Streit um Wasser

Indien
In Südindien ist ein alter Streit über den Fluss Kaveri wieder aufgeflammt. Er könnte längst beigelegt sein – doch der politische Wille fehlt.

Ramesh Gowda baut auf einem knappen Hektar Land Reis und Zuckerrohr an. Damit konnte der 40-jährige Bauer in der Region Mandya in Südindien früher gut seine Familie ernähren. Doch seit drei Jahren schrumpfen die Erträge. Die Felder verdorren, der Boden verhärtet. Der Kaveri, einer der sieben heiligen Flüsse Indiens, führt immer weniger Wasser. Ramesh ist auf den Fluss angewiesen, um seine Felder zu bewässern – zumal es seit Jahren zu wenig regnet. „Die Lage ist hoffnungslos“, sagt er. „Was ich ernte, reicht nicht aus, um die hungrigen Bäuche meiner Familie zu füllen.“

Nach drei Trockenjahren sind im Bundesstaat Karnataka rund 42 Prozent der Speicher leer. In Mandya ist in 29 Dörfern das Trinkwasser knapp. Dabei liegt die Region, die „Zuckerschüssel von Karnataka“, direkt unterhalb eines riesigen Stausees. Der Krishna Raja Sagara ist das größte Reservoir auf den 760 Kilometern, die sich der Kaveri vom Gebirge der Whestgats quer durch Südindien bis zum Golf von Bengalen schlängelt.

Ramesh Gowda und die Bauern der umliegenden Dörfer haben aber nichts von dem künstlichen See, der den Namen eines Hindu-Gottes trägt. Denn die Regierung von Karnataka weigert sich, die Tore des Staudamms zu öffnen. Man müsse das Wasser wegen der Dürre sparen, erklärt sie. Noch mehr verärgert das die Anrainer stromabwärts: Die Bauern im Bundesstaat Tamil Nadu, der „Reisschüssel Südindiens“, können seit 15 Jahren nur zwei statt der üblichen drei Reisernten pro Jahr einholen. In dieser Saison war der Wassermangel so groß, dass eine der beiden um ein Drittel einbrach. Der Streit um die Fluten des Kaveri beschäftigt nicht nur die Landwirte. Zwischen Karnataka und Tamil Nadu ist im Herbst 2016 ein jahrhundertealter, blutiger Konflikt wieder aufgeflammt. Es kommt zu Streiks, Krawallen, Toten und Verletzten. Dabei war der Kaveri einmal ein Vorbild: Hier tüftelten zahlreiche Bauern daran, wie es geht, das Wasser eines Flusses bei Trockenheit zu teilen. Sie gründeten die „Kaveri-Familie“. Politiker und Beamte aus zwölf afrikanischen Staaten, darunter Nil-Anrainern, kamen und wollten von den Musterbauern lernen.

Warum ist der Traum der Kaveri-Bauern geplatzt? Der Mann, der das wissen müsste, sitzt in Chennai, der Hauptstadt von Tamil Nadu. Srinivasan Janakarajan ist Sozialwissenschaftler am Madras-Institut für Entwicklungsstudien und Dozent am Zentrum für Wasser und Entwicklung der Universität London. Der Professor hat seine wichtigsten Bücher auf dem Schreibtisch aufgereiht: über sterbende Flüsse, über den Wirtschaftswandel in Indien. In einer Vitrine stehen Werke von Karl Marx und Friedrich Engels. Daneben eine Auszeichnung mit Holzrahmen: „Kaveri-Familie“ steht darauf. Sie hat schon etwas Staub angesetzt.

„Wir haben eine kleine Revolution ausgelöst“, erzählt Janakarajan. Es begann im April 2003. Der Wissenschaftler holte 25 Bauern aus Karnataka und Tamil Nadu an einen Tisch. Sie sprachen zum ersten Mal mit- statt übereinander, und besuchten gegenseitig ihre Farmen und Familien. Später kamen Wasseringenieure und Ökonomen hinzu. Die „Kaveri-Familie“ traf sich 15 Mal. Sie entwickelte Pläne für eine gerechte Aufteilung des Wassers zwischen den beiden Bundesstaaten und für moderne Anbaumethoden. Pflanzen, die viel Wasser benötigen, aber auch Geld am Weltmarkt einbringen wie Baumwolle, Reis und Zuckerrohr sollten durch dürreresistenteres Getreide ersetzt werden. Der geringere Gewinn sollte mit Hilfe von staatlichen Subventionen ausgeglichen werden. Janakarajan stellte sein Modell auch auf der Weltwasserwoche in Stockholm vor, einer der wichtigsten Konferenzen der Branche.

2013 war der Dialog abgeschlossen, die Kaveri-Familie legte der Politik ihre Wunschliste vor. Die wurde in beiden Bundesstaaten zu den Akten gelegt – es geschah: nichts. „Hätten beide Regierungen unsere Lösungen akzeptiert, dann hätten die jüngsten Auseinandersetzungen vermieden werden können“, sagt T. N. Prakash Kammaradi von der Universität für Agrarwissenschaften in Bangalore, der für das Bundesland Karnataka in der Familie vertreten war.

In den folgenden Jahren verschlimmerte sich die Situation für die Kleinbauern am Kaveri. Viele sahen keinen Ausweg mehr aus dem Endlos-Kreislauf von Dürre, Ernteausfällen und Schulden. Sie schluckten Pestizide, vergifteten sich oder hängten sich auf. 2015 wurde Karnataka der Staat mit der am schnellsten steigenden Bauern-Selbstmordrate Indiens. Der Journalist und Agrarexperte Palagummi Sainath nennt als Ursachen für die Selbstmorde jedoch auch schwankende Weltmarktpreise für Agrargüter. Inzwischen können viele Erzeuger selbst mit dem Verkauf von wasserintensiveren Pflanzen nicht einmal mehr ihre Produktionskosten decken.

Das indische "Silicon Valley" ist durstig

#IMitte September 2016 eskalierte der Streit um das knappe Wasser. Der Oberste Gerichtshof in Indien hatte entschieden, dass Karnataka 340.000 Liter Wasser pro Sekunde aus seinem Stausee an das Nachbarland abgeben muss. Das war Tamil Nadus Regierung zu wenig, sie hatte 1,14 Millionen Liter pro Sekunde gefordert. Karnataka dagegen war es zu viel. Seine Hauptstadt Bangalore ist mit 11,5 Millionen Bewohnern die drittgrößte Metropole Indiens, und schon jetzt fürchten sie, dass das Trinkwasser nicht reicht.

Rund ein Viertel des Bedarfs wird aus dem Stausee gedeckt. Der Durst in der Boom-Stadt, in der zahlreiche deutsche Firmen ihre Niederlassung haben und die als „Silicon Valley“ Indiens gilt, ist groß: In den kommenden neun Jahren soll der Verbrauch nochmals um mehr als zwei Drittel steigen, schätzen Experten. 

Nach Bekanntwerden des Urteils flogen in Bangalore die Steine, Busse brannten, wütende Mobs machten Jagd auf tamilische Gastarbeiter. Zwei Menschen kamen ums Leben. Tausende Tamilen flohen daraufhin aus dem Bundesland. Die Landesregierung verhängte den Ausnahmezustand, in Tamil Nadu riefen Bauern und Oppositionsparteien zu einem Generalstreik auf, um gegen die Gewalt an den eigenen Landsleuten im Nachbarstaat zu protestieren.

Damit scheint ein weiterer Versuch gescheitert, den Streit zwischen Karnataka und Tamil Nadu um den Kaveri zu schlichten. Der Konflikt reicht zurück bis ins Jahr 1892, als die Stadt Madras, das heutige Chennai, noch der Sitz der britischen Kolonialherren war. Die erließen die ersten Regeln über eine Aufteilung des Wassers. Doch der Disput hielt an und überdauerte die indische Unabhängigkeit 1947. Im Jahr 1990 wurde ein Kaveri-Sondergerichtshof einberufen, der 2007 sein Abschlussurteil fällte. Danach stehen Tamil Nadu von rund 21 Billionen Liter Flusswasser jährlich 11,86 Billionen zu, Karnataka 7,6 Billionen. Der Rest ist für den Umweltschutz beziehungsweise die beiden Anrainer Kerala und Pondicherry reserviert. Es gibt für den Fluss sogar eine eigene Behörde und einen Aufsichtsrat. Doch den Konflikt befrieden konnten sie nicht.

Der Gründer der „Kaveri-Familie“, Professor Janakarajan, glaubt nicht, dass die Justiz das Problem lösen wird, „denn sie ist nur auf eine Teilungsformel fixiert“. Inzwischen verschärfen weitere Faktoren die Lage der Bauern: Die Verschmutzung und die Verschwendung des Wassers, für den Sozialwissenschaftler eines der größten Probleme. Am Krishna-Raja-Sagara-Stausee, der jährlich Millionen Touristen anlockt, stehen zahlreiche Luxusressorts und Tempelanlagen. Pools und Gärten verbrauchen große Wassermengen. Flussabwärts sind viele Rohre und Bewässerungsanlagen veraltet, und das kostbare Nass kann nicht verteilt werden oder geht durch beschädigte Leitungen verloren.

Hinzu kommt: Längst werde der Streit um den Kaveri politisch instrumentalisiert, sagt Janakarajan. Die Regierungen von Karnataka und Tamil Nadu beschuldigen sich immer wieder gegenseitig, für die Gewalt verantwortlich zu sein. Sie betonen sprachliche und ethnische Unterschiede der beiden Bundesstaaten, in denen zusammen etwa so viele Menschen leben wie in Deutschland und Frankreich zusammen: 140 Millionen. Regionaler Chauvinismus zahlt sich im Wahlkampf aus – und der Wasserkonflikt ist eine ideale Projektionsfläche.

Vor allem Extremisten auf beiden Seiten kapern das Thema. Sie stacheln auch arbeitslose Jugendliche und Hooligans an, sagt Janakarajan. Bei einem Aufmarsch der ultranationalistischen Tamilenpartei „Nam Tamilar Katchi“ in Chennai verbrannte sich jüngst ein 21-jähriger Funktionär der Jugendorganisation. Er hatte sich mit Benzin übergossen und vor den Augen der Parteianführer angezündet. Die Zeitung „The Hindu“ berichtete später, er habe kurz vor seiner Selbstverbrennung Flugblätter verteilt. Darauf war ein Parteilogo gedruckt und ein Aufruf an die Tamilen, für ihre Rechte am Kaveri zu kämpfen.

Autorin

Petra Sorge

ist freie Journalistin in Berlin. Sie hat als Medienbotschafterin der Bosch-Stiftung einige Zeit in Indien verbracht.
Laut Janakarajan war kein einziger Bauer der Kaveri-Familie an den Gewalttaten im vergangenen Herbst beteiligt. Im Gegenteil: Seit den jüngsten Auseinandersetzungen bemühen sich die Teilnehmer, den Dialog wieder in Gang zu setzen. „Wir bekommen von beiden Seiten diese Rückmeldung“, bestätigt sein Kollege Prakash Kammaradi aus Bangalore. Der 55-jährige Range Gowda, der ebenfalls in der Region Mandya unterhalb des Staudamms lebt, meint: „Nur die Bauern in den beiden Bundesstaaten können diesen jahrhundertealten Konflikt beenden.“ Sie hätten Mitleid mit den Farmern in Tamil Nadu, sagt er: „Wir wissen, wie viel Wasser es braucht, um Reis und Zuckerrohr anzubauen. Aber wir können nichts machen. Die Regierung führt die Gespräche ohne uns.“

Die Kaveri-Familie hofft, dass sich das in einem neuerlichen Anlauf ändert. Sie hat klare Forderungen an die Politik: Weil die Bauern von selbst nicht aus ihren Schulden herauskommen, müssten die Regierungen von Tamil Nadu und Karnataka in moderne Bewässerungssysteme investieren. Städte und Kreise sollten Nachhaltigkeitsstrategien für den Umgang mit dem Flusswasser entwickeln. Wichtig seien neue Kanäle, Regenwasserrückhaltebecken, Wasseraufbereitungsanlagen und Schulungsprogramme, sagt der Experte Janakarajan. „Wir müssen lernen, mit der Knappheit zu leben. Es gibt kein Entkommen“, sagt er. Denn: „Es wird mit dem Klimawandel nur noch schlimmer werden.“

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erschienen in Ausgabe 2 / 2017: Europa: Die zaudernde Weltmacht
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