Aus Sicht der 300 Millionen orthodoxen Christen weltweit gäbe es viel, über das sich die 14 orthodoxen Kirchen dringend einigen sollten. Müssen nicht-orthodoxe Christen immer noch als Häretiker betrachtet werden? Das ist für heiratswillige Paare relevant, die unterschiedlichen Konfessionen angehören. Können die strengen Fastenregeln in der modernen Arbeitswelt etwas gelockert werden? Wäre es angesichts der vielen orthodoxen Christen aus Griechenland, Serbien, Bulgarien oder Russland in Deutschland nicht sinnvoll, es gäbe statt einzelner Diasporakirchen eine einzige neue deutsch-orthodoxe Kirche? Auf solche Fragen müssen die orthodoxen Kirchen einstimmige Antworten geben, damit sie Gültigkeit bekommen.
Wie schwierig es mit der Einstimmigkeit ist, hat nun das panorthodoxe Konzil gezeigt, das Ende Juni auf Kreta stattfand. Allein die Vorbereitung dauerte 55 Jahre. Textentwürfe wurden verfasst und wieder verworfen, Themen an die politischen Veränderungen wie das Ende des Kalten Krieges angepasst. Anfang des Jahres sah es so aus, als würde dieser Sommer mit dem ersten panorthodoxen Konzil seit dem Jahr 787 in die Kirchengeschichte eingehen. Alle Oberhäupter der 14 selbstständigen orthodoxen Kirchen unterzeichneten eine Erklärung, dass sie nach Kreta zur sogenannten Großen und Heiligen Synode kommen würden, um über innerorthodoxe Themen und die Beziehungen zur nicht-orthodoxen Welt zu diskutieren.
Liberal gegen konservativ: Wer gewinnt die Oberhand?
Doch keine vier Wochen vor Beginn machten die ersten einen Rückzieher. Erst sagte die bulgarisch-orthodoxe Kirche ab, dann die georgisch-orthodoxe, dann das antiochenische Patriarchat von Damaskus und schließlich die russisch-orthodoxe Kirche, mit 130 Millionen Gläubigen die größte der 14 Kirchen. Ihr Patriarch, Kyrill I., gilt als großer Konkurrent zu Bartholomeos I., dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, der laut Kirchenrecht Ehrenoberhaupt der weltweiten Orthodoxie ist. Bartholomeos I. hat zwar keine Weisungsbefugnis gegenüber den anderen Kirchen, doch er hat in den 25 Jahren seiner Amtszeit vehement an der Idee eines panorthodoxen Konzils festgehalten und die Tagesordnung maßgeblich bestimmt.
Allerdings unterstehen ihm nur wenige Tausend orthodoxe Christen in der Türkei sowie einzelne Diözesen in Griechenland und anderen westlichen Ländern. Das wirft die Frage auf, ob seine Stimme noch genügend Gewicht hat. Doch nicht die Mitgliederzahlen alleine treiben einen Keil in die Orthodoxie. Vielmehr vertritt Bartholomeos I. eher liberale und ökumenische Auffassungen, während sein Konkurrent aus Moskau und die anderen drei Kirchenoberhäupter dem konservativen Lager innerhalb der Orthodoxie zugerechnet werden.
Kyrill I. bezeichnet das Treffen auf Kreta konsequent nur als Versammlung, deren Beschlüsse nicht bindend sind. Die aber angereist waren und mitdiskutiert haben, reden nach wie vor von einem panorthodoxen Konzil. Beschlossen haben sie, dass es beim Fasten keine Lockerungen gibt und dass Eheschließungen mit nicht-orthodoxen Christen zwar verboten bleiben, der einzelne Bischof aus „Barmherzigkeit und Liebe“ das Paar dennoch trauen dürfe. Jede Kirche kann es also handhaben, wie sie es für richtig hält. Einstimmigkeit sieht anders aus.
Während orthodoxe Theologen und Kirchenvertreter nun diskutieren, was die Unvollständigkeit des Konzils bedeutet, haben der Weltkirchenrat und der Vatikan den orthodoxen Geschwistern bereits dazu gratuliert, dass sie an den ursprünglichen Plänen eines Konzils überhaupt festgehalten haben. Vielleicht liegt gerade darin der eigentliche Erfolg. Denn noch einmal tausend Jahre wollen die orthodoxen Kirchen nicht warten, bis sie wieder zusammenkommen. Bartholome-os I. spricht bereits von Konzilen alle sieben bis zehn Jahre und hofft, dass dann auch die anderen mit von der Partie sein werden
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