Die Sprache der Wirtschaftsmacht

Chinesisch in Afrika
Südafrikas Schulen bieten zunehmend Unterricht in Chinesisch an – gefördert von der chinesischen Regierung. Die Nachfrage ist groß. Viele einheimische Lehrer halten das nicht für sinnvolle Bildungshilfe.

Schülerinnen und Schüler laufen durch das Klassenzimmer einer staatlichen Schule in der Provinz KwaZulu-Natal in Südafrika. Der Lehrer betritt den Raum und bittet um Ruhe. „Ni Hao“, tönt es einstimmig aus den Kinderkehlen. Dann beginnt der Chinesisch-Unterricht.

„Wir blicken weder ost- noch westwärts, sondern vorwärts.“ Mit diesem Leitsatz wollte Ghanas Staatsgründer Kwame Nkrumah seine Politik von den Großmächten distanzieren: Weder westliche Kolonialherren noch der kommunistische Osten sollte Afrikas neu erworbene Freiheit beeinflussen. Heute erfinden immer mehr afrikanische Politiker, Akademiker und Unternehmer vom Kontinent Nkrumahs Credo neu: Sie blicken ostwärts, um vorwärts zu kommen. Falls nötig, lernen sie dafür auch die Sprache ihres engsten Verbündeten. Immer mehr Länder führen die chinesische Hochsprache als Unterrichtsfach an ihren Schulen ein. An den meisten Privatschulen zählt Mandarin längst zum Standardangebot.

„Es ist wichtig für unsere Kinder, die Sprache von Konfuzius zu lernen und ein Verständnis für die chinesische Kultur zu entwickeln. Schließlich ist China unser größter Handelspartner“, betont Südafrikas Unterrichtsministerin Angie Motshekga. Das Land am Kap hat Mandarin im Januar als zusätzliches Wahlfach in den staatlichen Bildungsplan aufgenommen. Bislang lernen Zehn- bis Fünfzehnjährige an 43 ausgewählten Schulen Chinesisch, in den nächsten fünf Jahren soll das Angebot auf 500 Schulen ausgeweitet werden. Auch Grundschüler und Gymnasiasten sollen Mandarin dann als Zweitsprache wählen können. Dazu lässt die die Volksrepublik regelmäßig Mandarin-Lehrer in die Kapnation einfliegen und übernimmt auch deren Gehälter. Zusätzlich lässt sie hundert südafrikanische Lehrer in China für den Chinesisch-Unterricht ausbilden.

Indigene Schüler freut es. Sie haben einen Vorteil gegenüber ihren Englisch und Afrikaans sprechenden Kameraden: Wie ihre Muttersprachen Xhosa oder Zulu ist auch Mandarin eine Tonsprache – das heißt die Tonlage oder der Tonverlauf entscheidet über die Bedeutung eines Wortes. Ein Mitteleuropäer benötigt etwa 600 Unterrichtsstunden, um Spanisch oder Italienisch zu lernen; für Mandarin sind mehr als 2000 Stunden nötig. Indigene Südafrikaner sollten Mandarin schneller lernen – zum Teil sprechen sie bereits eine Tonsprache, und sie wachsen auch von Kindheit an ohnehin mehrsprachig auf.

Tony Huang freut sich, dass Mandarin seinen Platz auf Südafrikas Lehrplänen gefunden hat. Er leitet das „Huang Laoshi Mandarin Centre“, eine Sprachschule in Kapstadt. „Mandarin wird eine neue Weltsprache“, glaubt er. Schon seit elf Jahren lehrt er Chinesisch, rund 300 Schüler kommen jährlich in sein Zentrum. „Das sind Geschäftsleute und Studenten, aber auch Grund- und Vorschüler“, erzählt Tony Huang; er stammt aus Hongkong, hat in Südafrika seine Frau kennengelernt und ist geblieben. Auch Lucia Hau-Yoon, die seit 30 Jahren Mandarin in Johannesburg unterrichtet, erkennt einen zunehmenden Trend. Der Großteil ihrer Schüler sei zwischen zehn und 16 Jahre alt. „Ihre Eltern glauben, dass Mandarin ein wichtiges Werkzeug für ihre Zukunft ist“, meint sie. Einige ihrer Schüler seien Diplomaten und erfolgreiche Geschäftsleute geworden. „Mandarin ist ein wichtiges Werkzeug in ihrem Arbeitsalltag.“

China exportiert seine Sprache auch in andere Länder Afrikas. In Namibia steht Mandarin nicht offiziell auf dem Lehrplan, aber die chinesische Botschaft hat allen Schulen, die neben dem regulären Unterricht zwei Stunden Mandarin pro Woche anboten, zusätzliche Klassenräume spendiert. Junge Nigerianer lernen die chinesische Hochsprache zum Teil in ihrer Muttersprache Yoruba – ein Lehrbuch für Nigerias Schulen übersetzt Mandarin-Phrasen in Yoruba und umgekehrt. Das westafrikanische Land ist die größte Wirtschaftsmacht auf dem Kontinent und ein wichtiger Handelspartner der Volksrepublik. „Niemand, der eine Rolle in der globalen Geschäftswelt spielen will, kann den internationalen Trend ignorieren, Chinesisch zu lernen“, betont die Direktorin der Grace High School in Lagos, Tokunboh Edun. Ihre Einrichtung hat als erste Privatschule des Landes begonnen, Mandarin zu lehren.

Der Sprachlehrer Clarence Makoni in Harare, der Hauptstadt Simbabwes, sieht die Chancen von Mandarin-Schülern am Arbeitsmarkt rasant steigen. „Betrachtet man die Geschwindigkeit, mit der Chinesen in unser Land kommen, muss man kein Prophet sein, um zu erkennen, wer in einigen Jahren der wichtigste Arbeitgeber sein wird.“ Seit kurzem etwa ist China der größte Abnehmer von Tabak aus Simbabwe. Diese Industrie ernährt Tausende Familien. Rund 80 Prozent der Arbeiter von chinesischen Firmen, die in Afrika expandieren, sind Afrikaner. Demnächst sollen Simbabwes Schulen die Sprache verpflichtend unterrichten.

Seit der Gründung des Konfuzius-Instituts an der Universität von Harare zählt Mandarin zu den beliebtesten Studienfächern – ebenso wie in Südafrika. „Wir bieten Mandarin-Klassen an 14 Schulen im Umkreis an, etwa am Gymnasium von Worcester, an dem 400 Schüler Hochchinesisch lernen“, sagt Robert Kotze, der Co-Direktor des Konfuzius-Instituts an der Universität Stellenbosch in der südafrikanischen Provinz Westkap. Seit 2004 verfolgt China mit seinen Konfuzius-Instituten eine ähnliche Expansionspolitik für Kultur und Sprache wie Deutschland mit seinen Goethe-Instituten oder Frankreich mit seiner Alliance Française. Weltweit gibt es 500 Konfuzius-Institute, fünf allein in Südafrika. Sie ermöglichen Studenten ein Mandarin-Studium und geben Privatunterricht.

Doch welches Ziel verfolgt China mit seiner weltweiten Bildungspolitik? „China verkauft diese Trainingsmöglichkeiten als Süd-Süd-Kooperation, als Elemente einer neuen strategischen Partnerschaft“, sagt der Bildungsforscher Kenneth King von der Universität Edinburgh. Der kulturelle und sprachliche Einfluss gehöre zu Chinas „soft power“-Ansatz, der die Strategie ergänze, Einfluss über Handel und Infrastrukturprojekte zu gewinnen.
„Die Verbreitung einer Sprache bringt immer politischen Einfluss mit sich, das gilt auch für Deutsch oder Französisch“, erklärt Robert Kotze aus Stellenbosch. Das sei nicht grundsätzlich schlecht. Allerdings begleitet Chinas Eroberungsfeldzug auch Kritik. 2014 beschlossen zwei Universitäten in den USA, ihre Konfuzius-Institute zu schließen, nachdem Peking die Akademiker zum Schweigen über heikle Themen wie die Autonomiebestrebungen in Tibet verdonnert hatte.

Das Interesse an Mandarin hängt mit Chinas wachsendem Fußabdruck in Afrika zusammen. Mehr als eine Million Chinesen leben dort heute als Facharbeiter und Unternehmer. In den vergangenen 15 Jahren sind in China eigene Personalvermittlungen entstanden, die ihren Kunden Jobs in Afrika verschaffen – vom Arzt bis zum Ingenieur. In fast allen afrikanischen Großstädten verkaufen Läden chinesische Produkte. „In China kontrollieren reiche Familien die Geschäftswelt“, sagt Robin Wei, der aus Shanghai stammt und als Facharbeiter in der Demokratischen Republik Kongo lebt, dem US-Magazin „Vice“. „Kein Problem, wenn du ein Durchschnittsbürger bist. Aber wenn du deine Träume erfüllen willst, musst du es hier in Afrika tun.“

Angefacht wurde der Auswanderungstrend von Chinas enormem Rohstoffhunger, für den Afrika mit seinen Öl-, Gas- und Metallvorräten Nahrung liefert. Zwar haben der Rückgang der Wachstumsraten in China und fallende Rohstoffpreise die Erwartungen vieler chinesischer Großunternehmer gedämpft. Doch viele betrachten Afrika nach wie vor als Kontinent der unbegrenzten Möglichkeiten. Seit fünf Jahren kooperiert etwa der chinesische Konzern Jihai Agriculture mit Sambias Agrarministerium. Gemeinsam wollen sie die bis dahin wenig entwickelte Pilzindustrie hochziehen. Heute erntet das Unternehmen 15 Tonnen Pilze täglich – ein Teil geht nach China, der Rest wird auf den afrikanischen Markt verkauft. Sambia ist die Heimat der größten chinesischen Gemeinde auf dem Kontinent.

Die strauchelnde Wirtschaft in Süd- und Ostafrika schürt jedoch den Neid auf erfolgreiche Einwanderer. Immer wieder wird das Zusammenleben auf die Probe gestellt. Etwa in Uganda, wo Ladenbesitzer 2011 ihre Geschäfte eine Woche lange geschlossen ließen, um gegen die chinesische Billigkonkurrenz zu protestieren; oder in Kenia, wo sich ein China-Restaurant weigerte, kenianische Gäste zu bedienen. Wiederholt mussten sich chinesische Konzerne „ausbeuterische“ Arbeitsverhältnisse vorwerfen lassen.

Doch dank Chinas Wirtschaftsboom haben Afrikas Regierungen heute die Wahl zwischen dem Westen und China als Entwicklungspartner. Peking bietet großzügige Infrastrukturprojekte und Kredite. Zur Belebung der ostafrikanischen Wirtschaft etwa errichten chinesische Firmen ein Bahnsystem zwischen Kenia, Ruanda, Uganda und dem Südsudan. Die chinesische Export-Import-Bank finanziert das zwölf Milliarden Euro teure Projekt zu 90 Prozent. Und als der Internationale Währungsfonds (IWF) im Mai Mosambik wegen verheimlichter Schulden den Geldhahn zudrehte, reiste Präsident Filipe Nyusi zu Kreditverhandlungen nach China.

###autor###Die Verbreitung von Mandarin folgt diesem Trend. Doch nicht überall stößt das auf Begeisterung. „Die chinesische Sprache in den Unterricht einzubeziehen, klingt mehr nach einem politischen Kunststück als nach einem vernünftigen Bildungsplan“, kritisiert eine Gruppe von Sprachwissenschaftlern der südafrikanischen Rhodes Universität. Den Südafrikanern erscheine Mandarin als „Eindringling“, zuvor habe man dasselbe mit den Kolonialsprachen Englisch und Afrikaans erlebt. Vor allem Lehrer kritisieren den Plan der Regierung: Von „Neokolonialismus“ spricht Xolani Fakude, Generalsekretär der Südafrikanischen Demokratischen Lehrergewerkschaft (SADTU). „Wenn China Lehrer schicken will, sollen sie uns mit Mathematik und Wissenschaften helfen, nicht mit Mandarin.“

Auch die Opposition forderte die Regierung in Pretoria auf, erst einmal die Bildungskrise zu lösen. Laut einer neuen Studie können fast zwei Drittel der Kinder im letzten Grundschuljahr nicht lesen. Es fehlt an Schulbüchern, und in der Township Soweto müssen Schüler ihre Klassenarbeiten auf dem Boden sitzend schreiben.

Vor allem schimpfen die Lehrer jedoch, die Regierung habe erneut ihr Versprechen gebrochen, zuerst afrikanische Sprachen zu fördern, die ebenfalls zu den elf offiziellen Amtssprachen zählen. „Südafrikas Schüler tun sich bereits mit Englisch schwer. Speziell wenn es an das Studium geht, fehlt vielen der Wortschatz “, weiß Trish Cooper, Koordinatorin der Sprachschule an der Universität Witwatersrand bei Johannesburg. Der Aufwand der Schulen für den Mandarin-Unterricht solle eher zur Förderung afrikanischer Muttersprachen und des Englischen eingesetzt werden. Die südafrikanische Online-Zeitung „Daily Maverick“ meint nüchtern: „Vielleicht versuchen wir zu laufen, ehe wir gehen können.“

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erschienen in Ausgabe 7 / 2016: Sicherheit: Manchmal hilft die Polizei
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