Die gefährlichste Waffe der Terrormiliz steht mitten auf einem blühenden Feld im Übungsgelände: ein Ford-Pickup, bestückt mit einer Schnauze aus Stahl und mit Panzerplatten über Windschutzscheibe und Reifen. Mit solchen Fahrzeugen attackieren Selbstmordattentäter des Islamischen Staates (IS) immer wieder die Stellungen an der Front. Dutzende kurdische Soldaten haben die Dschihadisten schon so in den Tod gerissen. In diesem Fall konnten Scharfschützen den Attentäter gerade noch aufhalten, bevor er den Sprengstoff auf der Ladefläche zünden konnte.
Das martialische Terrormobil wirkt wie eine Warnung vor dem Krieg, von dem hier, rund 50 Kilometer von der Front entfernt, nur wenig zu spüren ist. In Sichtweite sitzt eine Gruppe Peschmerga-Kämpfer im Gras. Einige von ihnen haben vor kurzem noch auf den IS geschossen, irgendwo in der Nähe der Ölstadt Kirkuk im Süden der Kurdengebiete. „Wir haben schon einige Soldaten an den IS verloren“, sagt Leutnant Malzan Hana. „Vor allem die Sprengfallen und die Autobomben sind gefährlich.“ Dass der Zugführer Hana einer der wenigen regulären Soldaten des Zugs ist, erkennt man an einem Rangabzeichen – und an seiner aufrechten Haltung. Zwei Jahre lang habe er eine Militärakademie besucht, erzählt er. Die meisten seiner Männer dagegen sind Milizionäre und Teilzeitsoldaten, die mit wenig Erfahrung, aber umso mehr Überzeugung den IS bekämpfen.
Für die Ausbildung von Hana und seinem Trupp sind im internationalen Trainingszentrum nahe Erbil rund 130 Bundeswehrsoldaten zuständig. Die Deutschen leiten Gefechtsübungen und vermitteln den Peschmerga, wie sie sich sicherer und geschlossener im Feld bewegen. Oder sie erklären, wie Sprengfallen erkannt werden können. Auch die Einweisung in die neuen Waffen, die Deutschland und die USA den Peschmerga bereitstellen, ist Teil der mehrwöchigen Lehrgänge. Außer mit Training unterstützen die Deutschen den Kampf gegen den Terror im Nordirak mit Material. In den vergangenen zwei Jahren hat die Bundeswehr tonnenweise Feldküchen, Helme, Minensuchgeräte, Lkws und Kleinwaffen nach Erbil geflogen.
"Ich bin der Shorsh“, stellt sich einer der Kämpfer auf Deutsch vor. Der 32-jährige Kurde hat lange in Würzburg gelebt, bevor er 2014 zurückging, um seine alte Heimat gegen den IS zu verteidigen. Dass die Versorgung an der Front so schlecht sei, habe er nicht erwartet: „Ich musste mir sogar meine Munition selbst kaufen“, sagt er. Damit ist es nun erst mal vorbei. Stolz präsentiert er die Ausrüstung, mit der die Amerikaner das gesamte Bataillon ausgerüstet haben: Schutzweste, Helm, Verbandszeug, Munitionstaschen und Sturmgewehr M16.
Den Peschmerga eilt der Ruf einer schlagkräftigen und kampferprobten Truppe voraus. Von dem, was sich westliche Militärs unter einer modernen Armee vorstellen, sind sie allerdings weit entfernt. Manchen fehle es an grundlegenden Fähigkeiten, sagt einer der deutschen Ausbilder. Andere hätten zwar viel Fronterfahrung, aber wenig militärische Disziplin. „Diskussionen mit den Vorgesetzten sind hier keine Seltenheit“, sagt er. Der Auftrag sei aber nicht, die Peschmerga militärisch zu drillen, sondern bestimmte Fähigkeiten zu schulen, etwa das Schießen. Die Kurden seien sehr dankbar dafür.
Der Gefechtstand mit den Schützengräben und Erdhügeln ist den Gegebenheiten der rund 1000 Kilometer langen Front nachempfunden. Die Ausbildung soll möglichst realitätsnah sein – an diesem Tag im April aber hakt es. Weil die Regionalregierung sie seit Monaten nicht mehr bezahlt, streiken die Übersetzer, die zwischen den internationalen Ausbildern und den kurdischen Soldaten dolmetschen. Im Sanitätszelt der Bundeswehr macht sich der Ausfall schnell bemerkbar. Hier lernen die Kämpfer, wie sie erste Hilfe leisten und Schusswunden stillen können. „Oft mangelt es an medizinischem Grundwissen“, sagt ein Sanitätssoldat. Anhand selbst gezeichneter Schautafeln erklären die Deutschen ihren Schülern deshalb auch, wie der menschliche Blutkreislauf funktioniert. Ohne Übersetzer aber geht da nicht viel.
Ein paar Hundert Meter weiter versuchen die Deutschen, aus der Not eine Tugend zu machen. Die Peschmerga sind schon seit einigen Wochen in der Ausbildung. Jetzt sollen sie sich selbst trainieren. Gut, dass mit Shorsh D. ein sprachkundiger Kämpfer zur Stelle ist, der die Anweisungen für seine Kameraden übersetzt und kurzerhand das Kommando übernimmt. Einige Zeit später treibt er den Zug Kämpfer durch das Gelände, um zu üben, wie ein Verletzter unter Beschuss geborgen werden kann.
Die Peschmerga-Kämpfer seien sehr motiviert, sagt der Kommandeur des deutschen Kontingents, Oberst Bernd Erwin Prill. „Sie wissen, dass die Ausbildung ihnen hilft, an der Front zu überleben.“ Die Bundeswehr habe bislang gut 1800 Kämpfer ausgebildet, die internationalen Truppen zusammen 7500. Dass die Kurden ihre Stellungen halten konnten und einige Gebiete von den Islamisten befreit haben, sieht er als Beleg für den Erfolg des Einsatzes.
Deutsche Abwehrraketen gegen Selbstmordangriffe
Dazu beigetragen haben wohl auch die Waffen aus Deutschland. Statt mit alten AK47 aus russischer Produktion kämpfen die Peschmerga nun mit dem deutschen Sturmgewehr G36. 20.000 Gewehre, halb so viele Handgranaten und 400 Panzerfäuste hat Deutschland den Kurden geliefert. Vor allem die Milan-Abwehrraketen seien wichtig, berichtet Leutnant Malzan Hana. Mit ihnen könnten sie die Selbstmordangriffe der Dschihadisten besser abwehren. Rund 1500 kurdische Milizionäre wurden bislang im Kampf gegen den IS getötet, mehr als 8000 verletzt – ohne die Abwehrraketen wären es wohl noch mehr.
Allerdings kann niemand garantieren, dass die Waffen nicht in falsche Hände geraten. Trotz dieses Risikos gab es in Deutschland selten so wenig Widerspruch gegen Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet wie im Sommer 2014. Die Einheiten des IS hatten damals große Gebiete im Nord-irak überrannt, erst kurz vor Erbil konnte ihr Vormarsch gestoppt werden. Hunderttausende Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien fanden Zuflucht in den kurdischen Gebieten, deren Regierung international um Hilfe bat. Die Waffenlieferungen seien nötig, um die Menschen zu schützen, fand damals auch der bayerische evangelische Landesbischof und spätere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, nach einem Besuch im Nordirak. Im Bundestag stimmte lediglich die Fraktion der Linken gegen die Lieferung.
Anfang dieses Jahres stießen ARD-Reporter auf einem Waffenmarkt in der Nähe von Erbil tatsächlich auf Gewehre mit dem Kürzel „BW“ für Bundeswehr. Die Bundesregierung drängte die kurdischen Behörden, der Sache nachzugehen. Es kam heraus, dass knapp 90 Gewehre abhandengekommen waren, rund die Hälfte ist demnach bei Gefechten dem IS in die Hände gefallen. Mindestens 16 wurden dem Bericht zufolge verkauft oder getauscht. Einige Peschmerga hatten ihre Waffen offenbar aus Geldmangel auf dem Schwarzmarkt feilgeboten – oder weil sie sich mit dem Erlös die Flucht nach Europa finanzieren wollten.
Das Peschmerga-Ministerium hat keinen großen Einfluss
In Berlin und Erbil spricht man von Einzelfällen, es gebe keine Anzeichen für systematischen Missbrauch. Die Kontrolle der Waffen bleibt Sache der Kurden, sie haben eine Endverbleibserklärung unterschrieben. „Das heißt, sie sind verantwortlich, dass die Waffen nicht verkauft werden und nicht in falsche Hände gelangen“, erklärt Oberst Prill. Ob das funktioniert, ist aber fraglich: „Wir kümmern uns darum auf unsere Weise“, sagt Brigadegeneral Holgard Hikmet, der Sprecher des Peschmerga-Ministeriums. Was genau er damit meint, will er nicht erklären. Auch sonst hält sich der General, der in einem Büro am Rande Erbils residiert, für einen offiziellen Armee-Sprecher erstaunlich bedeckt: Weder kann er sagen, wie viel Mann im Dienst der Peschmerga stehen, noch wie viele davon derzeit an der Front kämpfen: „Ich kenne die genauen Zahlen nicht und will nichts falsches sagen“, erklärt er freundlich.
Dahinter verbirgt sich ein grundsätzliches Problem, sagt der politische Analyst Sarkawt Shams von der Kurdish Policy Foundation: Dem Ministerium fehle es an Kompetenzen und Einfluss, meint er. In Kurdistan sei das Militär historisch eng an verschiedene Parteien gebunden. Zwar habe man versucht, das aufzubrechen, aber noch heute berichteten die Kommandeure als Parteimitglieder oft zuerst an die eigene Führung. „Oft wissen die einen nicht, was die anderen tun“, sagt Shams. Die Abstimmung mit der internationalen Koalition, ohne deren Luftschläge kaum größere Gebietsgewinne möglich seien, leide ebenfalls darunter. Die schlechte Koordination sei ein wesentlicher Grund, warum es im Kampf gegen den IS nur langsam voran gehe, meint Shams.
Autor
Sebastian Drescher
ist freier Journalist in Frankfurt und betreut als freier Mitarbeiter den Webauftritt von "welt-sichten".Aber noch ist der IS nicht besiegt. Und auf dem Weg dorthin macht den Peschmerga nun auch noch die wirtschaftliche Krise zu schaffen. Seit Anfang des Jahres kann die Regionalregierung ihre Kämpfer nicht mehr bezahlen, was zuvor zumindest teilweise möglich war. Die Bataillone an der Front werden nach zwei Wochen ausgewechselt, damit sich die Teilzeitsoldaten mit ihren Jobs als Einzelhändler, Taxifahrer oder Handwerker über Wasser halten können.
Shorsh, der Rückkehrer aus Deutschland, lässt sich davon nicht aufhalten. Er hat ein regelmäßiges Einkommen und ein sicheres Leben aufgegeben, um sich als Freiwilliger den Peschmerga anzuschließen. Alle paar Wochen arbeite er ein paar Tage als Elektriker, erzählt er. Das reiche ihm. „Ich bin hier, um für Kurdistan und für meine Familie zu kämpfen“, sagt er.
Auf den Patriotismus allein aber will sich die kurdische Führung nicht mehr verlassen. Um im Kampf gegen den Islamischen Staat zu bestehen, brauche es dringend finanzielle Unterstützung, heißt es in Regierungskreisen. Innenminister Karim Sinjari warnte bei einem Besuch Mitte April in den USA vor den Folgen der Finanzkrise. Ein Prozent der Peschmerga hätten wegen des fehlenden Solds ihren Dienst quittiert. Falls das Budget-Loch nicht bald gestopft werde, könnte die Zahl der Deserteure deutlich steigen.
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