Seit dem Anfang des 21. Jahrhunderts sind zahlreiche Chinesen nach Dakar eingewandert und dort überwiegend im Kleinhandel tätig. Interessenvertreter der senegalesischen Händler beschweren sich seitdem über einen Verdrängungswettbewerb. Sie üben Druck auf die Regierung aus, damit sie Gesetze zu ihrem Schutz verabschiedet. Doch dabei vergessen sie, dass die afrikanischen Händler selbst zuerst chinesische Waren importiert haben. Noch immer spielen ihre teils informellen Netzwerke eine wichtige Rolle für den Handel zwischen ihrer afrikanischen Heimat und der Volksrepublik China. Dafür haben sie sich in China Stützpunkte geschaffen.
Die ersten Westafrikaner in China waren Nigerianer und Malier, heute leben dort auch viele Senegalesen. In der Messestadt Guangzhou, die in der am weitesten industrialisierten Provinz Guandong in Südchina liegt, sollen es etwa 300 sein. Ein stillschweigendes Abkommen teilt die Stadt: Die englischsprachigen Afrikaner, vorwiegend Nigerianer, wohnen im Bahnhofsviertel und die französischsprachigen im Viertel Xiaobei.
Autorin
Laurence Marfaing
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hamburger Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA), zur Zeit in einem Forschungsprojekt über einheimische und aus China zugewanderte Kleinunternehmer in Ghana und im Senegal.In der Provinz Zhejiang hat sich außerdem die Zwei-Millionen-Stadt Yiwu im vergangenen Jahrzehnt zum neuen internationalen Handelszentrum entwickelt. Es ist nicht nur der größte Markt der Welt für Kleinartikel aller Art, sondern auch der Ort im chinesischen Markt, an dem die afrikanische, die arabisch-muslimische und die chinesische Welt sich begegnen. Einen Wendepunkt markierten die Anschläge vom 11. September 2001 in New York, als die Muslime – rund 90 Prozent der Senegalesen bekennen sich zum Islam – im Westen „unerwünscht“ wurden, so dass China und speziell Yiwu als Handelsplatz noch wichtiger wurde. Seither hat sich ein ganzes Viertel in Yiwu entwickelt, das stark muslimisch geprägt ist. Mehr als 80 Prozent der afrikanischen Bevölkerung dort – wie auch in Guangzhou – sind Händler auf der Durchreise, rund neun Prozent leben als Zwischenhändler dauerhaft in China.
Das ist zum Teil eine Folge der Migration vieler Westafrikaner seit den 1970er Jahren, die zunächst von langen Dürren und später von den Folgen der Strukturanpassungsprogramme ausgelöst und mit Einnahmen aus informellem Handel finanziert wurde. So entstanden Brückenköpfe von Westafrikanern in den Zielländern, die noch heute als Vermittler für Neuankömmlinge und vor allem für die ständig hin- und herreisenden Händlerinnen und Händler dienen.
Die Händler gehen stufenweise vor: Sobald einer mit seinem Geschäft einen beträchtlichen Gewinn erzielt, sucht er es auf eine weitere internationale Zielregion auszuweiten, wo die Handelsmöglichkeiten gerade am besten zu sein scheinen. Während der Kolonialzeit waren diese Handelsziele für Westafrikaner vor allem Casablanca in Marokko, dann – bereits weiter entfernt – Marseille, das ab den 1960er Jahren als Drehscheibe fungierte. Frankreich stellte für Senegalesen lange Zeit das Ziel schlechthin dar, verlor aber an Bedeutung, als die Einführung von Visa und die Migrationspolitik des Schengen-Raums die Einreise immer schwerer machten. Zunächst zogen sich Händler und Händlerinnen auf Ziele zurück, die bei den Visa flexibler waren als Frankreich, etwa Spanien und Italien. Dann kamen mehr und mehr außereuropäische Ziele auf, insbesondere Istanbul und New York, wo „Little Senegal“ der „Chinatown“ Konkurrenz machte. Schließlich wurde Dubai in den Arabischen Emiraten zum „Tempel des Informellen“ und zum Traum aller Händler. Er wurde ergänzt – Waren aus Dubai sowie der Handel dort bleiben sehr attraktiv – von Hongkong, Taiwan und Bangkok und schließlich, im jüngsten Jahrzehnt, von der Volksrepublik China. Am Anfang wurden Eisen- und Papierwaren gehandelt. Doch sehr schnell ging es um Stoffe, Möbel und Baumaterial wie Fliesen, Türen und Fenster und vieles andere.
Geschäftsleute aus dem Senegal haben also schon nach der ersten Welle der Öffnungspolitik in China Ende der 1970er Jahre in Asien eine Chance gesehen, sich billiger als in Europa mit Waren auszustatten. Interviews mit Händlern und Händlerinnen bestätigen, dass bereits ab 1978 die ersten aus dem Senegal in den Osten flogen: zunächst nach Bangkok und nach Taiwan, dann in den 1980er Jahren nach Hongkong und ab dem Beginn der 1990er Jahre in die Volksrepublik China – vor allem nach Guangzhou.
Es scheint, als hätten zuerst libanesische Händler aus Dakar den Weg nach China geöffnet. Libanesen sind seit 1900 in den Senegal eingewandert, rund 30.000 sollen dort heute leben. Sie waren in der Kolonialzeit privilegierte Ansprechpartner von französischen Handelshäusern. Als die Franzosen nach der Unabhängigkeit den Senegal verließen, übernahmen viele Libanesen deren Geschäfte im Großhandel und mittleren Handel und behielten dieselben Zulieferer in Frankreich. Die Konkurrenz zwang sie damals, europäische Qualität anzubieten, doch sie begannen nach Möglichkeiten zu suchen, ähnliche Modelle zu einem billigeren Preis zu bekommen. So kam es etwa, dass in den 1980er Jahren der Kugelschreiber Marke bic „kopiert“ wurde. Die Händler reisten bis zu drei Mal im Jahr nach China und verhandelten direkt mit den Fabriken. Einer berichtet: „In den 1980er und 90er Jahren importierte mein Vater 130 Container mit Gewinnmargen von 15 bis 20 Prozent.“
Dieselben Händler oder ihre Erben importieren noch immer aus China. Doch seit dem Ende der 1990er Jahre begannen sie, sich auf einzelne Waren zu spezialisieren in Anbetracht der Flut an Gütern und der Vielzahl an Händlern, die nun in China einkauften. Manche Libanesen verlassen zum Beispiel den Handel mit Eisenwaren und spezialisieren sich auf den Handel mit Papierwaren, andere machen es umgekehrt. Die größeren Importeure erzählen, dass sie bis zu 120 Container im Jahr einführen, kleinere 30 bis 40 oder weniger mit einer Gewinnmarge von fünf bis zehn Prozent.
Kleinere und informelle senegalesische Händler – anfangs vor allem Angehörige der Mouriden, einer einflussreichen islamischen Bruderschaft – haben erst Anfang der 1990er Jahre begonnen, ihre Geschäfte von Mekka ausgehend über Dubai auszuweiten. Dort erhielten sie auch bereits chinesische Waren. Vor Reisen weiter nach Osten hatten sie zunächst Angst. Eine Händlerin erzählt: „Ich dachte, wenn ich dorthin fahre, werden sie mich töten oder mir Schlangen zu essen geben.“ Doch sie entschließt sich in Bangkok, sich ein Visum für China ausstellen zu lassen: „Ein Visum für eine Woche kostet 35.000 FCFA (rund 53 Euro). Man braucht eine Einladung eines chinesischen Lieferanten, der sie über einen senegalesischen Kontakt in China an Senegalesen in Bangkok zuschickt. Die leiten sie dann weiter.“ Dass die Briten 1997 die Souveränität über Hongkong an China zurückgaben, hat die Strategie der Afrikaner ebenso begünstigt wie die Verbesserung des Transportnetzes nach Guangzhou.
Parallel haben angesichts der Nachfrage nach billigen Waren auch Chinesen begonnen, in afrikanische Länder zu migrieren. Die Vorwürfe von Händlern im Senegal, dies stelle eine unlautere Konkurrenz dar, sind daher weniger Ausdruck eines echten Wettbewerbs, der eher senegalesische Produzenten treffen würde. Sondern sie sind Ausdruck der Angst, genau in dem Bereich Konkurrenz zu bekommen, den sich die Händler seit den 1970er Jahren angeeignet haben: im Import von asiatischen und chinesischen Waren in den Senegal, der gute Gewinne abwirft.
Ob in Casablanca, Dubai, New York oder Hongkong – die senegalesischen Händler folgen weiter Strategien, die seit der Zeit der Karawanen im informellen Handel entwickelt wurden. Händler, die bis zu drei Mal im Jahr nach Guangzhou oder Yiwu reisen, gehen vor wie ihre Vorfahren damals in Casablanca seit den 1930er Jahren. Sie treffen vor Ort einen Vermittler, einen „Führer“. Das ist ein Senegalese, der seit einiger Zeit in China lebt und chinesisch spricht. Er kümmert sich um den Kontakt zu den Großhändlern und führt danach die Verhandlungen, wenn es um die Zusammenstellung der Container geht. Diese senegalesischen Vermittler in China sind oft junge Menschen, die zum Studium gekommen sind. Verträge zwischen China und afrikanischen Ländern geben zahlreichen jungen Afrikanern die Chance, in China zu studieren – im Falle des Senegal schon seit 1971. Doch als Vermittler für Händler zu arbeiten ist lukrativ, deshalb geben heute viele von ihnen ihr Studium dafür auf.
In Guangzhou gibt es heute rund 15 senegalesische Vermittlungsagenturen. Jede beschäftigt einen „Führer“, der neue Händler in der Stadt herumfährt und zu den Großhändlern und chinesischen Produzenten bringt. Jeder von diesen betreut bis zu sieben Kunden. Am Anfang arbeiten die jungen Leute oft für eine solche Agentur, bis sie sich ihre eigene Kundschaft aufgebaut haben. Ein Vermittler in Guangzhou oder Yiwu könne um die hundert Container alle zwei Monate abfertigen, erklärt einer von ihnen. Er erhalte dafür fünf bis zehn Prozent des Warenwerts.
Diese Mittelsmänner stellen das Bindeglied zwischen afrikanischen Händlern einerseits und Produzenten, Großhändlern oder chinesischen Zwischenhändlern andererseits dar. Sie entscheiden zusammen mit ihrem chinesischen Gegenüber über die Zusammensetzung und Beladung der Container, um den Raum und das zulässige Gewicht am besten auszunutzen. Sie kontrollieren die Ware und deren Qualität und kümmern sich um die Rechnung und die Bezahlung. In den 1990er Jahren noch reisten die Händler mit Bargeld, heute ist das unmöglich geworden, sie zahlen per Banküberweisung. Da die chinesischen Produzenten aber lieber in bar bezahlt werden, kümmern sich die Mittelsmänner um das Wechseln. Selbst wenn die senegalesischen Händler nach einigen Reisen gern selbst über ihre Einkäufe verhandeln, brauchen sie die Mittelsmänner: Die lagern die Waren, bis ein neuer Container voll ist, mieten die Container und kontrollieren die Ware. Sie nehmen auch Bestellungen direkt aus dem Senegal auf und garantieren für die Transaktion.
Frauen aus dem Senegal arbeiten nicht als Vermittlerinnen. Einige, die zu ihrem Mann nach China gezogen oder auf der Suche nach Arbeit in der senegalesischen Gemeinde hergekommen sind, eröffnen stattdessen Restaurants oder Hotels, die auch als Handelsplatz dienen. In Guangzhou sollen zur Zeit sieben Hotels Senegalesinnen, rund zwanzig Männern aus dem Senegal gehören. Früher gingen die Senegalesen immer in Hotels, doch ungefähr seit 2005 mieten sie zunehmend Wohnungen, in denen sie während ihres Aufenthalts Geschäftspartner empfangen. Die dynamischsten Händler haben begonnen, sich von ihren Mittelsmännern zu emanzipieren, und verwandeln chinesische Hotels während ihres Aufenthalts in Karawansereien wie in Casablanca zur Zeit des Karawanenhandels.
Mittlerweile lassen sich die Händler Einladungen der chinesischen Lieferanten auch direkt nach Dakar schicken und reisen alleine nach China. Schon bei ihrer Abreise haben sie eine Liste von Bestellungen nach dem Katalog. Sie interessieren sich vor allem für Möbel oder Produkte für den Hausbau, etwa sanitäre Einrichtungen. Sehr billige Waren – etwa Kleidung oder Schuhe – importieren die senegalesischen Händler kaum, weil sie dabei zu geringe Gewinne erzielen können; das überlassen sie den Chinesen. Sie haben inzwischen ihre Lieferanten und wissen, wo sie was bekommen: Kacheln oder Möbel in Foshan, Stickereien in Shaoxing, Elektrogeräte und Metallgüter in Shenzhen. In Guangzhou gibt es weiterhin die Messen und man findet dort alle Waren, die von weiter weg kommen. Meist importieren diese informellen Händler mindestens einen Container pro Reise alle drei Monate und sieben bis acht Container im Jahr.
Vor allem Kleinhändlerinnen folgen, wie sie erzählen, noch den alten Handelsrouten über Dubai, Indien, Pakistan. Oder sie verhandeln mit chinesischen Händlern, die Geschäfte mit Indien oder Dubai machen, um Reisen nach China zu vermeiden. Bei chinesischen Lieferanten müssen sie sehr große Mengen abnehmen; manchmal ist es deshalb interessanter für sie, sich bei Zwischenhändlern vor allem in Dubai einzudecken. Andere bereisen weiterhin die europäischen Metropolen, wo sie sich über die Mode informieren und Kleidungsstücke kaufen, um dann nach China zu reisen und sie dort billiger nachmachen zu lassen. Sie kaufen aber auch dort nie mehr als 50 bis 100 Exemplare von einem Kleidungsstück, um die Preise nicht kaputt zu machen und teures Lagern zu vermeiden
Von Casablanca über Hongkong und Guangzhou bis Yiwu kann man den Zug der senegalesischen Händlerinnen und Händler gen Osten seit den 1970er Jahren nachverfolgen. Ihr Erfolg bringt ihnen auch soziale Anerkennung. Der gute Ruf hängt aber auch davon ab, ob sie ihre religiösen Rituale beibehalten. Die Religionszugehörigkeit ist ein Garant für die Solidarität zwischen den Mitgliedern, Bezugspunkt der Identität im Ausland und erlaubt auch eine soziale Kontrolle. Bei Krediten, Überweisungen und Transporten sind die Strukturen dieses Handels heute professionell geworden, auch wenn vieles noch informell bleibt. Das Internet erlaubt den Händlern, wo immer sie sind, in Kontakt zu bleiben mit ihren Zwischenhändlern, Partnern oder Großhändlern. Sie stehen mit einem Bein in überkommenen Strategien und mit dem anderen in den Strukturen der globalisierten Weltwirtschaft. Und sie sind Mitgestalter der Globalisierung.
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