In Ihrer Antrittsrede haben Sie gesagt, die Arbeit des Menschenrechtsrats sei für sehr viele Menschen auf der Welt enorm wichtig. Inwiefern ist das so?
Zunächst mal vom Grundsatz her, weil der Rat das zentrale politische Gremium für Menschenrechtsverletzungen ist - es gibt kein besseres oder wirksameres. Und das gibt sehr vielen Opfern nicht nur Hoffnung, sondern befördert auch Verbesserungen. Nicht zuletzt ist die Arbeit des Rates eine wichtige Berufungsgrundlage für Einzelne und für Gruppen.
Dennoch wird der Menschenrechtsrat oft als zahnlos gescholten, auch deshalb, weil einige der größten Menschenrechtsverletzer vertreten sind.
Richtig ist, dass der Menschenrechtsrat - anders als der Sicherheitsrat - keine Sanktionsmöglichkeiten hat. Aber er benennt Dinge und tritt mit Staaten in einen öffentlichen Diskurs über aktuelle oder potentielle Menschenrechtsverletzungen. Das zeigt Wirkung. Wenn wir etwa Untersuchungskommissionen einsetzen, die Menschenrechtsverletzungen offen legen, dann werden diese nicht nur in den betroffenen Staaten, sondern weltweit diskutiert. Oder nehmen Sie die Staatenüberprüfungsverfahren, bei denen alle Nationen der Welt unter die Lupe genommen werden. Da ist der Menschenrechtsrat sichtbar und hörbar.
Spätestens seit Beginn der Ukrainekrise hat man den Eindruck, der kalte Krieg sei zurück. Empfinden Sie das im Rat ebenso?
Wir merken natürlich, dass es reale Spannungen und Differenzen gibt, wenn wir hier über Menschenrechtsfragen reden; das ist ja untrennbar verbunden. Auf der anderen Seite gibt es so etwas wie einen Geist von Genf, einen Grundkonsens, dass wir miteinander offen und auch kooperativ umgehen wollen.
Ein weiteres schwieriges Problem ist die Lage in Syrien, die dieses Jahr zum wiederholten Male im Menschenrechtsrat diskutiert wird. Was bringen solche Debatten den Menschen dort?
Letztlich brauchen wir eine politische Lösung des Konflikts, daran führt kein Weg vorbei. Aber wenn unsere Untersuchungskommissionen zu Tage fördern, wer wann, wo und wie in Syrien die Menschenrechte verletzt hat, dann leistet das einen wichtigen Beitrag, um mittelbar eine politische Lösung zu befördern.
Die Agenda des Menschenrechtsrats wird immer voller. Kritiker sagen, das liegt auch daran, dass bestimmte Themen wie der Nahostkonflikt immer wieder auf der Tagesordnung stehen. Was sagen Sie?
Es ist richtig, dass unsere Agenda immer voller wird. Das liegt zum einen an den vielen Krisen, die sich auf unsere Arbeit auswirken. Dazu kommt, dass der Rat immer mehr Querschnittsthemen aufgreift: etwa die sexuelle Orientierung und Gender Identity, die als Berufungsgrundlage für die Zivilgesellschaft enorm wichtig sind.
Joachim Rücker (64) ist promovierter Volkswirt. Nach Stationen im Auswärtigen Amt arbeitete er als außenpolitischer Berater der SPD-Bundestagsfraktion und wurde 1993 Oberbürgermeister von Sindelfingen. Von 2006 bis 2008 leitete er als ...
Man kann manche Querschnittsthemen zusammenfassen, und man muss nicht jedes Thema in jedem Jahr auf der Tagesordnung haben, sondern Manches vielleicht nur alle zwei Jahre. Es gibt Möglichkeiten, mit dieser Inflation umzugehen, um nach wie vor das zu tun, wofür der Menschenrechtsrat vor allem da ist: Anwalt zu sein für die Menschen, deren Menschenrechte bedroht oder verletzt sind.
Menschenrechtler bei den UN klagen, dass viel zu wenig Geld zur Verfügung steht.
Wenn Sie sehen, welche Gelder bei den UN wohin fließen, dann wird deutlich, dass für die Menschenrechtsarbeit erheblich weniger vorhanden ist als für die anderen Grundpfeiler. Das Büro des Hochkommissars hier in Genf ist in akuten Budgetnöten. Das hängt auch damit zusammen, dass die Aufgaben überproportional gestiegen sind in der letzten Zeit. Wir müssen deshalb in New York darauf drängen, dass die Menschenrechtsarbeit ausreichend finanziert wird, indem wir unsere Stimme dort noch hörbarer machen.
Sie haben zwei Karrieren hinter sich, als Diplomat und als Politiker. Verträgt sich das?
Ich denke, es gibt keinerlei Widerspruch zwischen internationaler Politik und nationaler oder lokaler Politik. Die Amerikaner haben einen guten Spruch: „All politics is local.“ Ich glaube, wenn man nicht verwurzelt ist und den Bürgerinnen und Bürgern die außenpolitischen Dinge nicht erklären kann, dann ist man in der Außenpolitik fehl am Platz.
Das Gespräch führte Marc Engelhardt.
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