Einladend liegen die riesigen türkisfarbenen Pools vor dem unendlichen Weiß des Salar de Uyuni, des größten Salzsees der Erde. Doch sie sind nicht zum Schwimmen gedacht. Die künstlichen Lagunen sind Teil des Lithium-Projekts der bolivianischen Regierung. Mithilfe der Verdampfungsbecken will der südamerikanische Staat die vermutlich weltweit größten Vorkommen des Leichtmetalls abbauen.
Lithium wird unter anderem benötigt, um Akkus für Smartphones oder Elektroautos herzustellen, und darum investiert der bolivianische Staat viele Millionen US-Dollar in diese Industrie. „Vor dem Bau der Pilotfabrik Llipi gab es hier keine Straßen, kein Telefon, keinen Strom“, sagt der Pressesprecher der Anlage, Raúl Martínez. „Seit Anfang 2013 läuft die Produktion, und inzwischen können wir Lithiumkarbonat produzieren, das den Marktstandards genügt.“
Bis 2018 soll der Pilotanlage ein noch viel größerer Industriekomplex zur Seite gestellt werden. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Denn die bisher produzierten Mengen sind noch sehr übersichtlich. „Wir haben in den ersten anderthalb Jahren insgesamt um die zwölf Tonnen Lithiumkarbonat hergestellt“, sagt der junge Pressesprecher, der wie alle anderen Angestellten einen roten Schutzanzug und einen weißen Helm trägt. Laut den Plänen der Regierung sollte die Pilotanlage schon früher eröffnet werden und seit drei Jahren 40 Tonnen Lithiumkarbonat pro Monat produzieren.
Und es gibt weitere Schwierigkeiten – zum Beispiel das Wetter. Im Gegensatz zur ebenfalls lithiumreichen Atacama-Wüste in Chile regnet es über dem bolivianischen Salzsee zeitweise. Während der rund dreimonatigen Regenzeit könne in den riesigen Pools nichts verdampft werden, sagen Kritiker des Projekts. Sie werfen den Initiatoren vor, die Vorgehensweise aus Chile zu leichtfertig auf Bolivien übertragen zu haben. „Wir arbeiten auch in der Regenzeit, da machen wir nicht einfach drei Monate Pause“, hält Pressesprecher Martínez dagegen. Und: „Fremde Hilfe haben wir nicht nötig. Wir haben genug eigene Expertise“, betont er.
Genau das bezweifelt der Wirtschaftswissenschaftler Juan Carlos Zuleta Calderón, einer der größten Kritiker des staatlichen Vorhabens. Er bemängelt vor allem die Art und Weise, wie das bolivianische Lithium abgebaut werden soll. „Der Aufbau der Verdampfungsbecken ist wahnsinnig teuer und die Becken sind viele Hektar groß“, meint er. Sie seien ein „enormer Eingriff“ in die Natur. Die Zuständigen hätten offenbar zu spät festgestellt, dass das nicht die passende Technik für den Salar de Uyuni sei, sagt Zuleta Calderón.
Seiner Meinung nach müsste mehr in Forschung investiert werden, bis ein passendes Verfahren gefunden wird. Außerdem habe das Projekt noch einen weiteren Konstruktionsfehler: Die Regierung konzentriere sich zu sehr auf das Lithium und vernachlässige die großen Magnesium-Vorräte und die vielen anderen Stoffe, die im Salzsee schlummern. Darüber hinaus mahnt Zuleta Calderón zur Besonnenheit: „Wir sollten uns auf die Grundlagen konzentrieren, also auf die Herstellung von Lithiumkarbonat. Und nicht auf das Zusammensetzen von Batterien – nur weil Herr Morales gerne bolivianische Akkus hätte.“
Boliviens Präsident Evo Morales hat das Lithium 2008 als „strategische Ressource“ benannt und den Plan ausgegeben, aus eigener Kraft sämtliche Produktionsstufen vom Trocknen des Salzwassers bis zum fertigen Lithium-Akku komplett in Bolivien ablaufen zu lassen. Dafür wurden insgesamt 900 Millionen US-Dollar veranschlagt, größtenteils als Kredit der bolivianischen Nationalbank. Ein kleiner Teil dieses Betrags, ungefähr drei Millionen US-Dollar, wurde in der Nähe von Potosí verbaut, südöstlich des Salzsees. Dort versteckt sich die kleine, vor rund einem Jahr eingeweihte Pilotanlage für Lithium-Akkus. Sie steht neben einer ehemaligen Zinnfabrik, einem rostigen Mahnmal dafür, dass Industrieprojekte nicht immer erfolgreich sein müssen.
Juana Olivares, die Chefin der Anlage, lässt sich davon ebenso wenig beeindrucken wie von den hämischen Kommentaren vieler Bürger. „Die Leute verstehen nicht, dass in eine zukunftsfähige Industrie erst einmal investiert werden muss“, sagt sie. „Das ist keine Geldverschwendung, und für Forschung und Entwicklung brauchen wir Zeit“, fügt sie hinzu und geht voran zur Führung durch die kleine Versuchsfabrik.
Im Erdgeschoss der Anlage riecht es wie im Nagelstudio. Die Beschäftigten kleben Metallfolien zusammen, die später in Hüllen gesteckt werden und dann wie übliche Handy-Akkus aussehen. „Wir haben einen technischen Rückstand von mindestens 30 Jahren. Wir müssen erst einmal verstehen, wie die einzelnen Arbeitsschritte ablaufen“, erläutert Olivares. Hier geschieht alles in Handarbeit, um nachzuvollziehen, was später die Maschinen erledigen sollen. In der Mini-Fabrik geht es also vor allem um eines: um die Ausbildung bolivianischer Lithiumakku-Experten.
Weil es die vorher nicht gab, wurde die komplette Anlage von einer chinesischen Firma gebaut und schlüsselfertig übergeben. Auch sämtliche Materialien für die Akku-Produktion kommen bislang aus China. Denn Bolivien kann zurzeit noch keine Kathoden herstellen. Der nötige Zwischenschritt vom Lithiumkarbonat zum Akku fehlt. Die Pilotanlage ist Monate nach der Eröffnung ein Provisorium, ohne Anschluss ans Stromnetz, dafür mit teuren Dieselgeneratoren. Trotzdem hat sich die Regierung festgelegt, einen Nachfolger, eine größere Akku-Fabrik zu bauen. In spätestens drei Jahren soll sie fertig sein.
Luis Alberto Echazú, der Chef von Juana Olivares, erklärt geduldig, warum das trotz aller Schwierigkeiten der richtige Weg ist. Auf die Frage, warum das bolivianische Lithium-Team weit hinter den ursprünglichen Plänen herhinkt, antwortet er: „Wir hatten nicht genug Rohstoffe, die wir weiterverarbeiten konnten. Die Verdampfungsbecken, die wir zuerst gebaut haben, waren zu klein. Das war schlecht kalkuliert. Aber jeden Tag produzieren wir mehr.“
Seine mehr als 300 Mitarbeiter hätten bereits über tausend Tonnen Kaliumchlorid hergestellt, aus dem unter anderem Kalidünger erzeugt wird, sagt der Leiter des staatlichen Lithium-Projektes. Große Mengen davon seien bereits an Düngemittel-Produzenten verkauft worden. Auch beim wichtigen Lithiumkarbonat machten seine Kollegen große Fortschritte. Überhaupt habe das Projekt eine „immense Symbolkraft“. „Wir haben die Angst vor den Drohungen, den Sanktionen und der ständigen Einmischung der ausländischen Imperialisten verloren“, sagt Echazú kämpferisch. Die Zeit, in der viele Länder nur die Rohstoffe lieferten und wenige Staaten die Welt dominierten, sei vorbei.
Der große Plan vom eigenständigen bolivianischen Staatsbetrieb wird jedoch durch eine Pressemitteilung der Firmengruppe IXE mit Sitz in Zürich etwas relativiert. Zwei IXE-Tochterunternehmen seien mit der bolivianischen, staatsnahen Firma Quimbabol fusioniert und trieben nun im Salzsee den Abbau unter anderem von Kalium und Magnesium federführend voran, heißt es darin. Es ist die Rede von einer offiziellen Lizenz und sogar vom Lithium-Abbau durch das neue internationale Konsortium. Bolivien hat offenbar seinen Plan aufgegeben, die Industrie vollständig in der Hand zu behalten.
Doch auch die schweizerische Beteiligung wird die großen Probleme des Lithium-Projekts wohl nicht einfach so lösen. Zu viele Dinge laufen nicht gerade ideal. Lithium-Experte Juan Carlos Zuleta Calderón beklagt eine große Intransparenz. Er durfte die beiden Pilotanlagen noch nie offiziell besuchen und hält wenig von den Angaben der Regierung. „Es gibt überhaupt keinen Kontrollmechanismus. Es gibt nichts, das beweist, dass sie wirklich die Wahrheit sagen. Und weil sie bisher wenig Erfreuliches vorzuweisen haben, fällt es sehr schwer, ihren Aussagen zu trauen“, sagt er.
So bleibt größtenteils unklar, ob und in welchem Ausmaß die Lithium-Industrie am Salar de Uyuni die Umwelt schädigt. Die geplanten Industrieanlagen zur Gewinnung von Lithiumkarbonat könnten laut Regierung pro Monat mehr als 400.000 Kubikmeter Wasser benötigen. Dafür soll der durch den See fließende Rio Grande angezapft werden, doch Kritiker wie Zuleta Calderón bezweifeln, dass das Flusswasser für eine großangelegte Lithium-Industrie ausreicht. Daher müsste wohl jahrtausendealtes Wasser unter dem Salar hochgepumpt werden. Das wäre ein erheblicher Eingriff in das Ökosystem des Salzsees.
Ein Szenario, das den Bürgermeister von Llica, Fausto García López beunruhigt. Der Ort Llica liegt kurz vor der chilenischen Grenze und lebt vor allem vom Quinoa-Anbau. Das Andenkorn wächst in der Nähe des Salzsees wegen der vielen Mineralien im Boden besonders gut, lässt sich zu guten Preisen verkaufen und ist ein wichtiger Teil der indigenen Kultur. García López fürchtet, das könnte sich durch eine großangelegte Lithium-Industrie bald ändern. „Die Wasserversorgung ist schon jetzt ein großes Problem. Im vergangenen Jahr war es hier besonders trocken. Und wenn uns dann auch noch das Grundwasser fehlt, gefährdet das den Quinoa-Anbau noch mehr.“
Laut der bolivianischen Verfassung müssten die Einwohner von Llica als Salzsee-Nachbarn in die staatlichen Pläne eingebunden werden. Das ist laut Garciá López aber nicht der Fall. „Wir wurden nie gefragt, ob wir so eine Industrie haben wollen“, sagt er. Besonders empört ihn, dass er von Polizisten an einem Besuch der Pilotanlagen im Salar gehindert worden sei. „Vielleicht dürfen wir irgendwann den Salzsee gar nicht mehr betreten“, sagt er ärgerlich.
Autor
Christoph Sterz
ist freier Journalist in Köln. In Bolivien hat er mit einem Stipendium der Heinz-Kühn-Stiftung recherchiert.Der Wirtschaftswissenschaftler Juan Carlos Zuleta Calderón geht sogar noch einen Schritt weiter – er bezweifelt den Nutzen für die Wirtschaft des gesamten Landes. Angesichts der boomenden Elektroauto-Industrie werde bolivianisches Lithium sicherlich einmal auf den Markt kommen, sagt er. Doch Bolivien werde nicht davon profitieren. „Die Produkte werden von schlechter Qualität sein. Das Lithium wird nur wenig Geld einspielen. Es ist wirklich traurig. Wir haben die größten Lithium-Vorkommen der Welt und sind so wenig wettbewerbsfähig“, beklagt Zuleta Calderón. Das Risiko ist hoch, dass Bolivien keine Akkus verkaufen wird, sondern wieder einmal nur die Rohstoffe. Und dass die Produktion zwar die Umwelt schädigt – aber keine großen Gewinne abwirft.
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