Göttliche Rendite

Wer in Nigeria reich werden will, geht ins Ölgeschäft oder in die Politik. Oder er gründet eine Kirche. Doch die Konkurrenz ist groß.

Die Halleluja-Rufe sind laut und ersetzen den Wecker. Jeden Sonntagmorgen dröhnen sie aus scheppernden Lautsprechern durch die Straßen der nigerianischen Hauptstadt Abuja. Die sind noch wie leer gefegt. Denn es ist der einzige Tag der Woche, an dem sich die unzähligen Pendler aus den Vororten nicht durch den morgendlichen Verkehr quälen müssen und mitunter Stunden brauchen, um ihren Arbeitsort zu erreichen. Auch der Taxifahrer freut sich, nicht im Stau stehen zu müssen. Er grinst entspannt: „Heute Morgen bin ich nur unterwegs, um die Christen zur Kirche zu fahren“, sagt er. Am Rückspiegel baumelt eine Kette mit Gebetsperlen, und auf dem Beifahrersitz liegt der Koran. Das sonntägliche Geschäft läuft gut. „Zu welcher Kirche soll es denn gehen?“, fragt er beim Anlassen des Motors. Die Auswahl ist groß.

Mehrere Hundert Menschen entscheiden sich jeden Sonntag für die „Shepard’s House of Assembly International“, die im zweiten Stock des kleinen Geschäftszentrums Lamonde Homes liegt. Von außen deutet nichts auf eine Kirche hin – Musik, Gesang und Verwünschungen des Satans verraten es. Der erste Gottesdienst des Tages neigt sich bereits dem Ende zu. Zwei weitere werden folgen. Schon jetzt ist die Luft im Kirchenraum warm und stickig, obwohl an der Decke die Ventilatoren auf Hochtouren surren. Frauen in roten Westen teilen den Besuchern Plätze zu. Die Lichtanlage taucht den großen Raum abwechselnd in Blau, Grün und Rot.

Sie wird abgestellt, sobald Pastor Joshua Talena hinter seiner Kanzel auftaucht – einem monströsen, goldglänzenden Plastikgestell. Ständig muss er sich den Schweiß von der Stirn wischen. Er hat sich in Rage geredet und ruft nun alle zu sich, die in den nächsten beiden Monaten Geburtstag haben. „Kommenden Sonntag feiern wir Euch! Das wird Euer Gottesdienst“, brüllt er. 20 Frauen und Männer erhalten kleine, gedruckte Einladungen, die sie an Freunde, Verwandte und Kollegen verteilen müssen. „Ich will, dass jeder am nächsten Sonntag zehn weitere Personen mitbringt“, sagt der Pastor, „wir wollen doch gemeinsam Euren Geburtstag feiern.“ Die „Shepard’s House of Assembly International“ ist eine junge Kirche. Sie hat zwar schon mehrere Hundert Mitglieder, muss aber noch kräftig wachsen.

Jeden Sonntag feiert Talena drei Gottesdienste

Danach verzieht Talena sich in sein Büro. Nachdem er sich ein frisches Hemd angezogen hat, lässt er sich erschöpft auf einen Stuhl fallen. Er nickt zufrieden. Der erste Gottesdienst war schon gut besucht. Die nächsten beiden werden noch mehr Menschen anlocken. Für ihn sind es die Früchte seiner Arbeit. Die Kirche hat er selbst aufgebaut. „Man braucht nur eine Vision“, erklärt er, „und den Ruf Gottes.“ Er hat ihn erhalten, und deshalb blüht seine Kirche. In Nigeria werden ständig Kirchen gegründet, verschwinden aber auch wieder. Das passiere, wenn die Gründer auf eigene Faust handelten, aber nicht von Gott dafür bestimmt worden sind, meint Talena. Die, die übrig bleiben, hätten zwei Dinge gemeinsam, sagt der Pastor, der ursprünglich aus Jos im Bundesstaat Plateau stammt und vor fünf Jahren mit der „Shepard’s House of Assembly International“ nach Abuja zog: „Die Gründer hatten oft überhaupt kein Geld. Aber schon nach ein paar Jahren sieht man, wie stark die Kirchen wachsen und gedeihen.“ Genauso ging es Joshua Talena. Weniger als 20 US-Dollar hatte er damals in der Tasche, lebte bei verschiedenen Familien zur Untermiete, schlief auf durchgesessenen Sofas.

Autorin

Katrin Gänsler

ist freie Journalistin in Westafrika. Sie lebt in Lagos und Cotonou und berichtet für deutschsprachige Tageszeitungen, Magazine und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Seine Lebensgeschichte erinnert ein wenig an den amerikanischen Traum vom Tellerwäscher bis zum Millionär. Dann lernte er eine Frau kennen, die für eine Krebsoperation nach Großbritannien reisen musste. „Ich betete für sie, und sie wurde geheilt. Als sie zurückkam, stellte sie mir aus Dankbarkeit eine Zwei-Zimmer-Wohnung zur Verfügung. Heute stehe ich hier und feiere jeden Sonntag drei Gottesdienste“, sagt er mit fester, überzeugender Stimme. Talena ist niemand, dem schnell ein freundliches Lächeln über die Lippen huscht.

Vermutlich werden in Nigeria jede Woche neue Kirchen ins Leben gerufen, aber nicht einmal der Dachverband der christlichen Kirchen im Land, die Christliche Vereinigung Nigerias (CAN), kann exakte Zahlen nennen. Anfangs reicht oft ein Wohnzimmer oder ein leerer Rohbau und eine überschaubare, aber begeisterte Anhängerschar. Einige der Gründer waren bereits in etablierten Kirchen aktiv und ließen sich sogar zum Priester ausbilden. „Es ist uns schon passiert, dass ein Seminarist plötzlich seine eigene Kirche gründete und sich fortan Bischof nannte“, sagt Michael Ekpenyong, ehemaliger Generalsekretär des Katholischen Sekretariats in Abuja. Eine theologische Ausbildung erwartet bei den charismatischen Pfingst- und Freikirchen anders als bei den Katholiken oder Protestanten niemand. In den sogenannten „new generation churches“ sind andere Fähigkeiten gefragt: Redegewandtheit, Ausstrahlung und vor allem die Kunst, sich gut zu vermarkten.

All das beweist Talena in seinem zweiten Gottesdienst. Mittlerweile sind alle weißen Plastikstühle besetzt, und die Besucher hören gebannt seiner Predigt zu. Er spricht über böse Flüche, die so viele Familien heimsuchen, und verspricht, alle Gottesdienstbesucher davon zu befreien. Häufig brüllt er, und die Gemeinde antwortet mit einem lang gezogen „Amen“. Sein Sprachstil erinnert bisweilen an den eines Diktators. Samuel Ochike scheint das nicht zu stören. „Ich lausche so gerne seinen Worten. Er ist ein wahrer Mann Gottes“, flüstert der junge Mann im blauen Anzug und reckt sich ein bisschen. Er war spät dran und muss in einer der hinteren Reihen sitzen. Nach der Predigt kramt er in seiner Hosentasche nach Geld und zieht einen 1000-Naira-Schein heraus. Es wird Zeit für den Klingelbeutel. Umgerechnet 4,72 Euro steckt er in den Umschlag. „Selbst wenn ich mal kein Geld habe, kann ich kommen. Hier muss man nicht spenden“, sagt er und atmet tief durch.###Seite2###

Vorne hat Talena sein Jackett ausgezogen und sieht das offenbar etwas anders. „Bringt Gott ein Opfer“, ruft er, „versucht, 3000 Naira zu bringen.“ Das sind mehr als 14 Euro, und für viele Nigerianer ist das eine stolze Summe. Seit 2011 liegt der monatliche Mindestlohn bei 18.000 Naira (knapp 86 Euro). Gerade viele junge Männer ohne Ausbildung, die in Städten wie Lagos oder Abuja als Tagelöhner arbeiten, verdienen nicht einmal die Hälfte davon.

Eine weitere Einnahmequelle Talenas ist der Verkauf von DVDs und CDs. Sie richten sich an Mitglieder und Interessenten, die – so wird gehofft – später auch den Gottesdienst besuchen. Predigten und ganze Gottesdienste können zu Hause nachgehört werden. Joshua Talena hat außerdem mehrere Bücher veröffentlicht. Ein Mitarbeiter verkauft sie am Eingang. „Die Besucher kaufen besonders die DVDs gerne. Sie wollen einfach mehr über die Lehre unseres Pastors erfahren“, erklärt er und holt ein paar Exemplare aus den Regalen. An Sonntagen liegt der Umsatz bei 30.000 Naira (142 Euro). Gute Wochentage bringen etwa ein Drittel davon ein.

Doch die Konkurrenz ist groß. Ähnlich jung wie Talenas Kirche, aber weitaus bekannter ist derzeit die „Commonwealth of Zion Assembly“, kurz COZA. Als besondere Attraktion lädt sie fast jede Woche Prediger und Gospel-Sänger aus den USA ein und nutzt selbstverständlich Facebook und Twitter. Besucher der ständig aktualisierten Homepage werden aufgefordert, online zu spenden. Wie viel Geld die Kirche damit und in den Gottesdiensten einnimmt, erfährt niemand. Allerdings kann sie es sich leisten, jeden Sonntag das bekannte Veranstaltungszelt Thisday Dome im Zentrum Abujas zu mieten, bis der eigene Kirchenbau fertig ist.

COZA richtet sich an die junge, wirtschaftlich erfolgreiche Mittelschicht, die in die Hauptstadt drängt. Die Mitgliederwerbung ist genau auf sie zugeschnitten, und COZA will sich ihre Erfolge nicht durch eine kritische Berichterstattung ruinieren lassen. Eine Anfrage beantwortet der Medienbeauftragte mit dem Halbsatz: „Zero tolerance for journalists“ – „keine Toleranz für Journalisten“.

Joshua Talena gibt sich offener. Nach dem zweiten Gottesdienst tauscht er erneut sein verschwitztes Hemd und trinkt einen Schluck Wasser. Auf seinen Knien liegt ein Handtuch. Schon wieder warten neue Besucher auf ihn. Um die Wartezeit zu überbrücken, spielt die Kirchenband ein paar Lieder. Die Musik dringt bis in sein Büro. Der Pastor lässt sich sogar die Frage gefallen, ob viele Kirchen nur wegen des Geldes gegründet werden. Denn in Nigeria heißt es: Wer richtig gut verdienen möchte, muss ins Ölgeschäft einsteigen. Wenn das nicht klappt, muss man in die Politik gehen. Funktioniert auch das nicht, gründet man eine Kirche.

„Die Arbeitslosigkeit ist Schuld“, sagt Talena, „Arbeitslose werden zu falschen Predigern und arbeiten mit Wunderheilern zusammen. Sie verzaubern die Menschen, damit diese zu den falschen Propheten gehen.“ Er selbst will das mit Gebeten verhindern. „Ich kann nur dafür beten, dass die Menschen zu den richtigen Pastoren geführt werden.“

Doch niemand kann sagen, ob eine Kirche „richtig“ oder „falsch“ ist. In Nigeria werden weder Priester, Prediger noch Imame überprüft. 2012 forderte Senatspräsident David Mark die Einführung eines staatlichen Zertifikats für Prediger. Das löste im ganzen Land Entsetzen aus: Nun solle auch noch die Religion staatlich kontrolliert werden, lautete der Vorwurf. Schnell war der Vorschlag vom Tisch, und so kann nach wie vor jeder predigen, was er möchte. Häufig geht es um den Satan und den drohenden Weltuntergang, meist aber um persönlichen Reichtum. Die „Shepard’s House of Assembly International“ ist keine Ausnahme: Mitglieder erzählen in einem Faltblatt, was sie alles erreicht haben, seit sie die Kirche besuchen. Sie sprechen über einen neuen, besseren Job, ein Visum für die Vereinigten Staaten, einen Studienplatz und ein neues Auto.

Der Bischof hat eine Villa und fliegt im Privatjet

Die Kirchengründer leben es ihnen vor. Auf die Liste der 20 reichsten Nigerianer schaffen sie es zwar nicht. Doch laut dem US-amerikanischen Wirtschaftsblatt „Forbes Magazine“ soll Bishop David Oyedepo, Gründer der Winners Chapel, ein Vermögen von rund 150 Millionen US-Dollar haben. Platz zwei belegt Chris Oyakhilome (Christ Embassy) mit 30 bis 50 Millionen US-Dollar. Zu den Besitztümern gehören Villen, teure Geländewagen, TV-Sender und oft Privatjets. So einen hat seit zwei Jahren auch Ayo Oritsejafor, derzeitiger Präsident der Christlichen Vereinigung Nigerias. Die Maschine für zehn Reisende war ein Geschenk zum 40-jährigen Bestehen seiner Kirche, der „Word of Life Bible Church“ mit Sitz in Warri im Nigerdelta. Es löste einen mittleren Skandal aus: Der katholische Bischof von Sokoto, Matthew Hassan Kukah, kritisierte, es sei beschämend, dass ein Pastor ein solches Geschenk annimmt. Das widerspreche der Moral der Kirche und dem Kampf gegen Korruption. Bis heute ärgert sich CAN-Generalsekretär Musa Asake über Kukahs Worte. „Unser Präsident hat so viele Verpflichtungen, dass ein Flugzeug hilfreich ist. Außerdem hat er sich sein Geschenk nicht ausgesucht“, schimpft er.

In Talenas Büro hängt ein großes Foto, das ihn mit Ayo Oritsejafor zeigt. So weit wie der CAN-Präsident hat er es zwar noch nicht gebracht – doch das nächste Ziel hat er fest vor Augen. Er will raus aus den beengten Räumen von Lamonde Homes und endlich eine richtige Kirche haben. Land für umgerechnet gut eine Million US-Dollar sei bereits gekauft worden, sagt er. Nun müsse die Regierung dem Bauvorhaben zustimmen. Finanziert wird es je zur Hälfte mit einem Kredit und mit Spenden der Mitglieder. In den kommenden sechs Monaten muss jeder 20.000 Naira dafür berappen. Joshua Talena ist optimistisch. Plötzlich lächelt er ein wenig. Er denkt an den ersten Gottesdienst in seinem Gotteshaus – vielleicht bereits im kommenden Jahr. Doch schon jetzt hat er einiges erreicht. „Mir zeigt das: Gott ist mit mir. Sonst hätte ich das nie geschafft“, sagt er und steht auf. Ein letztes Mal wartet an diesem Sonntag eine volle Kirche auf ihn.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2014: Der Glaube und das Geld
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