Den Tempeln geht das Geld aus

In Thailand wächst der Wohlstand und die Religion verliert an Einfluss. Buddhistische Mönche suchen nach neuen Einnahmequellen – teilweise mit korrupten Methoden.

Zwei Dutzend Jungen knien im Meditationsraum des Rama-IX.-Tempels in Bangkok in Dreierreihen auf dem Parkettboden. Alle sind ganz in Weiß gekleidet. Vor ihnen sitzt der Abt des Tempels auf einem Sofa und sagt ihnen Lehrsätze vor. Die Jungen wiederholen sie, dann beugen sie sich nach vorne und berühren mit ihren Köpfen den Boden. Morgen früh werden sie für 19 Tage zu Novizen ordiniert. Sie bekommen gerade die letzten Unterweisungen.

„Wir versuchen, ihnen in dieser Zeit in einer kindgerechten Weise die Religion zu vermitteln“, erklärt Phra Bhanu. Der 30-jährige Mönch betreut die Jungen, die zwischen sieben und 13 Jahre alt sind. „Wir können sie nicht einfach hinsetzen und nur predigen. Die würden schon nach fünf Minuten nicht mehr zuhören.“

Autoren

Sascha Zastiral

berichtet seit 2010 für das Weltreporter-Netzwerk aus Bangkok.

Nick Nostitz

ist Fotograf und Journalist.
Noch vor wenigen Jahrzehnten war es für die meisten Familien in Thailand selbstverständlich, ihre Söhne zumindest für einige Wochen in einen Tempel zu schicken und zu jungen Mönchen ordinieren zu lassen. Heute geschieht das immer seltener. Auch in Thailand verschwindet die Religion zunehmend aus dem alltäglichen Leben.

Zwar sieht man in vielen Landesteilen – sogar in der Hauptstadt Bangkok – morgens immer noch Mönche mit ihren Bettelschalen durch die Straßen gehen und Almosen sammeln. Doch ihre Zahl schrumpft. Seit 1980 zählt die Regierung die Mönche im Land: Damals kamen auf 1000 Einwohner noch elf Mönche, heute sind es nur noch fünf. Offiziell gibt es in Thailand etwa 300.000 Mönche, doch viele von ihnen sind, so wie die Jungen im Rama-IX.-Tempel, nur vorübergehend ordiniert. Vollzeit-Mönche gibt es Schätzungen zufolge weniger als 70.000. Einige Tempel im Norden des Landes rekrutieren bereits Mönche aus dem benachbarten Myanmar.

Piano-Meditation für gestreßte Hauptstädter

Früher waren buddhistische Tempel, die mit ihren goldverzierten Giebeldächern genauso zur Landschaft gehören wie Palmen und Reisfelder, der gesellschaftliche Mittelpunkt der Dörfer. Mönche haben bei Streitigkeiten geschlichtet, sich um schwierige Jugendliche gekümmert und die Menschen beraten, wenn sie Probleme hatten. Die Tempel waren zugleich Treffpunkte für Dorfversammlungen und Herbergen für Reisende. Heute gehen viele Thais nur noch an hohen buddhistischen Feiertagen in den Tempel.

„Wir möchten die Leute dazu anregen, wieder öfter zu kommen“, sagt Phra Bhanu. Von einfacher Meditation seien viele Hauptstädter aber schnell gelangweilt, sagt der Mönch. Sein Tempel bietet daher auch „Piano-Meditation“ an, bei der sich gestresste Hauptstädter zu Pianoklängen in meditative Trance versetzen sollen. Oder sie nehmen an einem der mehrtägigen Yogakurse teil, die der Tempel ebenfalls anbietet.

Konsum und Besitz sind vielen Thais wichtiger als die Religion

Die Säkularisierung in Thailand geht einher mit dem wirtschaftlichen Aufschwung des Landes seit den 1980er Jahren. In diesem Zeitraum hat sich das Bruttosozialprodukt mehr als verzehnfacht. Millionen Menschen aus dem ärmeren Nordteil des Landes leben und arbeiten heute in Bangkok. Konsum und Besitz werden für viele Thais immer wichtiger, überall im Land sind  riesige Shoppingmalls entstanden. Vor allem an den Wochenenden drängen sich dort Kauflustige auf der Suche nach Autos, Flachbildschirmen und den neuesten Handys. Viele Thais verschulden sich, um sich Konsumartikel zu kaufen.

Nicht wenigen Tempeln indes geht das Geld aus. Viele sind wegen der schwindenden Zahl der aktiven Gläubigen gezwungen, sich nach neuen Einkommensquellen umzuschauen. Früher haben die Menschen mindestens ein Mal pro Woche einen Tempel besucht und dabei Essen für die Mönche und Geld für den Unterhalt der Anlagen gespendet. Einige Tempel versuchen, den Einnahmenschwund durch den Verkauf von religiösen Amuletten auszugleichen.###Seite2###

Früher wurden diese kleinen, oft mit Buddhafiguren verzierten Anhänger kostenlos verteilt oder für ein paar Baht verkauft. Die Amulette, die viele Thais um den Hals tragen oder sich im Auto an den Rückspiegel hängen, sollen vor Gefahren schützen oder für Glück bei Geschäften oder Glücksspielen sorgen. Heute machen einige Tempel Riesengeschäfte damit. Seltene und alte Amulette sind hochbegehrt und werden bisweilen für Tausende Euro gehandelt.

Sulak Sivaraksa sieht das gar nicht gern. „Amulette sind zwar hilfreich für den populären Buddhismus“, sagt der 80-Jährige, der einer der wichtigsten buddhistischen Gelehrten des Landes ist – und ein vehementer Kritiker der Entwicklungen innerhalb des Buddhismus in Thailand. „Aber wenn man die Lehren des Buddha versteht, dann erkennt man, dass diese Dinge nicht wichtig sind.“ Früher hätten Mönche vor allem unsicheren Menschen Amulette ausgehändigt, um ihnen mehr Selbstvertrauen zu geben. Dass viele Tempel heute damit Profite machten, verstoße gegen die Regeln. „Mönche dürfen eigentlich kein Geld anfassen“, sagt Sulak.

Immer wieder sind Mönche in Sex- und Korruptionsskandale verwickelt

Der Buddhismus gehe in Thailand Hand in Hand mit dem Staat, und der heiße Kapitalismus und Konsumdenken willkommen. „Also macht der Buddhismus das Gleiche. Aber das geht vollkommen gegen die Lehren des Buddha“, sagt Sulak. Mönche sollten ein einfaches und bescheidenes Leben führen – und Vorbild sein. Nähme man die Lehren des Buddha ernst, dann würde jeder Tempel vollständig von Laien unterhalten werden. „Die Laien spenden das Essen und die Mönche essen nur ein oder zwei Mal am Tag. Aber heute möchten die Mönche besseres Essen. Sie haben Kühlschränke, Fernseher, Klimaanlagen. Sie sind von den Menschen entfremdet“, klagt der Gelehrte.

Zahlreiche Skandale haben in den vergangenen Jahren das Ansehen der Tempel in Thailand zusätzlich beschädigt. Im Internet finden sich Videos von Mönchen, die Alkohol trinken, in Tempeln Partys feiern, Pornofilme anschauen oder mit Frauen Sex haben. Einige Tempel sind in Korruptionsaffären verwickelt.

Für einen landesweiten Aufschrei hat in diesem Jahr ein Youtube-Video gesorgt, das drei Mönche zeigt, die teure Sonnenbrillen tragen und in einem Charter-Jet sitzen. Neben einem von ihnen steht eine teure Louis-Vuitton-Tasche. Ermittlungen ergaben, dass der 33-jährige Mönch im Zentrum des Skandals ein Vermögen von geschätzt 25 Millionen Euro und eine Flotte von Luxusautos besitzt. Gegen ihn wird derzeit unter anderem wegen Geldwäsche, Drogenschmuggel und Fahrerflucht ermittelt. Inzwischen hat sich der Mann offenbar in die USA abgesetzt.

Sulak Sivaraksa hat sich in den vergangenen Jahren auch als scharfer Kritiker der Dhammakaya-Sekte hervorgetan. Diese Gruppe, die nördlich von Bangkok einen riesigen Tempelkomplex unterhält, ist die am schnellsten wachsende buddhistische Bewegung in Thailand. Ihre Lehren verbreitet die Sekte landesweit über einen eigenen Fernsehsender. Und die weichen in zahlreichen zentralen Punkten von den Glaubensvorstellungen des Theravada-Buddhismus ab, der am weitesten verbreiteten buddhistischen Richtung in Thailand. „Sie sagen: Je mehr Geld man ihnen spendet, desto höher sind die Chancen auf eine bessere Wiedergeburt“, sagt Sulak Sivaraksa. „Die sagen sogar, man könne direkt mit Buddha reden. Das ist vollkommen gegen seine Lehren.“

Die Schuld daran, dass sich Sekten wie Dhammakaya ungehindert ausbreiten können, gibt Sulak der obersten religiösen Führung im Land. Nirgendwo auf der Welt ist der Buddhismus so zentralisiert wie in Thailand. Die streng hierarchische Struktur des Supreme Sangha Council lässt sich grob mit der Führung der katholischen Kirche vergleichen. Kritiker wie Sulak bemängeln, dass die Spitze des Council schon lange den Kontakt zur Basis verloren habe.

Eigentlich müssen sich alle Tempel der Machtstruktur des Council unterordnen, um offiziell anerkannt zu werden. Doch einige Gruppen und Tempel haben sich dafür entschieden, eigene Wege zu gehen. Im Fall von Bhikkhuni Dhammananda stellte sich gar nicht erst die Frage, ob sie sich der Machtstruktur unterordnet: Sie ist die erste Frau in Thailand, die in den Mönchsstand des Theravada-Buddhismus eingetreten ist. Da in Thailand bis heute keine Nonnen anerkannt werden, ließ sie sich 2001 in Sri Lanka ordinieren, wo die meisten Menschen ebenfalls Theravada-Buddhisten sind.

Die ursprünglichen Werte des Buddhismus wiederbeleben

Bhikkhuni Dhammananda ist in Thailand eine Berühmtheit. Auch sie setzt sich, wie Sulak Sivaraksa, für eine Rückkehr zu den ihrer Ansicht nach ursprünglichen Werten des Buddhismus ein. Auch sie lehnt die Kommerzialisierung einiger Tempel und Gruppen ab. Vor ihrer Ordinierung unterrichtete die heute 81-Jährige Religionswissenschaften an der berühmten Thammasat-Universität in Bangkok. Sie war bereits über 50, als sie sich dazu entschied, ihr weltliches Leben aufzugeben und Nonne zu werden. Sie habe warten wollen, bis ihre drei Kinder erwachsen sind, erklärt sie.

Heute leben in ihrem Songkhammakalayani-Tempel rund eine Autostunde westlich von Bangkok, 15 voll ordinierte Nonnen, die alle ihre Weihe in Sri Lanka erhalten haben. „Wir arbeiten hier hart. Das hier ist kein großer Tempel, aber wir erledigen alle Arbeiten selbst.“

In den Skandalen der jüngsten Zeit sieht Bhikkhuni Dhammananda teilweise auch ein Versagen der Gesellschaft. Denn diese sollte, so glaubt sie, die Mönche eigentlich kontrollieren. In Thailand herrsche aber die Denkweise vor, dass Mönche unantastbar sind. Und dass es eine Sünde sei, sie zu kritisieren, auch wenn sie sich falsch verhielten. „Die Leute befürchten, in der Hölle zu landen, wenn sie Mönche kritisierten. Das aber ist die falsche Einstellung.“

Der Rückzug der Religion aus dem Alltag hat für Bhikkhuni Dhammananda auch mit den Medien zu tun. Aus dem Fernsehen wüssten die Leute „so viel über die Welt: Sie werden davon nach außen gezogen“. Das gelte auch für die Mönche. Doch wenn so viel Augenmerk auf die materielle Welt gelegt werde, dann gehe zwangsläufig die wahre Bedeutung der buddhistischen Praktiken verloren. Um dem entgegenzuwirken, müssten die Mönche besser ausgebildet werden – und vor allem, anders als heute, bereits vor ihrer Mönchsweihe mit ihrer Ausbildung beginnen, sagt Bhikkhuni Dhammananda. „Manche studieren, andere nicht. Einige verbreiten auch falsche Botschaften. Obwohl sie es vermutlich gut meinen.“

Phra Bhanu vom Rama-IX.-Tempel in Bangkok glaubt, die Religion müsse sich stärker an die veränderten gesellschaftlichen Gegebenheiten anpassen. „Es ist eine herausfordernde Zeit für den Buddhismus in Thailand. Es scheint, als wollten viele Leute nur noch reich werden und sich viele materielle Dinge aneignen.“ Der Buddhismus müsse daher seine Hauptlehren so gestalten, dass sie für die Menschen auch heute noch hilfreich sind.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2014: Der Glaube und das Geld
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