Fehlstart ins Textilbündnis

Entwicklungsminister Gerd Müller hat ein Textilbündnis gegen Ausbeutung und Gesundheitsschäden von Arbeitern ins Leben gerufen. Doch große Unternehmen und Handelsverbände machen erst gar nicht mit. Auch Greenpeace steigt aus. Ist das Bündnis schon gescheitert?

Gemeinsam wird es uns gelingen, die Arbeits- und Lebensbedingungen für die Menschen spürbar zu verbessern, die unsere Kleider unter teilweise nicht hinnehmbaren Zuständen herstellen“, erklärte Entwicklungsminister Gerd Müller am 16. Oktober in Berlin. Die Opposition kritisierte dagegen, das Bündnis sei der kleinste gemeinsame Nenner zwischen ein paar wenigen Unternehmen und der Zivilgesellschaft.

Zwar haben sich dem Bündnis 30 Partner angeschlossen, darunter aber nur eine Handvoll Unternehmen wie Hess Natur, der Outdoorausrüster Vaude und der Sportartikelhersteller Trigema. Die Resonanz aus der Industrie blieb schwach, obwohl große Ketten wie Lidl, KiK oder Otto noch an den Vorbereitungen beteiligt waren. Vor allem Verbraucherverbände, Gewerkschaften und nichtstaatliche Organisationen (NGOs) tragen das Bündnis mit. Mit Ausnahme des Internationalen Verbands der Naturtextilwirtschaft halten die deutschen Handelsverbände die Ziele für unrealistisch.

Gemessen an den eigenen Ambitionen ist Minister Müller gescheitert. Ein Textilsiegel, das soziale und ökologische Produktionsstandards vom Baumwollfeld bis zum Bügel garantiert, bleibt in weiter Ferne. Die deutschen Textilunternehmen, die mehr Verantwortung für eine lückenlose Überwachung der globalen Lieferkette übernehmen sollten, bleiben ihre Unterschrift schuldig. Das 50-Seiten-Programm ist aus ihrer Sicht überfrachtet mit unerfüllbaren Anforderungen an die Produktion bei Lieferanten und Subunternehmen.

Der Industrie gehen die ­Anforderungen zu weit

Die Verbände, die große wie mittelständische Betriebe vertreten, sehen ihre Mitglieder überfordert mit den aufgelisteten hohen Standards für Arbeitsschutz. Deutsche Sozialstandards könnten nicht einfach in andere Länder übertragen werden, kritisierte der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes Textil und Mode, Uwe Mazura. Ähnlich argumentierten der Handelsverband Deutschland (HDE), die Außenhandelsvereinigung des deutschen Einzelhandels (AVE), der Gesamtverband der deutschen Modeindustrie und der Verband German Fashion.

Im April hatte Entwicklungsminister Müller zu einem ersten „Runden Tisch Textil“ in sein Ministerium geladen. Es war der Jahrestag des Einsturzes der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch, bei dem über 1130 Menschen ums Leben kamen. Nun betonte er, die Tür bleibe offen für Unternehmen.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) unterstützt die Initiative des CSU-Politikers Müller – vor allem die Sicherung existenzsichernder Löhne in den Textilfabriken Asiens. DGB-Chef Reiner Hoffmann lobte den „wichtigen Schritt, um die Arbeits- und Lebensbedingungen von Millionen Menschen zu verbessern“. Er forderte die Unternehmen auf, dem Bündnis beizutreten und sich mit Regierung, nichtstaatlichen Organisationen und Gewerkschaften dafür einzusetzen.

Doch selbst die NGOs, die in diversen Arbeitsgruppen den Aktionsplan mit ausgearbeitet haben, sind gespalten. Die Kampagne für Saubere Kleidung (Clean Clothes Campaign, CCC) hofft auf einen Impuls für mehr Transparenz in Lieferketten und die Einsicht der Unternehmen. Einige Mindestanforderungen entsprächen den Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), zu denen sich in den vergangenen 15 Jahren bereits fast jedes große Unternehmen verpflichtet habe, mahnte die Kampagne. Für weiterführende Anforderungen gebe es zudem großzügige Übergangsfristen.

„Als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet“

Auf Distanz geht dagegen die Umweltschutzorganisation Greenpeace, die in einer dreijährigen Detox-Kampagne gegen Giftstoffe in der Textilherstellung auch große Unternehmen wie Adidas, H&M oder C&A gewonnen hat. Greenpeace bemängelt, dass ein Verbot gefährlicher Chemikalien beim Färben, Gerben oder Drucken am Widerstand der Industrie scheiterte. So ist der Abschnitt „Chemikaliensicherheit“ im Aktionsplan lediglich als noch zu prüfende „Arbeitsgrundlage“ enthalten. „Wir sind angetreten, beides zu schaffen – soziale und ökologische Standards“, kritisierte Kirsten Brodde von Greenpeace. „Es lag eine klare Liste unzulässiger Chemikalien auf dem Tisch. Das ist nun verschoben.“

Die Grünen hielten Müller vor, die Rechnung ohne den Wirt gemacht zu haben. Die Industrie führe den Minister regelrecht vor, sagte der entwicklungspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Uwe Kekeritz. Er müsse einsehen, dass er Unternehmen nur mit Gesetzen dazu bringen könne, die Zustände in der globalen Lieferkette zu verbessern. Statt eines schlüssigen Konzepts präsentiere er ein halbfertiges Bündnis. „Die Textil-Initiative von Minister Müller ist als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet“, so Kekeritz. „Durch ein freiwilliges Textilbündnis werden sich die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie nicht verbessern.“

Gesetzlich verbindliche Vorgaben schloss Müller heute nicht mehr aus, falls keine Verbesserungen erreicht würden. Die Verantwortung von Unternehmen für ihre Lieferketten will er auch mit den großen Industrienationen im Rahmen der deutschen G8-Präsidentschaft 2015 zur Sprache bringen.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2014: Der Glaube und das Geld
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