Der September nächsten Jahres wird ein wichtiger Monat für Menschen mit Behinderungen. Dann treffen sich die Staats- und Regierungschefs der Vereinten Nationen (UN) zur Generalversammlung und stecken sich neue internationale Entwicklungsziele. Wir müssen uns heute über diese Ziele Gedanken machen, weil jetzt die politischen Gespräche dazu stattfinden. Anders als bei den sogenannten Millenniumsentwicklungszielen (MDG), auf die sich die UN bisher geeinigt hatten, muss diesmal die Chance genutzt werden, auch Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen.
Autor
Dr. Rainer Brockhaus
ist Direktor der Christoffel-Blindenmission Deutschland.Von den rund sieben Milliarden Menschen, die auf der Erde leben, sind etwa eine Milliarde behindert. Davon leben vier Fünftel in den ärmsten Ländern der Welt. Gerade in diesen Ländern gibt es oft weder eine finanzielle Absicherung noch die entsprechende medizinische Versorgung. Bildungsmöglichkeiten gibt es in der Regel auch nicht: Laut der UNESCO gehen neun von zehn Kindern mit Behinderungen nicht zur Schule; weltweit können nur insgesamt drei Prozent der behinderten Erwachsenen lesen und schreiben. Deshalb finden diese Menschen oft keine oder nur eine schlecht bezahlte Arbeit und können nicht zur Entwicklung ihrer Heimatländer beitragen.
Das wird jetzt auch eindrucksvoll von einer neuen Studie des International Centre for Evidence in Disability an der London School of Hygiene & Tropical Medicine belegt, die von der Christoffel-Blindenmission (CBM) in Auftrag gegeben und finanziert wurde. Danach entstehen der Wirtschaft von Bangladesch jährlich Kosten in Höhe von 54 Millionen US-Dollar, weil Menschen mit Behinderungen nicht besser ausgebildet und integriert werden. Noch sinnvoller als das zu ändern wäre es laut der Studie, vermeidbare Behinderungen durch eine bessere Gesundheitsvorsorge erst gar nicht entstehen zu lassen.
Bei einem Unfall verlor Ngwana ein Bein - und seine Lebensgrundlage
Wie schnell eine Familie, die einen Menschen mit Behinderungen betreut, in die Armut abrutschen kann, zeigt ein Beispiel aus Kamerun. Dort verlor Ngwana vor 25 Jahren bei einem Busunglück ein Bein und damit auch seine Lebensgrundlage. Der Mechaniker wurde arbeitslos und konnte seine neunköpfige Familie nicht mehr versorgen. Seine Perspektive: ein Leben in Armut. Und auch die Bildung seiner Kinder konnte er ohne Einkommen nicht mehr finanzieren.
Ein CBM-Projektpartner konnte Ngwana aber schon mit wenig Aufwand helfen. Er bekam zunächst eine Prothese, dann geeignete Rehabilitationsmaßnahmen und schließlich eine Ausbildung zum Schreiner. Mithilfe eines Kleinkredits kaufte der heute 50-Jährige das nötige Material, stellt seitdem erfolgreich Körbe und Möbel her und kann sich und seine Familie wieder selbst ernähren.
Dieses Beispiel zeigt: Es braucht manchmal nicht viel, um den Kreislauf aus Armut und Behinderung zu durchbrechen. Wichtig ist, den Zusammenhang von beidem zu erkennen. Deshalb muss dieses Thema bei der UN-Generalversammlung deutlich hervorgehoben werden. Um das Leben von Menschen mit Behinderungen in den ärmsten Ländern der Welt zu verbessern, sind politische Veränderungen unabdingbar. Bisher hat die internationale Staatengemeinschaft jeden fünften der weltweit ärmsten Menschen schlicht übersehen – Menschen mit Behinderungen.
Da sie in den aktuellen UN-Entwicklungszielen nicht berücksichtigt wurden, können nationale und internationale Entwicklungsprogramme nicht wirksam sein. Die UN-Generalversammlung hat im September kommenden Jahres die Chance, aus den Fehlern zu lernen. Die CBM fordert daher die Bundesregierung auf, sich für inklusive Entwicklungsziele einzusetzen. Menschen mit Behinderungen müssen explizit in den neuen Entwicklungszielen berücksichtigt werden. „Sie dürfen nicht wie in den vergangenen Jahren ausgegrenzt werden.“, sagt unser CBM-Botschafter Raúl Krauthausen, der selbst im Rollstuhl sitzt. „Nur so können wir eine Welt für alle schaffen.“
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