Am 10. Juli erklärten sich die Chefs der 15 Staaten der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS sowie Mauretanien bereit, das in fast zehn Jahren mit der EU-Kommission ausgehandelte Wirtschaftsabkommen zu unterzeichnen. Allerdings ist der Text offenbar noch nicht ganz fertig; die Juristen und Übersetzer in den Kommissionen von EU und ECOWAS feilen noch an den Feinheiten.
Zudem ist es noch nicht das „umfassende“ Abkommen, das die EU-Kommission tags darauf feierte: Geregelt ist vorerst nur der Warenhandel, inklusive einer Verpflichtung, binnen sechs Monaten nach dem Inkrafttreten über weitere Bereiche zu verhandeln, darunter Dienstleistungen und Zugang zum Finanzmarkt, öffentliche Beschaffungen, Schutz von geistigem Eigentum und von Investitionen.
Es war Eile geboten und sicherheitshalber hatte die ECOWAS-Kommission schon Ende Juni bei der Welthandelsorganisation (WTO) das Abkommen angemeldet: Mindestens zwei der westafrikanischen Staaten, Ghana und die Elfenbeinküste, die nicht mehr zu den ärmsten Ländern zählen, würden ab Oktober ihre Vorzugstarife beim Export nach Europa verlieren, weil dann die Ausnahmeregeln der WTO enden.
Geld fürs Militär als entscheidendes Argument
In zwei Verhandlungsrunden Anfang des Jahres hatten die Westafrikaner erreicht, dass die EU ihre Forderung auf Marktöffnung von 85 Prozent auf 75 Prozent des Warenhandels senkte. Brüssel willigte zudem ein, dass Westafrika für einige sensible Agrargüter weiter Schutzzölle erheben darf. Auch die Zusage der EU, Handelshilfen in Höhe von 6,5 Milliarden Euro für die Jahre 2015 bis 2020 war sicher hilfreich, wenngleich das Abkommen dieses Geld nicht ausdrücklich als „zusätzlich“ zu den Mitteln für Westafrika aus dem Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) festschreibt, wie das die ECOWAS ursprünglich wollte. Die UN-Wirtschaftskommission für Afrika hatte berechnet, dass das Abkommen die ECOWAS-Länder durch den Wegfall von Zolleinnahmen im selben Zeitraum acht Milliarden Euro kosten wird. Entscheidend für die Zustimmung der ECOWAS-Chefs war schließlich auch die Zusicherung Brüssels, die Militäreinsätze der ECOWAS in Mali und Niger zu finanzieren.
Zivilgesellschaftliche Organisationen der Region, von Kirchen über Gewerkschafts-, Bauern- bis sogar zu Handelsverbänden, sind indes empört über die Zustimmung ihrer Regierungen zu dem EPA. Das Economic Justice Network in Ghana befürchtet, dass dem Abkommen der industrielle Sektor in Westafrika geopfert werde: Die für Importe aus der EU freigegebenen Bereiche wie Textil, Aluminium, Zement oder Metallverarbeitung seien „entscheidend für die industrielle Entwicklung“, und die ECOWAS-Verhandler hätten mit der Freigabe „alle Aussichten auf die industrielle Transformation der westafrikanischen Wirtschaft aufgegeben“.
EU sichert sich günstige Bedingungen
Ähnlich das Bild im südlichen Afrika: Dort haben sechs der 14 Mitgliedsländer der Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika (SADC), nämlich Botswana, Lesotho, Mosambik, Namibia, Swasiland und Südafrika, ein Wirtschaftsabkommen mit Brüssel geschlossen, wie die Kommission Ende Juli mitteilte. Botswana, Namibia und Swasiland standen aus denselben Gründen wie Ghana und die Elfenbeinküste unter Termindruck. Wie von der ECOWAS verlangt die EU von den SADC-Ländern, dass sie die sogenannte Meistbegünstigungsklausel akzeptieren: Günstige Handelsbedingungen, die sie anderen Ländern einräumen, müssen demnach automatisch auch der EU zugestanden werden. Für das südliche Afrika ist das eine besonders bittere Pille, da sie die in der SADC angestrebte Süd-Süd-Zusammenarbeit vor allem mit Indien und Brasilien berührt.
Im Gegenzug erreichten die SADC-Verhandler bedeutende Zugeständnisse seitens der EU. Für 22 Agrarprodukte, darunter Wein, Zucker und Rindfleisch, akzeptierte die EU bedeutend größere Mengen für die zollfreie Einfuhr in Europa. Zudem gesteht Brüssel den SADC-Ländern nun „Flexibilität“ bei der Regulierung von Rohstoffexporten zu, etwa durch Steuern oder gar Verbote. Ursprünglich wollte die EU solche Handelsbeschränkungen für unzulässig erklären.
Die zwei Wirtschaftsabkommen mit dem westlichen und südlichen Afrika binden nun die wirtschaftlich wichtigsten Regionen an den EU-Markt, während die Verhandlungen mit dem großen Rest des Kontinents, etwa mit der Ostafrikanischen Gemeinschaft oder mit Zentralafrika, nicht vorankommen.
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