Der Coyote von El Amatillo

In den „goldenen“ 1990er Jahren waren Grenzübergänge ohne Velásquez’ Hilfe eine Quälerei: Jeder Autofahrer musste sieben Stempel einsammeln. Inzwischen ist es weniger kompliziert. Aber Arbeit haben Velásquez und seine Kollegen immer noch genug.

Die Grenzstation von El Amatillo ist ein schlichter Betonkomplex aus den 1940er Jahren in den Nationalfarben von Honduras: blau und weiß. Es ist heiß, über dreißig Grad im Schatten, aber Schatten gibt es hier kaum. Wer auf der panamerikanischen Straße in den Süden fährt und hier ankommt, hat schon die Grenzformalitäten auf der Seite El Salvadors hinter sich.

Rigoberto Vásquez kommt oft vorbei. Der Nicaraguaner arbeitet seit 18 Jahren in El Salvador. Wenn er über das Wochenende seine Familie besucht, muss er ein kurzes Stück durch Honduras. Das bedeutet vier Grenzstationen pro Fahrt. An jeder wird seine Ein- oder Ausreise registriert.

Das Einreisebüro in El Amatillo, ursprünglich gedacht als Schlafzimmer für die Grenzbeamten, ist für die Abfertigung von täglich rund 2000 Grenzgängern kaum geeignet. Manchmal wird es hier eng und ein bisschen chaotisch. Doch Vásquez wird schon auf dem Weg dorthin von zwei Mädchen aufgehalten, sie sind vielleicht zwölf Jahre alt. Sie wollen seinen Pass und er rückt ihn heraus, ohne weitere Fragen.

Mädchen erledigen die Formalitäten

Die Mädchen erledigen die Formalitäten: Sie besorgen sich das nötige Formular, füllen es aus, bringen es zu den Grenzern und schon wenige Minuten später hat Vásquez den Pass wieder in der Hand, zusammen mit dem abgestempelten Beleg seiner Einreise. Er gibt den Mädchen einen halben US-Dollar für ihre Dienste. „Was soll man machen“, sagt er. Wenn man nicht lesen und schreiben könne, brauche man ihre Hilfe.

„In dem Alter habe ich auch hier angefangen, 13 Jahre alt war ich damals“, erzählt Natanael Velásquez. Heute ist er 42 und ein Veteran seines Berufs. Man nennt diese Männer und Frauen „Tramitadores“: Sie kennen sich mit der Bürokratie aus, haben Kontakte in jedem Büro und erledigen für andere die Behördengänge. Mit ihrer Hilfe geht alles viel schneller. Zusammen mit den informellen Geldwechslern, die mit dicken Bündeln von Scheinen am Straßenrand winken, gehören sie zum freiberuflichen Personal jeder Grenze in Zentralamerika.

Im Volksmund heißen sie auch „Coyotes“, Kojoten, genauso wie die Schleuser, die illegale Migranten von einem Land ins andere bringen. Velásquez schätzt, dass an der Grenze von El Amatillo rund hundert Tramitadores ihren Lebensunterhalt verdienen.

„Als ich hier angefangen habe, herrschte Bürgerkrieg in El Salvador“, erzählt er. Honduranische Händler, die auf der anderen Seite der Grenze Waren einkauften, wollten nicht mit ihren Autos ins Nachbarland. Sie fürchteten, die Autos könnten von der Guerilla oder vom Militär beschlagnahmt oder bei Unruhen verbrannt werden. Sie nahmen lieber ein Taxi oder den Bus. „Ich habe auf die geparkten Autos aufgepasst und sie haben mich dafür bezahlt.“ Für einen Jungen, der gerade zwei Jahre die Schule besucht hatte, war das kein schlechter Job.

Autorin

Cecibel Romero

ist freie Journalistin in San Salvador.
Nach dem Ende des Kriegs 1992 kamen die goldenen Jahre. Der Grenzverkehr nahm zu, die Bürokratie hatte absurde Züge: Wer mit dem Auto über die Grenze wollte, musste sieben Stempel einsammeln. Die bekam man in Büros, die ohne erkennbare Ordnung über die Grenzstation verstreut waren.

Man brauchte sogar eine Bescheinigung darüber, dass mitgeführte Tiere ordnungsgemäß in Quarantäne waren – egal, ob man Tiere dabei hatte oder nicht. „Es gab unendlich lange Schlangen, ein Grenzübertritt konnte Stunden dauern“, erinnert sich Velásquez. Er arbeitete schon damals am liebsten mit festen Kunden zusammen und hatte eine ganze Reihe von Autoimporteuren an der Hand, denen er mit seinen Kontakten beim Zoll aushalf.

Auch die evangelikalen Mennoniten, die Kleider und Hilfsgüter importieren, kamen immer zu ihm. „Sie haben mich gut bezahlt“, sagt er. Zwei Kinder hat er zusammen mit seiner Frau großgezogen und das Einkommen reichte sogar, um seiner Mutter ein kleines Häuschen zu bauen. Vor kurzem ist Velásquez Großvater geworden.

Doch seit zehn Jahren sind die guten Zeiten vorbei. Die zentralamerikanischen Länder hatten sich 2004 auf einen vereinfachten Grenzübertritt für ihre Bürger geeinigt. Seitdem werden nur noch die Autos von Ausländern registriert, die von weiter weg aus dem Norden oder Süden kommen.###Seite2###

Für Männer wie Velásquez bedeutet das viel weniger Arbeit. Aber nicht nur deshalb findet er die neue Regelung schlecht. „Früher blieb jeder Grenzübertritt eines Autos im Archiv vermerkt“, sagt er. Heute sei es viel einfacher, gestohlene Autos ins Nachbarland zu bringen und dort zu verkaufen.

Der Großteil der Grenzgänger braucht die Tramitadores nur noch in den Stoßzeiten, wenn sich Trauben vor den Fenstern der Einreisebehörde bilden. Velásquez steht längst nicht mehr mitten drin und drängelt. „Es wäre mir peinlich, kleinen Mädchen und Jungen die Arbeit wegzunehmen“, sagt er. Er hat sich darauf spezialisiert, Lastwagenfahrern bei der  Zollabfertigung zu helfen. Er weiß, welches Formular für welchen Wagen und welche Ware wie auszufüllen ist: „Viel besser, als es selbst die vom Zoll wissen.“

Der drahtige Mann ist stets in Eile

Und er weiß auch, welchen Zöllner man mit wie viel Geld bestechen muss, damit ein Laster schneller abgefertigt wird. Über Summen spricht er nicht. Nur so viel: „Es gibt jede Menge Korruption hier.“ Drüben, auf der Seite von El Salvador, gebe es das alles nicht. „Das ist bewundernswert.“ Er selbst verdient etwa 20 US-Dollar am Tag. Feste Tarife für seine Dienste gibt es nicht. Er nimmt das, was seine Kunden für angemessen halten.

Früher habe er mehr verdient, sagt er. Aber viel beschäftigt wirkt er noch heute. Der drahtige Mann ist stets in Eile, hetzt an den langen Schlangen der Lastwagen vorbei. Zwar hat er eine Reihe von Stammkunden, aber wer zuerst kommt, der macht das Geschäft.

Flüchtig grüßt er die umherziehenden Verkäuferinnen, die Taxifahrer und die Geldwechsler, die Polizisten und die Zöllner. Er kennt sie alle und er kennt auch ihre Geheimnisse. „Dieser Junge da drüben lebt vom Kokain, das ihm ein paar Lastwagenfahrer bringen“, erzählt er im Vorübergehen. Und: „Dort hinten durchs Gebüsch kommt man illegal über die Grenze. Da wird auch Schmuggelware auf die andere Seite gebracht.“

Kilometerlang zieht sich die Reihe der Lastwagen auf der Standspur hin, manchmal warten die Fahrer mehrere Tage. Unwissende Touristen lassen sich von dieser Kolonne erschrecken. Vor allem US-Amerikaner in Wohnmobilen seien für unseriöse Tramitadores eine leichte Beute, erzählt Velásquez.

Die Grenzstation soll endlich Computer bekommen.

Die Bürokratie für den Grenzübertritt eines Wohnmobils koste nie mehr als sechzig Dollar. Unseriöse Kollegen aber würden 200 oder 300 Dollar verlangen. „Wenn der Gringo unsicher und weichherzig ist, können sie ihm bis zu 700 Dollar aus der Tasche ziehen.“

„Wir wissen das“, sagt Neftaly Maldonado, der Leiter der honduranischen Einreisebehörde.  Aber die Regierung in Tegucigalpa habe versprochen, dass bald kein Papierkram mehr ausgefüllt werden müsse. Die Grenzstation von El Amatillo solle endlich Computer bekommen und dann sei es vorbei mit der Korruption. Auch für Tramitadores werde es dann keine Arbeit mehr geben.

Natanael Velásquez sieht das gelassen. Er hat schon viele Ankündigungen gehört und ist sich sicher: „Ich werde hier noch eine Weile mein Brot verdienen.“ Er habe auch gar nichts dagegen, wenn die Regierung gegen die schwarzen Schafe vorgehen würde. Unseriöse Konkurrenz schadet auch seinem Ruf. Er hat schon viele kommen und gehen sehen. Jungen Kollegen gibt er den Rat: „Wenn du im Geschäft bleiben willst, musst du ehrlich sein.“

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erschienen in Ausgabe 5 / 2014: Durchlass hier, Mauer dort
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