Die Verabredung mit Hussein Kurji in einem trendigen Coffeeshop von Nairobi ist keine Minute überfällig, da summt schon das Telefon. „Wir hatten ein Treffen vereinbart“, sagt die Stimme am anderen Ende – nicht unfreundlich, sondern eher fragend, ob der Journalist möglicherweise verhindert sei. Aber der ist nur gerade dabei, das Auto zu parken.
Autor
Markus M. Haefliger
ist Afrika-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung und lebt in Nairobi.Kurjis Idee trifft offensichtlich auf ein Bedürfnis. Das Helfersyndrom, an dem Mitarbeiter von nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) mitunter leiden, und die damit verknüpften Klischees von immerzu bedürftigen Hilfeempfängern gehen nicht nur jungen Afrikanern auf die Nerven – aber ihnen ganz besonders. Schon vor anderthalb Jahren hatte eine Gruppe von Studenten aus Südafrika und Norwegen den filmischen Sketch „Africa for Norway“ gedreht, der auf YouTube fast zweieinhalb Millionen Mal angesehen wurde.
In einer satirischen Umkehrung der Verhältnisse werben darin Popsänger für Erbarmen mit Norwegen, denn: „frostbites kill too“ (auch Frostbeulen können tödlich sein). Freiwillige ziehen von Tür zu Tür und sammeln Heizkörper für die große Norwegen-Spende.
„The Samaritans“ knüpft inhaltlich an den Sketch an, verspricht aber einen längeren Atem. Fünf Staffeln mit je einem Dutzend Folgen will Kurji in den nächsten fünf Jahren produzieren. Die ersten beiden Episoden, die seit Februar gegen eine Gebühr im Internet erhältlich sind, wurden bereits von 5000 Interessenten heruntergeladen. Mit 113.000 Klicks innerhalb eines Monats ist der Trailer das in Kenia am häufigsten besuchte Video auf YouTube.
Im Zentrum der Handlung steht das Kenia-Büro einer ausländischen NGO, die sich Aid for Aid nennt und laut dem Werbemotto der Serie „nichts tut“. Die als Pilotsendung konzipierte erste Folge beginnt damit, dass aus der britischen Zentrale Scott Bartley (Liam Acton) eingeflogen wird. Er soll einen in Ungnade gefallenen Bürochef ablösen. Der neue Chef, ein Ekel, wirft mit politisch korrekten Phrasen um sich, ohne zu merken, wie hohl sie aus seinem Munde klingen.
Sein Projekt hat Kurji mit Crowdfunding angeschoben. Innerhalb von drei Wochen kamen 10.700 US-Dollar zusammen
Die Mitarbeiter von Aid for Aid sind vor allem mit sich selber beschäftigt. Im Zentrum der zweiten Folge steht ein Brainstorming. Es soll für den vom neuen Chef versprochenen „BFG“ (Big Friggin’ Grant), also einen ehrgeizigen Hilfsappell an die Adresse von Spendern, eine flotte Bezeichnung für ein Aktionsprogramm hervorbringen. Die Mitarbeiter legen sich ins Zeug, schließlich geht es um die eigenen Saläre. Mehr zufällig beendet der Finanzchef des Büros, Malik (Sadruddin Chandani), den intellektuellen Leerlauf. Er schlägt als Bezeichnung Food Efficiency and Economic Development vor, kurz FEED (ernähren). „Eine gute Abkürzung ist die halbe Miete“, lobt der Chef.
Kurji sagt, er habe eigentlich gar nichts gegen NGOs. Viele leisteten gute Arbeit. „Wenn wir die gute Seite von NGOs aufzeigen wollten, würden wir einen Dokumentarfilm machen. Aber wir wollen die Leute zum Lachen bringen.“ Die Form der Comedy erlaube es, zu übertreiben, meint er. Anschauungsmaterial gibt es in Kenia mehr als genug. Laut dem nationalen NGO Coordination Board sind in dem Land insgesamt 5000 in- und ausländische Hilfsorganisationen registriert.
Als realsatirisches Beispiel nennt Kurji die im vergangenen Jahr aufgeflogene Geschichte einer texanischen Organisation, die Geld für die Rettung der vom Aussterben bedrohten Nashörner sammelte. Dafür veranstaltete sie eine Auktion, bei der als Höchstpreis eine Reise nach Namibia winkte – mitsamt der Jagd auf ein Nashorn.
In Afrika kursieren viele solche Geschichten. Vor einigen Jahren suchte das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) in Darfur nach Mitteln und Wegen, die umweltschädigenden Folgen der Herstellung von Backsteinen einzudämmen – bis sich herausstellte, dass die örtlichen UNEP-Mitarbeiter die einzigen waren, die Backsteine nachfragten.
Kurjis beruflicher Hintergrund liegt in Internet-Medien, nicht im künstlerischen Bereich von Filmproduktionen. Seine Firma Xeinium Productions stellt Werbefilme, Spezialeffekte, Animationen und Webdesigns her. Oft stehe der Brotjob im Vordergrund, sagt Kurji, aber derzeit verbrächten er und sein Geschäftspartner Salim Keshavjee, der auf dem Set Regie führt, die meiste Zeit mit „The Samaritans“. Kurji hatte das Projekt im September 2012 durch freiwillige Beiträge im Internet, sogenanntes Crowdfunding, anschieben können. In drei Wochen kamen 10.700 US-Dollar zusammen.###Seite2###
Auch die bisher 21 Darsteller, von denen nur wenige ausgebildete Schauspieler sind, wurden teilweise über das Internet ausgesucht. Vor zehn Monaten fanden die Dreharbeiten für die Pilotsendung und die erste Folge statt, die anschließend bei der Discop, einer jährlichen Messe für TV-Serien in Südafrika, gezeigt wurden. Das Echo war positiv. Nun prüft Kurji verschiedene Finanzierungsmodelle für die weiteren Folgen, darunter Investoren, Partnerschaften mit Filmstudios und TV-Ketten oder die Unterstützung durch ausländische Filmfördergelder.
Kurji gibt sich zuversichtlich, dass er die Serie in der ganzen Länge produzieren kann. Er räumt ein, dass Figuren und Handlungsstränge an Substanz zulegen müssten, um über sechzig Folgen hinweg zu tragen. In den ersten beiden Episoden gehören alle Rollen der gleichen Altersgruppe an und wirken etwas blutleer. Kurji verspricht für künftige Folgen eine zweite NGO, die Konkurrenz von nebenan sozusagen. Man kann sich auf weitere Abgründe im moralischen Verhalten der selbsternannten Wohltäter gefasst machen.
„Ich bin Afrikaner! Wenn jemand ein Problem damit hat, dann ist es jedenfalls nicht meins.“
Kurjis Familie wanderte vor mehr als hundert Jahren aus Indien nach Kenia ein und zählt unter ihren engeren und weiteren Angehörigen mehrere erfolgreiche Geschäftsleute. Indischstämmige Kenianer bewegen sich häufig auf einem schmalen Grat zwischen Anpassung und Außenseitertum. Macht ihn der Hintergrund als „Nicht-Afrikaner“ vorsichtiger, als er es gerne wäre? „Nein“, antwortet Kurji. „Ich bin Afrikaner! Wenn jemand ein Problem damit hat, dann ist es jedenfalls nicht meins.“ Es ist das einzige Mal im Gespräch, dass er heftig wird.
Neben Kurji liegt ein dickes Taschenbuch auf dem Tisch, „Assegai“ von Wilbur Smith. Das lese er nicht aus Vergnügen, sondern wegen des Stoffs, der in Ostafrika vor dem Zweiten Weltkrieg angesiedelt ist, erläutert er. Neben „The Samaritans“ führt Kurji weitere Projekte im Portfolio. „Das muss man so machen. Wenn du TV-Managern gegenübersitzt, fragen sie: ‚Was haben Sie sonst noch anzubieten?‘".
In Kurjis Ideen-Mappe liegen eine historische Mini-Serie, für die „Assegai“ die Ideen liefern soll, sowie je ein Trickfilm, ein Kurzfilm, ein Actionfilm und eine Reality-Show. Die Handlungsideen sind vage, aber es sollen Mythen und Gangstertum in Afrika darin vorkommen. Am weitesten gediehen ist „The Samaritans“. Wenn die Finanzierung klappt, sollen die restlichen elf Folgen der ersten Staffel noch dieses Jahr gedreht werden.
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