Die wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen in Indonesien werden oft sehr unterschiedlich beurteilt. Die meisten Fachleute preisen die junge Demokratie als Erfolgsgeschichte Asiens – auch ökonomisch. Seit zehn Jahren weist Indonesien, die größte Volkswirtschaft in Südostasien, überwiegend solide makroökonomische Kennziffern auf: Die Wirtschaft wächst stabil um jährlich rund sechs Prozent, die Investitionen aus dem Ausland nehmen zu.
Autoren
Christian v. Lübke
ist Senior Research Fellow am Arnold-Bergstraesser-Institut der Universität Freiburg.Muriel Faller
studiert Volks-wirtschaftslehre an der Universität Freiburg.Mit seiner hohen Binnennachfrage und der geringen Exportorientierung ging Indonesien nahezu unversehrt aus der globalen Finanzkrise der Jahre 2008/2009 hervor. Angesichts seiner starken Wirtschaft, der jungen Bevölkerung und der lebendigen Demokratie wird das Land gern als nächster asiatischer Tigerstaat bezeichnet.
Dennoch besteht auch Anlass zur Skepsis. Der demokratische Transformationsprozess ist noch nicht abgeschlossen. Noch immer dominieren politische Eliten, die schon unter Suhartos Herrschaft (1967 bis 1998) an den Schaltstellen der Macht saßen, die öffentlichen Entscheidungen. Ihr Interesse, am Status quo festzuhalten, und der politische Klientelismus haben es nahezu unmöglich gemacht, die steigende Kluft zwischen hohen und niedrigen Einkommen abzubauen und progressive sozial- und wirtschaftspolitische Reformen voranzutreiben.
Auch in der Wirtschaft ist die Bereitschaft zu Innovationen gering. Zahlreiche Ökonomen warnen davor, dass Indonesien auf einen wirtschaftlichen Stillstand zusteuert, der in wissenschaftlichen Diskussionen als „middle income trap“ (Falle der mittleren Einkommen) bezeichnet wird.
Die „middle income trap“ beschreibt eine Wirtschaftslage, in der sich langfristige Wachstumsimpulse abschwächen und die durchschnittlichen Einkommen pro Kopf auf einem mittleren Niveau stagnieren. Das betroffene Land kommt auf Dauer nicht über den Status des Schwellenlandes hinaus; es entstehen dort keine dynamischen Industriebranchen, die Anschluss an die technische Entwicklung auf dem Weltmarkt finden können.
Wettbewerbsvorteile auf dem Weltmarkt gehen verloren
Die Ursachen dafür liegen oft in einem Zusammenspiel von wirtschaftlichen und politischen Faktoren. Wenn das Einkommenswachstum sich früh abschwächt, liegt das zum Beispiel daran, dass Regierungen es versäumen, die Rahmenbedingungen für Investitionen in zukunftsweisende Industriesektoren zu schaffen – zum Beispiel die nötige Infrastruktur. Oder Mängel bei der Berufs- und Hochschulbildung sowie bei der Entwicklung von Technologien erschweren es, einen Strukturwandel hin zu wissensintensiven Branchen wie Pharma-, IT- und Elektronikindustrien einzuleiten.
Problematisch ist auch, wenn Staatseingriffe zum Schutz heimischer Firmen – etwa Exportsubventionen oder Importbeschränkungen – in einem Schwellenland die Anpassungs- und Innovationsfähigkeit der heimischen Unternehmen gefährden. Ähnlich wirkt es, wenn eine Regierung unter dem Einfluss politischer Stimmungen zu aggressivem Wirtschaftsnationalismus greift, das heißt zu einer ökonomisch nicht gerechtfertigten Bevorzugung nationaler Produzenten.
Je schwerwiegender diese Probleme sind, desto weniger sehen sich Schwellenländer in der Lage, Fachkräfte auszubilden, Geschäftsbereiche weiterzuentwickeln und ihre Wettbewerbsfähigkeit auf internationalen Märkten voranzutreiben. Dies hat zur Folge, dass die Kraft zu Innovationen erlahmt, während Wettbewerbsvorteile auf dem Weltmarkt – zum Beispiel niedrige Produktionskosten – nach und nach verloren gehen. Die ökonomischen Aussichten verschlechtern sich und die Risiken wachsen, in der Falle der mittleren Einkommen zu landen.###Seite2###
Ein Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung Asiens seit 1950 zeigt, dass dort vor allem nordostasiatische Länder einen schnellen und erfolgreichen Wandel durchlaufen haben. Japan, Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur sind beispielhaft für einen kontinuierlichen wirtschaftlichen Aufschwung. Hohe Spar- und Investitionsraten, Produktivitätssteigerungen aufgrund der Ausbildung qualifizierter Fachkräfte, eine erfolgreiche Positionierung auf internationalen Märkten sowie eine Konzentration auf Innovationen haben dazu geführt, dass diese Länder sich zu erstklassigen Industriestandorten entwickelt haben.
Wie ist es ihnen gelungen, die Falle der mittleren Einkommen zu umgehen? Ein Erklärungsansatz ist, dass der Strukturwandel von arbeitsintensiven Produktionsfeldern wie Textilfertigung zu kapital- und technologieintensiven Feldern wie Elektronik begünstigt wurde durch einen mehrstufigen Transfer von Technologie und Wissen zwischen den Ländern der Region: Fortgeschrittene Volkswirtschaften haben in nachrückenden Ländern investiert und enge Handelsbeziehungen zu ihnen aufgebaut. So sind moderne grenzüberschreitende Produktionsketten entstanden.
Japan nimmt in diesem Modell – das aufgrund der hierarchischen Abfolge auch als „Fluggänse-Modell“ bekannt wurde – eine Führungsposition ein. Es folgen die Tigerstaaten der ersten Generation (Hongkong, Taiwan, Singapur und Südkorea) sowie mit deutlichem Abstand weitere Staaten des Verbandes Südostasiatischer Nationen (ASEAN): Thailand, Indonesien, Malaysia und die Philippinen.
Das Pro-Kopf-Einkommen hat sich in 15 Jahren verfünffacht
Die Erfahrungen der vergangenen drei Jahrzehnte in Südostasien zeigen allerdings, dass die idealtypische Abfolge von Exportförderung, Strukturwandel und Innovation in den hinteren Reihen der Fluggänse-Formation nur selten gelingt. Politische Stolpersteine erschweren den Transfer von Wissen und Technologien. Malaysia und Thailand eifern dem Erfolgsmodell Nordostasiens nach und haben das Entwicklungspotenzial fortschrittlicher und moderner Industrien frühzeitig erkannt. Die Philippinen und Indonesien dagegen befinden sich noch in einem wirtschaftspolitischen „Stand-by-Modus“, der kaum Impulse für die künftige Entwicklung liefert.
Ob und wie tief man Indonesien in einer Falle der mittleren Einkommen sieht, hängt von der Perspektive des Betrachters ab. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen des Landes rangiert seit 1995 mehrheitlich auf einem Niveau, das Ökonomen der Weltbank als „unteres mittleres Einkommen“ bezeichnen, nämlich zwischen 1000 und 4000 US-Dollar im Jahr.
Aus dieser Perspektive erscheint es plausibel, die Risiken einer „middle income trap“ hervorzuheben. Zugleich hat sich das Pro-Kopf-Einkommen aber in den vergangenen fünfzehn Jahren verfünffacht. Wenn sich dieser Aufwärtstrend vergleichbar schnell fortsetzt, würde Indonesien die nächste Einkommensstufe (oberes mittleres Einkommen mit 4000 bis 12.000 US-Dollar pro Kopf und Jahr) in wenigen Jahren erreichen.###Seite3###
Dennoch besteht weiterhin eine Vielzahl sozioökonomischer und politischer Probleme. Rund 30 Millionen der 230 Millionen Einwohner Indonesiens leben derzeit unterhalb der Armutsgrenze und rund die Hälfte aller Haushalte weisen weiterhin prekäre Einkommensverhältnisse auf, das heißt Pro-Kopf-Einkommen nahe an der Grenze von zwei US-Dollar pro Tag.
Die Bereitstellung von öffentlichen Gütern liegt deutlich unterhalb der Standards anderer Länder mit mittlerem Einkommen, insbesondere bei der Entwicklung der Infrastruktur und im Gesundheits- und Bildungswesen werden Defizite deutlich. Auch bei der Bekämpfung von Korruption hinkt Indonesien im globalen Vergleich weit hinterher.
Eine wichtige Aufgabe für den Übergang in das nächsthöhere Einkommensniveau besteht darin, Strukturanpassungen voranzutreiben. Die indonesische Privatwirtschaft orientiert sich stark am Binnenmarkt und erzielt nur eine geringe Wertschöpfung. Indonesien ist bislang weniger in regionale und globale Produktionsnetzwerke eingebunden als Thailand und die Philippinen. Das liegt zum einen an der Ablehnung eines ungleichgewichtigen Außenhandels, die in der Kolonialgeschichte verwurzelt ist. Zum anderen kommen in Indonesien seit der Sukarno-Ära immer wieder wirtschaftsnationalistische und protektionistische Tendenzen auf, die von Interessenskonflikten und Sezessionsbewegungen verstärkt werden.
Derzeit liegt der Anteil der Exporte am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Indonesien bei rund 25 Prozent. Die Nachfrage im Inland wächst weiter an, während die Ausfuhren zurückgehen. Exportiert werden vor allem Rohstoffe und nur im geringen Maße Hightechprodukte.
Hindernisse bestehen auch bei Bildung und Innovation. Der Wandel der Wirtschaft von arbeitsintensiven Sektoren, die stark von Ressourcen abhängen, zu kapitalintensiven Sektoren mit hoher Produktivität und technologischer Innovationsfähigkeit ist bislang kaum vorangekommen. Indonesische Patentanmeldungen bewegen sich auf einem vergleichsweise niedrigen – wenn auch steigenden – Niveau.
Die staatlichen Ausgaben für Bildung liegen bei rund drei Prozent des BIP
Zudem steht die Bildungspolitik vor großen Anforderungen. Zum einen müssen die staatlichen Ausgaben für Bildung erhöht werden, die derzeit bei rund drei Prozent des BIP liegen. Nur so kann der Fachkräftemangel in vielen Industrie- und Dienstleistungsbereichen abgebaut werden. Zum anderen muss der Staat Grundlagen- und Innovationsforschung stärker fördern.
Die nationale und die regionale Politik stellen die entscheidenden Weichen für Indonesiens Zukunft. Hier besteht Grund zur Hoffnung. Einerseits ist Indonesien zunehmend in den Integrationsprozess der ASEAN eingebunden. Er sieht vor, bis 2015 eine Freihandelszone einzurichten und regionale Produktionsnetzwerke zu verstärken. Man kann davon ausgehen, dass daraus neue Impulse für eine erhöhte Wettbewerbs- und Anpassungsfähigkeit des Landes erwachsen.
Zum anderen kündigt der gegenwärtige Präsidentschaftswahlkampf einen politischen Aufbruch an. Der kometenhafte Aufstieg des Gouverneurs von Jakarta, Joko Widodo, hat einen Begeisterungssturm entfacht, der über die Grenzen Indonesiens hinausreicht und hoffen lässt, dass reformorientierte Kräfte wieder die Oberhand gewinnen.
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