Es rattert und rattert und rattert, ohne Unterlass. An den Nähmaschinen sitzen Frauen und ein paar Männer, um sie herum türmen sich Berge von zugeschnittenen Stoffen. Der Raum ist eine schlichte Fabrikhalle: Betonboden, Wellblechdach, nackte Stahlgerüste. League heißt die Fabrik, eine so genannte Maquila. 250 Menschen arbeiten hier. Sie ist eine der kleineren Textilfabriken in der zollfreien Produktionszone „American Park“ in Ciudad Arce, einem Städtchen gut 30 Kilometer östlich von El Salvadors Hauptstadt San Salvador.
Zwanzig solcher Betriebe befinden sich auf dem eingezäunten Gelände, die größten haben fünf oder sechs Mal mehr Beschäftigte. League ist so etwas wie ein Vorzeigebetrieb. Während sich andere Maquilas vor der Öffentlichkeit hermetisch verschließen, hat League-Geschäftsführer Rodrigo Bolaños keine Probleme, Journalisten durch die Produktionshalle zu führen. Er ist stolz darauf, seinen Arbeiterinnen eine Cafeteria mit subventioniertem Essen anzubieten. Abends finden hier Fortbildungen statt.
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Die meisten seiner Beschäftigten haben nur wenige Jahre oder gar nicht die Schulbank gedrückt. Bolaños bietet ihnen Kurse an, die bis zum Abitur führen. „Ein paar von unseren Schülern haben um eineinhalb Noten besser abgeschnitten als der landesweite Durchschnitt“, erzählt der Geschäftsführer stolz. Zusätzlich bezahlt League der Belegschaft Löhne, die rund zehn Prozent über denen der Konkurrenz liegen – und arbeitet trotzdem mit Gewinn.
Betriebe wie den von Bolaños, die mehr bezahlen als den derzeitigen Mindestlohn von 202,80 US-Dollar im Monat, „können wir an den Fingern einer Hand abzählen“, sagt Vinicio Sandoval, Geschäftsführer der Gruppe Gmies. „Sie haben immer eine sehr engagierte Belegschaft, und keine einzige dieser Fabriken ist arm geworden oder bankrott gegangen.“ In der Regel aber könne man in den Führungsetagen von Maquilas „eine unglaubliche Kreativität im Umgehen von Arbeiterrechten entdecken“. Gmies heißt ausgeschrieben und übersetzt „Unabhängige Monitoring-Gruppe von El Salvador“. Das Gremium wurde 1996 gegründet, nachdem eine Reihe von Skandalen die zentralamerikanische Textilindustrie in Verruf gebracht hatte. Die Fabriken unterboten sich gegenseitig mit Hungerlöhnen, Sozialabgaben wurden nicht abgeführt, Überstunden nicht bezahlt, die Näherinnen in den Werkhallen eingeschlossen ohne Erlaubnis, die Maschine zu verlassen, und sei es, um zur Toilette zu gehen. Wer eine Gewerkschaft gründen wollte, wurde entlassen.
Die Idee, die zur Gründung von Gmies führte: Die internationalen Textilkonzerne und Auftraggeber der Maquilas, Vertreter der Textilfabriken, Arbeiterinnen und ihre Gewerkschaften, das Arbeitsministerium und unabhängige Arbeitsrechtler und Menschenrechtsanwälte überprüfen gemeinsam die Produktionsbedingungen. Sie setzen soziale Mindeststandards durch und verbessern so auch den Ruf der internationalen Textilmarken.
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Der Zeitpunkt war günstig. Skandale in Zulieferbetrieben des US-Marke Gap hatten die Öffentlichkeit in den Vereinigten Staaten wachgerüttelt. Es gab Boykottaufrufe, der Umsatz brach empfindlich ein. Gap war der erste Textilkonzern, der akzeptierte, dass er für Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen in seinen Subunternehmen in Guatemala, Honduras und El Salvador Verantwortung trägt. Weltweit wurden Zulieferverträge mit 136 Firmen aufgelöst. Die anderen würden regelmäßig überprüft, versprach die Konzernleitung in San Francisco.
Und weil ein Monitoring durch den Auftraggeber in der Öffentlichkeit nur begrenzt glaubwürdig ist, wurde 1996 die Apparel Industry Partnership (Partnerschaft der Bekleidungsindustrie, AIP) ins Leben gerufen: ein grenzüberschreitender Zusammenschluss von Textilkonzernen, Gewerkschaften und nichtstaatlichen Organisationen (NGOs), die gemeinsam die Arbeitsbedingungen in den Maquilas überwachen wollten. Gmies versuchte dasselbe in El Salvador, gewissermaßen als nationale Unterorganisation von AIP.
Das internationale Bündnis hielt nicht lange. Gewerkschaften und etliche an der AIP beteiligte NGOs wollten mehr als nur die Anwendung des jeweiligen nationalen Arbeitsrechts überprüfen. Sie forderten Löhne, von denen eine Familie leben kann. Die in Zentralamerika geltenden Mindestlöhne aber reichen meist nur für ein rundes Drittel des minimalen Warenkorbs einer Durchschnittsfamilie. Die Forderung hätte eine erhebliche Steigerung der Lohnkosten bedeutet, und da machten die Textilkonzerne nicht mit. In der Folge stiegen die meisten Gewerkschaften und viele NGOs aus der AIP aus, die sich dann 1999 als Fair Labor Association (Vereinigung für faire Arbeit) neu konstituierte. Firmen wie Adidas, Puma, H&M, Nestlé und Apple gehörten mit zu den Gründungsmitgliedern. Die Gewerkschaften blieben außen vor.
Gmies blieb dem ursprünglichen Konzept treu. Zu der Gruppe gehören neben Arbeits- und Menschenrechtlern weiterhin auch Gewerkschaftsmitglieder. Auch die Arbeitgeberseite ist vertreten, wenn auch nur schwach. Und Gmies tut weiter das, was eigentlich Aufgabe des Arbeitsministeriums ist: Die Gruppe überwacht die Produktionsbedingungen in Maquilas. Die staatlichen Kontrollinstanzen seien chronisch unterbesetzt und würden deshalb von der Industrie nicht ernst genommen, weiß Claudia Monterrosa, die sich bei Gmies um Textilfabriken kümmert. „Wir versuchen deshalb, Konflikte immer über die Auftraggeber, also die internationalen Bekleidungskonzerne zu lösen.“ Die hätten viel mehr Einfluss auf die örtlichen Unternehmen als der Staat: „Ihr Wort ist Gesetz, wie eine Enzyklika des Papstes.“
Selbst die Regierung kuscht vor der Macht der Konzerne
Natürlich könne man auch die Arbeitsgerichte einschalten, sagt Gmies-Geschäftsführer Sandoval. „Aber die Praxis hat gezeigt, dass der Weg über die Konzerne sehr viel schneller ist. Vor Gericht kann es Jahre dauern, bis ein Fall von Arbeitsrechtsverletzungen gelöst ist.“ Wenn ein internationaler Konzern um das Ansehen seiner Marke fürchten müsse, gehe alles sehr schnell. „Ihre Vorgaben sind mehr wert als das beste Arbeitsrecht.“ Selbst die Regierung kusche vor der Macht der Konzerne und mache ihnen den Hof.
Sechzehn zollfreie Produktionszonen wurden in El Salvador für Maquilas eingerichtet, rund 200 Fabriken haben sich dort niedergelassen. Sie müssen weder Einfuhr- noch Ausfuhrzölle bezahlen, sind von der Umsatzsteuer befreit und müssen in den ersten zwölf bis fünfzehn Jahren auch keine Gewinnsteuer abführen. Die Nähereien haben mit gut 80.000 Arbeitsplätzen in El Salvador – in ganz Zentralamerika sind es etwas mehr als 400.000 – die weitaus meisten Beschäftigten der Maquila-Industrie. Daneben gibt es noch ein paar wenige Montagebetriebe der Elektroindustrie.
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Die Nachfrage nach Monitoring in diesen Maquilas sei zunächst ganz ordentlich gewesen, sagt Sandoval: Den Textilkonzernen habe eine aufgeschreckte Öffentlichkeit im Nacken gesessen. Doch in den vergangenen Jahren habe sie deutlich nachgelassen. „Gerade noch ein oder zwei Mal im Jahr wendet sich ein Konzern mit der Bitte um eine Untersuchung an uns“, sagt Sandoval. Das hat auch mit neuer Konkurrenz zu tun: Das Monitoring sei zu einem rentablen Geschäft geworden. „Inzwischen bietet eine ganze Reihe von Firmen diese Dienstleistung an.“ Die seien dann einen halben Tag in einer Fabrik, ließen sich von der Geschäftsführung alles zeigen und schrieben danach in ihrem Bericht das, was der Auftraggeber lesen will. Gmies ist seriöser, aber auch teurer. „Wir sind mindestens fünf Tage in einer Fabrik und reden auch mit Arbeiterinnen, die nicht von der Geschäftsführung ausgesucht wurden.“ Entsprechend stehe im Abschlussbericht „nicht immer das, was die Textilkonzerne erwarten“.
Der Schwerpunkt der Arbeit von Gmies hat sich deshalb vom Monitoring auf Mediation in Konflikten verschoben; die Gruppe ist heute vor allem Anlaufstelle für Arbeiterinnen, deren Rechte missachtet werden. Die klassischen Probleme sind geblieben: Abgaben für Kranken- und Rentenversicherung werden den Arbeiterinnen zwar vom Lohn abgezogen, aber nie an die entsprechenden Kassen weitergeleitet. Viele Beschäftigten seien von ihren Arbeitgebern dort gar nicht erst registriert worden. Noch immer kommt es vor, dass Arbeiterinnen, die eine Gewerkschaft gründen wollen, entlassen werden.
Nery Ramírez, Vorsitzende der Näherinnengewerkschaft in der Textilfabrik Florencia in der zollfreien Produktionszone Soyapango am Rand von San Salvador, hat sich mit einem besonderen Problem an Gmies gewandt: Seit drei Jahren kämpft sie um Wasser. Seit über 20 Jahren arbeitet sie in Textil-Maquilas, doch so etwas ist ihr noch nicht untergekommen. Ihre Firma hat beim Wasserwerk 24.000 Dollar Schulden, deshalb wurde 2011 das Wasser abgestellt. Seither gibt es kein Trinkwasser mehr für die Frauen, die in tropischen Temperaturen unter dem heißen Blechdach der Fabrik an den Nähmaschinen schwitzen. Ein Tanklaster bringe zwar regelmäßig Trinkwasser vorbei, aber das müssen die Frauen kaufen. „Einen Tag im Monat arbeiten wir nur für das Wasser“, sagt Ramírez empört.
„Wir sind die Fabrik der zweiten Chance“
Die Betriebe legen für ihre Näherinnen Stückzahlen fest, die an einem Arbeitstag produziert werden müssen. „Wenn du sehr schnell bist und nie aufstehst, um aufs Klo zu gehen, dann kannst du diese Stückzahl vielleicht schaffen“, sagt Rodríguez. Im anderen Fall – und der ist die Regel – machen die Frauen unbezahlte Überstunden, bis sie die Quote erreicht haben; oder sie müssen mit Lohnabzügen rechnen. „Dieses System ist nach unserem Recht illegal“, sagt Gmies-Geschäftsführer Sandoval. Aber die meisten Frauen trauten sich nicht, ihren Arbeitgeber zu verklagen. „Sie brauchen den Lohn dringend, um sich und ihre Kinder zu ernähren.“ Und selbst wenn sie es wagen würden, wüssten sie nicht, wer da eigentlich zu belangen sei. Neuerdings bauten die Unternehmer in einer Fabrik ein unübersichtliches System von Tochter- und Geschwisterfirmen auf. „Oft wissen die Frauen nicht einmal, bei welcher dieser Firmen sie angestellt sind.“
Bei der Vorzeige-Maquila League gibt es kein verschachteltes Firmensystem und auch keine vorgeschriebenen Stückzahlen. Die Belegschaft besteht nicht nur aus jungen und leistungsfähigen Frauen. Unter den Beschäftigten sind Großmütter, Menschen mit Behinderungen und sogar ein paar ehemalige Mitglieder gewalttätiger Jugendbanden. Sie sind leicht zu erkennen an ihren großen Tattoos. Anderswo bekommen ehemalige Verbrecher nie einen Job. „Wir sind die Fabrik der zweiten Chance“, sagt Geschäftsführer Bolaños. Er ist ein tief gläubiger Baptist und hat seine ersten Arbeiterinnen in den Kirchengemeinden der Umgebung gefunden. „Ich bin einfach in die Gemeindeversammlungen gegangen und habe gefragt, wer schon lange arbeitslos sei und dringend einen Job brauche.“ So bekam er eine hoch motivierte Belegschaft, mit der er sich morgens vor Arbeitsbeginn zu einer kurzen Besprechung mit abschließendem gemeinsamem Gebet trifft.
Seine Lohnstückkosten mögen etwas höher liegen als bei der Konkurrenz. Seinen Auftraggebern ist das egal. League arbeitet vor allem für Universitäten in den USA, die in El Salvador Hemden und Pullover mit ihren Logos herstellen lassen. Solche Kunden legen Wert auf korrekte Arbeitsbedingungen.
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