„Gott des Lebens, weise uns den Weg zu Gerechtigkeit und Frieden“: Das klingt harmlos, fast ein wenig verhalten, dachte ich, als ich das Motto der X. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen zum ersten Mal las. Nach einem „Wort zum Frieden, dass die Welt es hört, zu hören gezwungen ist“ (Bonhoeffer), klingt das nicht gerade. Carl Friedrich von Weizsäcker hatte 1985 auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Düsseldorf Bonhoeffers Aufruf wiederholt und damit dem konziliaren Prozess – der 1983 begonnenen Bewegung der Kirchen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung – enormen Schub gegeben. Sind die Kirchen heute kleinlaut, mutlos geworden?
In Busan war ich dann überrascht zu erleben, wie die damals drängenden Fragen von der atomenergiefreien Welt über „gerechten Frieden“ bis hin zur Klimagerechtigkeit wieder präsent waren. Gestellt von jungen Leuten, die sich um die Zukunft ihrer Welt sorgen. „Wir weinen, Herr, weinen Meere von Tränen, weil unser geliebtes Meer ansteigt und uns überschwemmt“, klagten Menschen aus dem Pazifik. Die Jugendvorkonferenz forderte vom ÖRK ein starkes und sichtbares Zeichen gegen Menschenhandel. „Die Migration bedarf einer grundsätzlichen, theologischen Reflexion der Kirchen, denn wir sind alle Pilger in dieser Welt“, sagte sie den Delegierten. Der konziliare Prozess geht also weiter, nun als ein „Pilgerweg zu Gerechtigkeit und Frieden“.
Autor
Beat Dietschy
ist Zentralsekretär von "Brot für alle" in Bern.Zugegeben, irritiert hat mich schon, dass diese Pilgerreise in einem gigantischen Messegelände inmitten von Shopping Malls angetreten wurde. Wie kann sich, so fragte ich mich, in dieser Umgebung der Gedanke eines grundlegenden Wandels unserer Wirtschafts- und Lebensweise entfalten, der die jüngsten ÖRK-Dokumente bestimmt?
Bischof Duleep de Chickera aus Sri Lanka machte das zum Thema – und nahm kein Blatt vor den Mund: „Marktkräfte und Streitkräfte sind gefährliche Geschwister: Sie schlagen zurück, wenn ihre Goldtruhen gefährdet sind, und ihre Schlagworte dafür sind Entwicklung und Sicherheit.“ Und er sprach von den Menschenopfern der Wohlstandsgesellschaften: „Die Menschen am Rand der Gesellschaft gehören ins Zentrum unserer Rede von Gerechtigkeit und Frieden.“
„Sind wir Gefangene einer Theologie des Wohlstands?“
Es gehe nicht einfach darum, „Menschen vom Rand in die Zentren der Macht zu bringen“, heißt es im neuen Missionsdokument des ÖRK „Gemeinsam für das Leben“. Vielmehr sei „eine Auseinandersetzung mit denjenigen zu riskieren, die sich dadurch im Zentrum behaupten, dass sie andere in der Situation der Peripherie halten“. Die Bereitschaft der Kirchen, Machtstrukturen zu verändern, an denen sie zugleich partizipieren, schien mir allerdings in Busan nicht sonderlich ausgeprägt. Lag es doch an der Umgebung? An der komfortablen Situation der gastgebenden koreanischen Kirchen, die boomen?
Gegen Ende der Versammlung musste ich mein Urteil doch noch einmal revidieren. Ich nahm an einem Workshop der Oikotree-Bewegung teil, die sich weltweit für Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit einsetzt. „Wir erleben ein beispielloses Wirtschafts- und ein ebensolches Kirchenwachstum, auf das wir stolz sind“, sagte ein junger koreanischer Theologe. „Aber leben wir nicht eigentlich in einer babylonischen Gefangenschaft, als Gefangene einer Theologie des Wohlstands?“ Andere erzählten von den 700.000 Wanderarbeitenden, die das südkoreanische Wirtschaftswunder möglich machen. „Das sind 3D-Arbeiter, sie machen alles, was schwierig (difficult), gefährlich (dangerous) und dreckig (dirty) ist“, sagte ein Pfarrer, der die Migranten aus Vietnam, China, Indonesien und den Philippinen begleitet.
Vielleicht ist Busan doch der richtige Ort, um die richtigen Fragen zu stellen? Jene zum Beispiel, die die Oikotree-Bewegung der Versammlung und den Kirchen zu Hause auf den Weg gab: „Wie antworten wir auf die Bedrohung allen Lebens durch die dominierende globale Zivilisation? Prüfen wir uns selbstkritisch, ob und wie wir diese Zivilisation mit dem, was wir lehren, und dem, was wir öffentlich zu Wirtschaft und Politik sagen, aktiv unterstützen? Prüfen wir, ob und wie wir der Frage nach den systemischen Ursachen der Krisen ausweichen und stattdessen wohlfeile Werturteile über die ‚gierigen Banker‘ fällen oder die Krisen mit wohlklingenden Namen wie sozial-ökologische Marktwirtschaft oder ,Green Economy’ schönreden?“
Neuen Kommentar hinzufügen